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Honduras |

Sparen für den nächsten Schlepper

Der Traum vom besseren Leben ist für viele Honduraner stärker als alle Todesgefahren. Sie fliehen vor Armut, Perspektivlosigkeit und Korruption - und halten mit ihren Rücküberweisungen ihre Familien zuhause über Wasser.

Lateinamerika Honduras Migranten

Migranten aus Honduras in einer Herberge im mexikanischen Chiapas. Foto: Adveniat/Matthias Hoch

Viermal schon hat Angel Eric Brandon versucht, in die USA zu gelangen. Einmal geriet er in die Fänge der mexikanischen Migrationsbehörde, einmal entführte ihn das Drogenkartell der Zetas, und die beiden letzten Male waren es die US-Grenzschützer, die den 25-jährigen Gelegenheitsarbeiter aus Honduras abfingen und wieder in die Heimat abschoben.

All das erzählt der gedrungene junge Mann mit dem kindlichen Gesicht, als sei es das normalste der Welt. Monatelange Abschiebehaft in unterkühlten Gefängnissen, Schlepper, die sich ein Zubrot verdienen, indem sie ihnen anvertraute Frauen zur Zwangsprostitution an Verbrecherkartelle verkaufen. Migranten, die als blinde Passagiere vom Güterzug fallen, der ihnen Beine oder Arme abtrennt. Auch den Grenzfluss Rio Bravo hat Brandon schon zweimal durchquert. "Manchmal hat er tückische Strömungen", sagt er. "Denen, die nicht schwimmen können, geben die Schlepper Autoreifen oder spannen ein Seil."

Wer keinen Schlepper bezahlen kann, setzt sein Leben aufs Spiel - wie eigentlich überall auf der gefahrvollen Route gen Norden. Doch die Schlepper muss man sich als Flüchtling überhaupt erst mal leisten können. 10.000 US-Dollar mussten seine Verwandten für den letzten Versuch an den Schlepper bezahlen. Ohne Erfolgsgarantie. "Inzwischen ist der Preis auf 12.000 gestiegen", erzählt Brandon, "weil jetzt auch Mexiko die Grenze militarisiert hat, und man schon für die Überwindung des Grenzflusses zwischen Guatemala und Mexiko Schlepper braucht." Früher war das der leichteste Teil - für ein paar US-Dollar konnte man in eines der Floße steigen, die Menschen genauso auf die andere Seite transportierten wie Drogen oder Schmuggelwaren.

Traum vom besseren Leben

Brandon arbeitet inzwischen wieder in Tegucigalpa und wartet Rolltreppen und Aufzüge. Bis die Familie das Geld für den nächsten Versuch gespart hat. Aber warum nimmt man das auf sich? Brandon lächelt über eine Frage, deren Antwort sich für ihn erübrigt. "Ich will ein besseres Leben." Das heißt, einen Lohn, von dem man nicht nur nicht verhungert, sondern sich vielleicht auch ein Häuschen, ein Moped und ein Handy kaufen kann. Einen festen Job mit Sozialleistungen, damit man die Schmerztabletten und das Verbandsmaterial bei einer OP im staatlichen Gesundheitssystem nicht selber besorgen muss. Und etwas, was sich mit Geld nicht messen lässt - Familienzusammenführung. Brandons Mutter und zwei Geschwister sind schon länger in den USA. Brandon vermisst sie sehr.

"Wer in die USA will, lässt sich weder von Trumps Mauern noch von seinen Abschreckungskampagnen abhalten", sagt Liliana Flores in Anspielung auf die TV- und Radiospots, die die Regierung schaltet und die von US-Hilfsgeldern bezahlt werden. Flores muss es wissen. Seit über einem Jahrzehnt betreut sie ein vom Unternehmerverband Cohep finanziertes Programm, das armen Jugendlichen betriebswirtschaftliche Grundlagen beibringt und ihnen dann einen Anschubkredit gewährt für ein eigenes Geschäft - oder ihnen Stipendien besorgt. 450.000 junge Honduraner haben das Programm bereits durchlaufen. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Und manchmal auch ein Kampf gegen Windmühlen. Zusammen mit externen Beratern und einer privaten Universität hatte der Unternehmerverband einen dualen Ausbildungsgang für Automechaniker entworfen. Doch die für die Genehmigung zuständige staatliche Stelle lehnte den Vorstoß ab. "Wozu brauchen wir das?" musste sich Flores anhören.

Wenige Großunternehmen beherrschen alles

Honduras ist ein Land mit einer jungen Bevölkerung, 43 Prozent der Menschen sind jünger als 19. Jedes Jahr drängen Hunderttausende auf den prekären Arbeitsmarkt einer Ökonomie, die nicht viel mehr als Billigjobs in der Landwirtschaft, im Servicebereich oder der Fertigungsindustrie zu bieten hat. In vielen Sektoren gibt es gerade mal eine Handvoll Unternehmen, die im Besitz einer kleinen Elite sind und - etwa im Bau oder der Energiewirtschaft - weitestgehend von Staatsaufträgen leben. Korruption ist weit verbreitet. Die heimische Landwirtschaft ist nicht wettbewerbsfähig gegenüber den subventionierten US-Agrarexporten, die dank eines Freihandelsvertrags zollfrei ins Land kommen.

Die Reichen leben von ihren Pfründen, die Armen hingegen von den Geldern, die ausgewanderte Angehörige in die Heimat schicken. Eine winzige Mittelschicht wird dazwischen aufgerieben. Über vier Milliarden US-Dollar jährlich erwirtschaften die Auslandshonduraner für ihre Angehörigen. Geld, das in die Banken und Shoppingmalls der Elite fließt, nicht in Bildung oder Investitionen. Der "Export von Armen", wie der Autor Juan Ramon Martinez dieses Modell nennt, ist auch ein Geschäftsmodell. Was passiert, wenn das Migrationsventil sich schließt, ist derzeit nicht nur in Honduras, sondern in allen Ländern zwischen Guatemala und Nicaragua zu beobachten: Der soziale Druck steigt.

Quelle: Deutsche Welle, Autorin: Sandra Weiss

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