Lateinamerikas Rechte in der Krise
Sie wollten alles besser machen. Doch in Argentinien wächst die Armut, in Brasilien brennt der Regenwald und in Kolumbien ist der Friedensprozess in Gefahr: Südamerikas Konservative haben nicht die richtigen Antworten.
Gefühlt ist die Präsidentschaft von Mauricio Macri bereits beendet. Zwar stehen die Wahlen in Argentinien erst in vier Wochen an, doch wo der ehemalige Unternehmer in diesen Tagen auch hinkommt, ihn umgibt bereits die Aura eines Verlierers. Die Umfragewerte des Präsidenten sind katastrophal, am vergangenen Wochenende gab es von Bischof Mario Cargnello von der Kirchenkanzel einen Rüffel für die gescheiterte Armutsbekämpfung nach vier Jahren.
Fast zwei Jahrzehnte lang dominierte der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ die Politik in Lateinamerika. Beginnend mit dem Aufstieg von Venezuelas Revolutionsführer Hugo Chavez 1999 feierte die moderate und extremistische Linke in der Neuen Welt zahlreiche Wahlsiege. Inzwischen hat dieser Sozialismus nicht nur eine Blutspur der brutalen Unterdrückung in Venezuela und Nicaragua hinterlassen, sondern auch mit Korruptionsskandalen in Argentinien oder Brasilien für Entsetzen in der Bevölkerung gesorgt.
Rechte Regierungen in Lateinamerika sind gescheitert
Eigentlich wäre das eine Steilvorlage für ein starkes Comeback eines Konservatismus, der auf die Kräfte des Marktes setzt und den herunter gewirtschafteten Ökonomien des Kontinents wieder einen Aufschwung verpasst. Eigentlich. Doch der lateinamerikanische Konservatismus, der eine Antwort sein wollte auf die gescheiterten linken Experimente, versagt selbst auf ganzer Linie.
"Im Prinzip zeigen sich damit in Lateinamerika ähnliche Krisenphänomene wie in den USA oder in Europa", sagt Politikwissenschaftler Jochen Kleinschmidt (39) von der Universität del Rosario in Bogota im Gespräch mit Blickpunkt Lateinamerika. „Die neoliberale Ökonomie und die postfordistische Gesellschaftsformation sind am Ende ihrer Plausibilität angekommen, aber sinnvolle Alternativen sind noch nicht konkret sichtbar.“ Auf Nostalgie setzende Populisten, wie Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, glaubten ihre Attraktivität daraus ziehen, vermeintlich das Rad der Geschichte zurückdrehen zu können - hin zu einer angeblich traditionellen, intakten, sicheren Gesellschaft der Vergangenheit. „Ihre politischen Verfechter werden ebenso schnell wieder entzaubert, da dieses Konzept mit den strukturellen Problemen der Gegenwartsgesellschaft schlicht gar nichts zu tun hat“, sagt Kleinschmidt.
Armut, Waldbrände und ein lahmender Friedensprozess
Die drei größten südamerikanischen Länder Brasilien, Argentinien und Kolumbien – zusammen rund 300 Millionen Einwohner stark – werden zurzeit von konservativen Politikern regiert. In Argentinien ist wegen der wachsenden Armut ein Regierungswechsel im Oktober und damit ein Comeback der während ihrer Amtszeit zur Multimillionärin aufgestiegenen Ex-Präsidentin Cristina Kirchner als Vize-Präsidentin wahrscheinlich. Dass trotz der massiven Korruptionsvorwürfe gegen die Familie Kirchner und ihr Umfeld ein solches Comeback überhaupt möglich ist, zeigt wie maßlos enttäuscht die Argentinier von der gescheiterten Wirtschaftspolitik Macris sind. Der setzte auf einen harten Sparkurs. In den Suppenküchen kann und will aber niemand auf einen versprochenen Wirtschaftsaufschwung in erst zwei, oder drei Jahren warten.
In Kolumbien weigert sich Präsident Ivan Duque bislang, den Friedensprozess mit der Ex-Guerilla Farc so umzusetzen, wie es sein Vorgänger und Friedensnobelpreisträger Santos ausgehandelt hat. Das sorgt vor allem bei den jungen Kolumbianern an den Universitäten für Unmut. Dort wächst eine neue Generation heran, die linken Ideen wieder aufgeschlossener gegenübersteht, nachdem die befriedete Guerilla lieber auf Argumente statt auf Attentate setzt.
Bleibt Brasiliens rechtspopulistischer Präsident Jair Bolsonaro. Der hat es in den ersten zehn Monaten Amtszeit geschafft, das Image des Landes durch seine umweltfeindliche Politik und verbale Amokläufe so nachhaltig zu ruinieren, dass Brasilien inzwischen selbst als abschreckendes Beispiel dient. Profitierte in lateinamerikanischen Wahlkämpfen der letzten zehn Jahre die Rechte stets mit der oft wahlentscheidenden Drohung „Unser Land soll kein zweites Venezuela werden“, dreht die argentinische Linke inzwischen den Spieß um. Spitzenkandidat Alberto Fernandez, der gemeinsam mit Cristina Kirchner als klarer Favorit in die Wahlen geht, droht in Argentinien seinen Landsleuten nun mit einem neuen Schreckgespenst: „Wir wollen kein zweites Brasilien werden.“ So schnell können sich die Zeiten ändern.