Verwelkende Kinder, eine nationale Tragödie
In Guatemala leidet jedes zweite Kind unter fünf Jahren an chronischer Unterernährung. Gleichzeitig werden Agrarprodukte exportiert und das Hohelied auf die Biotechnologie angestimmt, die ihre Versprechen aber nicht einlöst, kritisiert Pablo Sigüenza Ramírez und schlägt andere Wege aus der Misere vor.
In Guatemala sterben Jungen und Mädchen an Hunger. Die Hungernden, die überleben, leiden an permanenter Unterernährung. Vor allem diejenigen in der Gesellschaft, die Entscheidungen treffen oder auf Entscheidungen Einfluss nehmen, tragen auf ihren Schultern die Last einer großen Schande.
Es handelt sich um eine nationale Tragödie, die wir zu verbergen versuchen, eine Schande, von der wir den Blick abwenden und so tun, als gehe sie uns nichts an. Und wenn sich die Problematik verschärft – auch wenn es unmöglich erscheinen mag, dass es noch schlimmer wird - , dann schlagen wir uns an die Brust, oder wir suchen Verantwortliche. Es ist einfach, der Regierung die Schuld zu geben: Vor 25 Jahren wurden die Christdemokraten beschuldigt, genauso wie danach die jeweils Guatemala regierende Partei. Im Wahlkampf ist das Thema Hunger eine Waffe.
Jedes zweite Kind unter fünf Jahren unterernährt
Der Hunger wird Tag für Tag erlitten, von Generation zu Generation. Unterernährte Mütter stillen Babys, deren biologische und geistige Entwicklung absehbar nicht voll durchlaufen wird. Eine Pflanze, die keine Nährstoffe erhält, verwelkt und ihre Früchte verderben. Der menschliche Hunger verursacht verwelkte Kinder. Jedes zweite Kind unter fünf Jahren leidet in Guatemala an chronischer Unterernährung. Ist unsere Gesellschaft so egoistisch, dass sie die Katastrophe nicht zu ermessen vermag, die diese Unterernährung bedeutet?
Historische Wurzeln der Armut
Die Gründe sind zahlreich, historisch, sie haben tiefe Wurzeln: ein Land, das auf Rassismus und Diskriminierung errichtet wurde; eine Gesellschaft, die die größte soziale Ungleichheit des Kontinents aufweist; die prozentual größte Konzentration von Landbesitz in den Händen weniger in ganz Lateinamerika; ein Produktionsmodell, das sich auf den Export von Agrarprodukten stützt und den von Millionen von Anbauern hergestellten Reichtum privatisiert; Analphabetismus und ein Bildungssystem, das nach wie vor Menschen ausschließt; Korruption und Dummheit in den herrschenden Klassen Guatemalas; eine von der Zeit überholte Oligarchie, die in jedem gesellschaftlichen Wandel eine Bedrohung ihrer kolonialen Privilegien sieht; eine Nachbürgerkriegs-Gesellschaft, die an einer Spirale aus Angst und Gewalt erstickt; eine staatliche Politik, welche der Produktion von Nahrungsmitteln für das ganze Land sowie auf lokaler Ebene die Anreize entzieht und uns somit abhängig von Importen macht; eine Politik vorauseilenden Gehorsams, die unsere Naturressourcen an ausländisches Kapital herschenkt; und schließlich die Gleichgültigkeit der Unternehmer, der Mittelschicht und der akademischen Welt, die sich keine Mühe machen, echte Lösungen zu finden.
Scheinlösung Lebensmittelhilfe
Gesucht wird die einfachste Lösung, die da heißt: Lebensmittelhilfe. In Notsituationen Lebensmittel zu übergeben - das ist in Ordnung, die gefährdeten Familien danken es. Doch die wirklichen Lösungen liegen in der Förderung der Produktion von Lebensmitteln auf der nationalen und auf der lokalen Ebene. Es ist auch nicht notwendig, Technologien außerhalb Guatemalas zu suchen. So wird uns zum Beispiel die Biotechnologie auf demagogische Art und Weise als die Lösung verkauft, um mehr zu produzieren, obwohl sie ihr Scheitern unter Beweis gestellt hat.
Jahrtausende altes Wissen nutzen
Die uralte mesoamerikanische Technologie, die von den hier lebenden Völkern vor über 5.000 Jahren entwickelt wurde, ist effizient in der Nutzung des Landes und der lokalen Ressourcen. Hier befindet sich der Schlüssel, um aus dem nationalen Debakel herauszukommen. Genau hier muss investiert werden in Forschung und Entwicklung von geeigneter Technologie. Die Demokratisierung des Zugangs zu Produktivressourcen ist ein weiterer Weg, den wir gehen müssen – auch wenn einige wenige dann ihre Privilegien verlieren.
Pablo Sigüenza Ramírez, Colectivo de Estudios Rurales Ixim, in: Alainet, deutsche Bearbeitung: Bernd Stößel