Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Haiti |

"Völlige Gleichgültigkeit der Regierung"

Ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti prangert der Direktor der katholischen Menschenrechtsorganisation Justitia et Pax, P. Jan Hanssens, die mangelnde Präsenz und Informationspolitik der Regierung an sowie die Verletzung bürgerlicher Rechte.Kritik übt er auch an internationalen Institutionen. Tiefen Respekt zollt er dagegen der haitianischen Bevölkerung.

 

Wie sieht es ein Jahr nach dem Erdbeben mit dem Wiederaufbau in Haiti aus?

Schon unmittelbar nach dem Erdbeben haben wir unterstrichen, dass Haiti nicht nur einen materiellen Wiederaufbau braucht. Es muss auch einen Mentalitätswechsel geben. Die Wahlen zeigen, wie sehr dieser Mentalitätswechsel nötig ist.

Bisher ist kaum etwas wieder aufgebaut worden. Nach einer Periode der Nothilfe scheint alles zu stagnieren. Die NGOs sind vor Ort und leisten Routinehilfe in den Zeltlagern. Damit unterstützen sie die Bevölkerung, auch wenn es keine Lebensmittelverteilung mehr gibt.

Die gemischte Kommission mit nationalen und internationalen Beratern zum Wiederaufbau Haitis hat sich bisher nur viermal getroffen. Man weiß nicht, was sie macht. Die Bevölkerung wird kaum informiert. Dabei ist dies Aufgabe der Regierung.

In Port-au-Prince wurde das Zentrum zum «öffentlichen Interesse» erklärt, doch nichts bewegt sich. Abgesehen davon: Was wäre der Sinn einer modernen Stadt, wenn die Bevölkerung marginalisiert und sich selbst überlassen bliebe?

Selbst die zu respektierenden Normen für einen Wiederaufbau sind nicht kommuniziert worden (dabei soll es dazu seit zwei Monaten ein Dokument geben).

Fazit: Die Bevölkerung versucht – auf sich gestellt –, so gut es geht über die Runden zu kommen, so wie es schon immer war.

Wie schätzen Sie die Rolle der «internationalen Gemeinschaft» im vergangenen Jahr ein? Und die der Nichtregierungsorganisationen (NGOs)?

Auf der einen Seite sind die NGOs nützlich und notwendig, da die Regierung nicht präsent genug ist. Aber jede NGO arbeitet für sich und möchte sich profilieren. Koordinierungstreffen finden ohne Regierungsbeteiligung statt.

Die internationale Gemeinschaft ist breiter gefasst: die Botschaften, die MINUSTAH, Institutionen wie das UN-Entwicklungsprogramm etc. Sie weiß wenig über die Mentalität der Menschen in Haiti, ihr Personal wechselt ständig, sie spricht kaum die Landessprache und kennt die Einstellungen, Gefühle und Reaktionen der Haitianerinnen und Haitianer nicht.

Sie vermittelt zudem ein sehr negatives Bild von Haiti im Ausland, zum Beispiel, was die Gewalt anbelangt. Für das Ausland scheint Haiti ein Weltmeister der Gewalt zu sein...

Die MINUSTAH kostet die internationale Gemeinschaft unglaublich viel Geld und ihre Präsenz wird von der Bevölkerung als erniedrigend empfunden. Damit die UN-Mission wirklich nützlich ist, müsste sie technischer sein, bürgernah und integrierter. Andererseits müsste ein UN- Abzug gut geplant sein, denn die lokalen Ordnungskräfte sind schwach.

Meinen Sie, dass der Ablauf der Wahlen im November den Gewählten genug Legitimität verleiht?

Was die Wahlergebnisse angeht, sind wir noch mitten im Prozess. Alles hängt davon ab, ob die Bevölkerung sich im Wahlergebnis wiedererkennt oder ob man zu einem von oben durchgesetzten Wahlergebnis kommt, das keinerlei Legitimität hat.

Auf jeden Fall kann man sagen, dass die Menschen am 28. November die amtierende Regierung abstrafen wollten.

Welches sind derzeit die größten Hindernisse bei der Umsetzung der Menschenrechte in Haiti?

Die Menschenrechtssituation ist außerordentlich schwierig in Haiti. Die Wahlen waren befleckt von massiver Verletzung bürgerlicher und politischer Rechte. Es gibt eine totale Gleichgültigkeit der Regierung und eine völlige Abwesenheit öffentlicher Dienste. Wir leben in einer Kultur der Straflosigkeit, niemand muss Rechenschaft ablegen.

Was kann das Ausland machen, um Haiti wirklich zu helfen?

Wichtig ist es, korrekt über Haiti zu informieren und das Land nicht zu stigmatisieren.

Erdbeben, schleppender Wiederaufbau, Hurrikans, Cholera, umstrittene Wahlen: die Liste der «harten Schläge» für Haiti ist lang. Wie bewahren Sie sich Ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft Haitis?

Die Hoffnung ist sicherlich eine christliche Tugend, doch braucht sie einen Anker in der Wirklichkeit. Die Geschichte eines Volkes, das so sehr gelitten hat, zu verstehen und zu sehen, wie es sich immer wieder tapfer aufgerichtet hat, hilft die konkreten Schwierigkeiten besser einzuschätzen. Die Hoffnung ruht hauptsächlich auf den Menschen, mit denen man arbeitet.

Die Fragen stellte Verena Hanf.

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