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Brasilien: Mit dem Vorschlaghammer für Obdachlose

In São Paulo entfernte Armenpriester Padre Julio Lancellotti (71) mit einem Vorschlaghammer Steine unter einer Brücke, die den Aufenthalt von Obdachlosen verhindern sollten. Blickpunkt Lateinamerika sprach mit ihm über die öffentlichkeitswirksame Aktion.

Padre Julio Lancellotti (Mitte) im Gespräch in São Paulo vor dem Centro Comunitario Sao Martinho del Lima. Archivbild (2005): Adveniat/Jürgen Escher

Padre Julio Lancellotti (Mitte) im Gespräch in São Paulo vor dem Centro Comunitario Sao Martinho del Lima. Archivbild (2005): Adveniat/Jürgen Escher

Blickpunkt Lateinamerika: Padre Julio, Ihre Aktion ging vor ein paar Tagen durch die brasilianischen Medien. Ein Priester, der mit einem Vorschlaghammer Steine herausbricht. Was war da los?

Padre Julio Lancellotti: Das Ganze ist nicht weit von der Pfarrei entfernt passiert, in der ich normalerweise bin. Das ist die Verwaltung von Moca. Die Wohnungslosen haben mich über die Installation der Steine informiert, aber auch die lokalen Medien haben darüber berichtet. Also bin ich hingefahren und habe mir das mit eigenen Augen angeschaut. Dann bekam die Stadtverwaltung Druck von den Medien. Und als ich am nächsten Tag wieder hingegangen bin, waren die Arbeiter schon dabei, die Steine wieder zu entfernen. Einer der Arbeiter hat mir einen Vorschlaghammer geliehen, damit ich selbst einige Steine entfernen konnte. Und dieses Bild war dann in den Medien zu sehen.

Wie hat diese Aktion der kommunalen Verwaltung auf Sie als Priester, der sich für Wohnungslose einsetzt, gewirkt?

Uns hat der Anblick dieser Steine sehr bewegt, denn es handelte sich um das Viadukt Dom Luciano Mendes de Almeida. Mit vielen anderen hatte ich mich dafür eingesetzt, dass dieses Viadukt den Namen dieses Bischofs trägt, weil er sich Zeit seines Lebens für die Rechte der Armen und die Menschenrechte eingesetzt hatte. Ausgerechnet unter diesem Viadukt mit dem Namen eines Mannes, der sich für die Armen engagiert hat, sollten nun die Steine Wohnungslose davon abhalten, sich dort aufzuhalten. Das hat mich sehr betroffen gemacht.

Unter diesem Eindruck sind wir dort hingefahren und haben symbolisch demonstriert, denn das ist ja kein Einzelfall. Es gibt verschiedene Brücken in São Paulo und in weiteren Städten in Brasilien, unter denen solche Steine stehen. Inzwischen bekomme ich Bilder aus ganz Brasilien. Viele wollen einen solchen Vorschlaghammer haben, um die Steine selbst zu zerschlagen. Das war eine symbolische Geste und ich hätte mir nicht vorgestellt, dass sie eine solche Wirkung entfalten würde. Vielleicht liegt es daran, dass die Menschen eher das Bild eines Priesters haben, der Steine segnet anstatt sie abzureißen. Aber mit Gottes Segen gibt es solche Steine ganz bestimmt nicht. Leider sehen wir eine solch unmenschliche Architektur anstatt einer humanitären Reaktion immer öfter, sie ist das Spiegelbild einer entmenschlichten Reaktion.

Was wäre denn eine Alternative?

Eine Lösung wäre zum Beispiel, mehr auf eine Art sozialen Wohnungsbau oder soziale Vermietungen zu setzen. In Portugal haben sie in Lissabon damit recht gute Erfahrungen gemacht. Diese Strategie gibt den Menschen das Recht in leerstehenden Wohnungen zu leben, ohne sie zu besitzen. Auch in São Paulo gibt es diese sozialen Mietwohnungen. Die Leute bezahlen eine kleine, faire Miete, die ihren Möglichkeiten entspricht. Das verschafft den Menschen Autonomie, sie organisieren ihren Raum, sie müssen sich darum kümmern, jeder kocht für sich selbst. Es ist also keine Vormundschaft, kein fremdbestimmtes Leben, sondern nur eine Art Wohngarantie.

Für große Städte wäre das eine großartige Lösung, weil es in der Stadt meist mehr Häuser ohne Menschen gibt als Menschen ohne Zuhause. Und einige dieser leerstehenden Wohnungen wurden sogar in gemeinsamer Anstrengung und unter Beteiligung der dort lebenden Menschen renoviert. Natürlich sind vorab rechtliche Fragen zu klären, aber es gibt dafür sogar eine gesetzliche Möglichkeit. Leerstehende Gebäude in den Städten müssten enteignet werden. Meist gibt es dort bereits eine funktionierende Infrastruktur, Arbeitsplätze, Dienstleistungen. Das wäre der logischste und vernünftigste Weg, den besonders verwundbaren Bevölkerungsschichten zu helfen.

Interview: Tobias Käufer, Ramona Samuel

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