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Argentinien |

Wild-West-Gerangel um Sojaflächen

Argentinien ist der drittgrößte Soja-Exporteur weltweit. Die letzte Ernte brachte rund 48 Mio. Tonnen der begehrten Bohne ein ­‒ angebaut auf 18 Mio. Hektar Land. Das entspricht der Hälfte der verfügbaren argentinischen Ackerflächen. Der Bedarf an Soja ist steigend. Doch eigentlich ist keine Fläche da, um noch mehr Soja anzubauen. Oder doch?

Die Regierung der nordwestlichen Provinz Salta, in der Region „Gran Chaco“ befand zum Beispiel, es sei durchaus noch jede Menge Fläche vorhanden. Die müsse eben nur abgeholzt werden. 800.000 Hektar Waldrodung wurden bis 2007 genehmigt. Das entspricht der halben Fläche Thüringens oder Schleswig Holsteins. Aber Salto ist auch eine riesige Provinz, sie ist mehr als 150.000 Quadratkilometergroß. Flächenmäßig würde dort die ganze ehemalige DDR hineinpassen oder die Schweiz und österreich zusammen, die durchschnittliche Bevölkerungsdichte liegt bei neun Einwohnern pro Quadratkilometer.

Indigene kamen in Umweltstudien nicht vor

Doch menschenleer sind die Wälder keineswegs. Der Wald ist Lebensraum indigener Völker wie der Wichi. Sie leben im Wald und vom Wald. „Doch die Indigenen kamen in den Umweltstudien für Abholzungspläne meistens überhaupt nicht vor“, unterstreicht Ana Álvarez bei einer Podiumsdiskussion der Organisationen FDCL und Brot für die Welt in Berlin. Sie ist Koordinatorin der anglikanischen Organisation Asociana, die indigene Gruppen beim Kampf um Landrechte unterstützt.

Zur Illustration erzählt Álvarez vom Dorf Santa Maria in der Nähe des Flusses Pilcomayo, an der Grenze zu Bolivien. „Die Menschen leben von der Jagd, vom Fischfang, sie suchen wilden Honig, Früchte, sie weben oder tischlern." Vieles spiele sich in unmittelbarer Nähe des Dorfes ab, aber die indigenen Bewohner durchstreifen Land in einem Umkreis von bis zu zehn Kilometern, damit 800 Einwohner leben können.

Jetzt finden sie nichts mehr zum Jagen. Sie stehen vor Zäunen, die ihnen den Durchgang oder die Durchfahrt versperren, der Zugang zu Wasserquellen und Wasserläufen ist oft nicht mehr möglich oder diese Quellen sind von den Chemikalien der umliegenden Sojafelder verseucht. Häufig sind nur noch dünne Waldstreifen übriggeblieben. In der Provinz Salta wurde vergangenes Jahr auf 637.000 Hektar Land Soja angebaut.

Rodung im Schnelldurchlauf genehmigt

„82 Prozent der indigenen Gemeinden haben keine Landtitel“, so Álvarez. Asociana hat bei der Kartierung geholfen und erstellt Berichte, denn nur so können Prozesse angestrengt bzw. verhindert werden, dass Land an Großinvestoren verkauft wird. Dem Filz aus Agro-Industrie und Politik sei allerdings schwer beizukommen, so die Geografin. Die Provinzregierung entscheidet in Argentinien über Fragen der Ressourcennutzung. Als sich abzeichnete, dass ein nationales Waldgesetz der uneingeschränkten Abholzung ein Ende bereiten könnte, "wurden in weniger als drei Monaten Anträge auf Abholzung von mehr als 200.000 Hektar Wald genehmigt. Wir können annehmen, dass die Mitarbeiter in dieser Zeit auch sonnabends und sonntags arbeiten mussten, um das zu schaffen. Der Großteil der Genehmigungen wurde zwei bis drei Tage vor Inkrafttreten des Waldgesetzes vergeben", so Álvarez lakonisch.

„Als 2008 die Regierung wechselte und drei Genehmigungen wieder kassiert wurden, lanzierte man sehr schnell Rücktrittsforderungen gegen die neue Umweltministerin“, unterstreicht Álvarez. Die größte Tageszeitung der Provinz Salto ist im Besitz der Familie des ehemaligen Gouverneurs, der die Abholzungen genehmigen ließ. "Es gab heftige Attacken der Presse gegen Berater von Organisationen, die sich für ein Abholzungsverbot einsetzten", erklärt die Koordinatorin von Asociana.

Im Jahr 2009 erreichte elf Indigene und Kleinbauern aus verschiedenen Provinzen mit einer Sammelklage vor dem Obersten Gerichtshof, dass die Abholzung in vier Provinzen verboten wurde. Doch immer noch wird abgeholzt und es sterben Menschen, weil sie ihr Land verteidigen. Jüngstes Opfer ist der 23-jährige Cristian Ferreyra aus San Antonio, in der nordargentinischen Provinz Santiago del Estero. Er wurde am 16. November vermutlich im Auftrag eines Großgrundbesitzers erschossen.

Argentinische Verfassung nur ein Papiertiger

Wild West in Argentinien? Eigentlich, so Álvarez, gibt es Regeln. Es müssen beispielsweise ein Flächennutzungsplan und eine Umweltfolgenstudie für jedes Stück Land erstellt werden, das gerodet werden soll. Doch jedes Stück Land wurde völlig isoliert betrachtet, Wechselwirkungen seien praktisch nicht vorgekommen.

Die argentinische Verfassung von 1994 erkenne in Artikel 75 die Erstbesiedelung des heutigen Staatsgebietes durch Indigene an ‒ also auch deren Landrechte, so die Geografin. 2006 wurde ein Gesetz verabschiedet, mit dessen Hilfe bestimmt werden sollte, welches genau die indigenen Territorien sind. "Unser großes Problem ist die praktische Anwendung dieser Gesetze“, sagt Álvarez. „Alle indigenen Territorien im Department San Martín hat man an Privateigentümer verkauft. Es gibt keine verbindliche Rechtsgrundlage, um die Rückgabe dieser Territorien zu erwirken. Der Staat hat keine Handhabe, um durchzusetzen, was in der Verfassung steht“. Ein einziger Fall von Enteignung, sagt Ana Álvarez, sei ihr bekannt, der sei allerdings noch nicht völlig abgeschlossen.

Autorin: Bettina Hoyer

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