"Wir treten auf der Stelle, es geht nicht vorwärts"?
Haiti liegt sechs Monate nach dem verheerenden Erdbeben von 12. Januar, bei dem mehr als 230.000 Menschen starben, noch immer am Boden. Präsident Rene Preval (67) hat den Notstand offiziell für beendet erklärt. Doch Weihbischof Joseph Lafontant (72), der Administrator der Hauptstadt-Erzdiözese Port-au-Prince, erklärte dieser Tage während eines Besuchs in Europa: „Wir treten auf der Stelle, es geht nichts vorwärts.“
In dieser Situation will die Regierung am 28. November wählen lassen. Groß ist das Interesse am Präsidentenamt; Prevals Amtszeit endet im Februar 2011. Nicht weniger als 34 Kandidaten bekunden ihre Anwartschaft, unter ihnen als einzige Frau auch Mirlande Manigat, deren Mann Leslie F. Manigat (80) im ersten Halbjahr 1988 das Präsidentenamt innehatte.
Der nach wie vor in Trümmern liegende Präsidentenpalast in Port-au-Prince ist ein Symbol für die politische Lage in der kleinen Karibik-Republik. Lafontant lässt kein gutes Haar an den Verantwortlichen. Die seien jetzt mit dem Wahlkampf beschäftigt, da spielten die Nöte der Menschen kaum eine Rolle. In der vom Beben besonders getroffenen Hauptstadt leben immer noch rund 1,5 Millionen Obdachlose. Für die Parteien und Kandidaten gehe es um Macht und Einfluss, sie machten die „absurdesten Versprechen“, ärgert sich der Weihbischof. Einen Mentalitätswandel habe die Katastrophe bei Haitis herrschender Elite nicht bewirkt. Derweil ist Jean Enel Désir, der in der Wahlkommission als Vertreter der katholischen Kirche aktiv war, von diesem Amt zurückgetreten.
Als Retter des ärmsten Landes der westlichen Hemisphäre preist sich der Hip-Hop-Sänger Wyclef Jean (40), der seit seinem neunten Lebensjahr in den USA lebt, an. Bei ihm rätselt die Mehrzahl der Beobachter über seine Motive. Er hat keinerlei politische Erfahrungen und sich bislang um seine Heimat wenig gekümmert. Jean gibt sich bescheiden. Er könne keine „Wunder“ bewirken. Und er setzt auf die Jugend und damit die Mehrheit der neun Millionen Haitianer. Für sie ist er schon jetzt ein Star – wenn auch nur ein musikalischer.
Quelle: kna