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Kolumbien |

Frieden auf der Kippe

Nach Ankündigung der Wiederaufnahme des Guerilla-Kampfes verfällt Kolumbien in Schockstarre. Die Regierung und die Farc-Partei wollen das historische Abkommen retten.

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Wandmalerei gegen die Gewalt in Bogotá, Kolumbien. Foto: Adveniat/Jürgen Escher

Am Donnerstag erwachten die Kolumbianer mit einer Nachricht, die sie schon seit langem befürchtet hatten. Noch vor dem Morgengrauen machte ein Video in dem Land die Runde, das dem fragilen Friedensprozess zwischen Farc-Guerilla und der Regierung den möglicherweise tödlichen Schlag versetzt. Zwei ehemalige Führer der Linksrebellen, die dem Prozess bereits seit längerem den Rücken gekehrt haben, kündigten die Gründung einer neuen Guerilla und die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs gegen den Staat an. So sollen nach den Worten von „Iván Márquez“ die gesellschaftlichen Veränderungen erreicht werden, die das südamerikanische Land so dringend braucht. Auf den Friedensprozess und seine Errungenschaften setzt Márquez dabei nicht mehr. Er fühlt sich wie viele andere ehemalige Farc-Guerilleros auch vom Frieden verraten. Das ist besonders tragisch und gefährlich, da Márquez bei der Aushandlung des historischen Abkommens eine tragende Rolle spielte. Er war der Chefunterhändler der „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (Farc) während der vier Jahre dauernden Gesprächen in Kuba. 
 
Die Rückkehr „zum Guerillakampf“ sei die „Antwort auf den Verrat des Staates gegenüber dem Abkommen von Havanna“, hieß es in dem von Márquez verlesenen 32-minütigen Statement. „Wir wurden niemals besiegt noch ideologisch geschlagen. Deshalb geht der Kampf weiter.“ Dieser soll künftig gemeinsam mit der kleineren Linksguerilla ELN geführt werden. Mit Márquez und dem anderen hohen ehemaligen Farc-Kader, Jesús Santrich, gehen weitere skrupellose FARC-Kommandanten sowie 1.800 ehemalige Rebellen in den Untergrund, die sich entweder nie dem Friedensprozess anschlossen oder in den vergangenen Monaten und Jahren aus diesem ausgestiegen sind. 

Sorge vor Rückkehr des bewaffneten Kampfes
 
Auch wenn Experten und Teile der demobilisierten Farc-Kämpfer diesen Schritt erwartet haben, hat er Kolumbien doch für mindestens zwei Tage in Schockstarre versetzt. Denn eine Rückkehr zu Anschlägen, Attentaten und kriegerischen Handlungen, mit denen die Kolumbianer ein halbes Jahrhundert leben mussten, ist nun eine reale Gefahr. Nach Einschätzung  von Ariel Ávila von der „Stiftung Frieden und Versöhnung“ sind die 1.800 Farc-Dissidenten in 23 Gruppen in rund 85 Gemeinden des Landes verteilt. „Das ist noch zu kontrollieren“, betont Ávila. Aber die neue Rebellengruppe werde versuchen, die im Friedensprozess verbliebenen 13.000 Demobilisierten und zum Teil frustrierten Ex-Rebellen zu rekrutieren. Wenn das gelinge, wiederhole sich die Geschichte, fürchtet Ávila. „Dann werden wir zu dem bewaffneten Konflikt zurückkehren, den wir gerade erst überwunden haben“. 
 
Daher versuchen die ehemaligen Rebellen, die sich zur Farc-Partei gewandelt haben, und die Regierung nun den Schulterschluss. Beide Seiten betonten, an dem Abkommen von Havanna unbedingt festhalten zu wollen. Der rechte Präsident Iván Duque wandte sich am Donnerstag in einer TV-Ansprache an die Bevölkerung und bezeichnete die Dissidenten um Márquez schlicht als Kriminelle. „Wir stehen nicht vor der Gründung einer neuen Guerilla, sondern vor einer Bande von Narcoterroristen", die vom Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro unterstützt würden. „Kolumbien lässt sich nicht drohen“. Der frühere Rebellenführer und heutige Chef der Farc-Partei, Rodrigo Londoño, nannte den Schritt seines früheren Waffenbruders Márquez einen „wahnsinnigen Fehler“. Zwar verlaufe die Umsetzung des Friedensprozesses vom September 2016 „im Schneckentempo“, aber dennoch müsse man an dem Weg festhalten. „Das Abkommen steht für den tiefen Wunsch der Kolumbianer nach Frieden mit sozialer Gerechtigkeit, betonte Londoño.  

Kriminelle Gruppen füllen das Machtvakuum der Farc 

Diese ist aber tatsächlich drei Jahre nach der Unterzeichnung des Abkommens noch nicht annähernd erreicht. Zudem sterben seither linke Aktivisten, Gewerkschafter, Vertreter von Indigenen- und Afro-Organisationen und diejenigen, die ihr im Bürgerkrieg geraubtes Land zurückfordern. Nach Angaben der „Defensoria del Pueblo“, einem staatlichen Mechanismus zur Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte, kamen seit dem Friedensschluss rund 500 soziale Aktivisten ums Leben. Hinzu kommen noch 143 ermordete Ex-Farc-Rebellen. Täter sind zumeist neue paramilitärische Gruppen, die Organisierte Kriminalität oder auch die ELN. Der Friedensvertrag mit den Farc hat in großen Teilen des Landes die legale und illegale Ordnung durcheinander gebracht. Phasenweise hatten die Farc-Rebellen rund 30 Prozent des kolumbianischen Territoriums unter Kontrolle. Dort entstand nach Abschluss des Friedenvertrags ein Vakuum, das der Staat entgegen aller Zusagen weder militärisch, noch sozial gefüllt hat. Stattdessen sind dort illegale Gruppen, Dissidenten der Farc und die Drogenkartelle eingezogen. Wenn Vertreter von Minderheiten oder Menschenrechtsvertreter diese Entwicklungen öffentlich kritisieren, geraten sie ins Fadenkreuz.
 
All das hat den Weg für die neue Guerilla-Gruppe unter Iván Márquez mitgeebnet. Die Gefahr, die von den rückfälligen Rebellen ausgeht, kann nur dann gebannt werden, wenn sich Regierung und Farc deutlich mehr als bisher für das Friedensabkommen einsetzen. Vor allem die Regierung unter Präsident Duque hat in ihrem gerade vollendeten ersten Amtsjahr Abkommen und seine Umsetzung boykottiert, wo es möglich war. Die Quittung hat der Präsident jetzt dafür bekommen. Es sollte ihn zum Umdenken bringen. 

Autor: Klaus Ehringfeld

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