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Sicherheitsexperte Reveles: "Es kann auch Ausländer treffen"

28. Februar 2018: Solidaritätsdemo in Neapel für die entführten Landsleute. Foto: picture-alliance/Zumapress/E. Vicinanza
28. Februar 2018: Solidaritätsdemo in Neapel für die entführten Landsleute. Foto: picture-alliance/Zumapress/E. Vicinanza

Die letzte Nachricht stammt vom 31. Januar und ist eine Voicemail: "Wir sind an einer Tankstelle in Tecalitlán von der Polizei angehalten worden. Zwei Motorräder und ein Streifenwagen. Sie sagten, wir seien festgenommen und sollten ihnen folgen.” Dann verschwanden Raffaele, Antonio und Vicenzo.

Tecalitlán ist ein kleiner Ort im zentralmexikanischen Bundesstaat Jalisco, 700 Kilometer nordwestlich von Mexiko-Stadt, und die drei Italiener aus Neapel waren dort angeblich unterwegs, um Maschinen zu verkaufen. Der 60 Jahre alte Raffaele Russo ist der Chef eines größeren Familienclans, der 25-jährige Antonio ist sein Sohn, und Vicenzo Cimmino ein Neffe.

Dass Menschen in Mexiko spurlos verschwinden, ist an der Tagesordnung. Ausländer trifft es aber vergleichsweise selten. Dennoch hat sich die Sicherheitslage auch für sie verschlechtert. Die US-Regierung hat erst vor kurzem fünf Bundesstaaten auf die schwarze Liste der zu vermeidenden Reiseziele gesetzt; Jalisco gehörte allerdings nicht dazu. Und vor wenigen Tagen explodierte auf einer Fähre zwischen den Touristenorten Playa del Carmen und Isla Cozumel im Süden Mexikos eine Bombe und verletzte 24 Menschen, darunter fünf US-Amerikaner. Nachdem auf einer anderen Fähre noch ein zweiter mutmaßlicher Explosionskörper gefunden wurde, empfahlen die kanadische und die US-Botschaft ihren Landsleuten, auch diese Route aus den Reiseplanungen zu streichen.

Gegenseitige Vorwürfe

Im Falle der drei Italiener setzte die Familie sofort alle Hebel in Bewegung. Zwei weitere Söhne, die ebenfalls in Mexiko weilten, aber am fraglichen Tag nicht mit dabei waren, erstatteten Anzeige bei der Staatsanwaltschaft des Bundesstaates und schalteten die Botschaft ein. Sein Vater sei Rentner und verkaufe zur Aufbesserung seiner Pension in Mexiko auf Straßenmärkten Parfüms und Jacken, erklärte Francesco Russo. Am fraglichen Vormittag habe er mit ihm telefoniert. Sein Vater habe gesagt, er wolle mit dem Mietwagen eine Runde drehen um zu sehen, ob er etwas verkaufen könne, sagte er der Zeitung "Milenio". Nach 14.30 Uhr sei er aber nicht mehr ans Telefon gegangen. Der restliche Familienclan ging in Italien an die Medien. Im Fußballstadion von Neapel wurde bei einem Spiel des SSC Neapel sogar ein Transparent hochgehalten, in dem die Befreiung der drei gefordert wurde.

Die mexikanischen Behörden gingen daraufhin der Sache nach. Wie üblich wurden die Opfer zunächst erst einmal selbst verdächtigt. Die Familie Russo sei öfter in Mexiko und Raffaele im Bundesstaat Campeche schon einmal wegen Betrugs festgenommen worden, erklärte der Staatsanwalt von Jalisco, Raúl Sánchez Jimenez, auf einer Pressekonferenz. Sie verkauften demnach Generatoren und Zementmischer, angeblich renommierter deutscher Marken. Dabei handele es sich aber um chinesische Produktpiraterie. Man untersuche, ob auch in Italien etwas gegen sie vorliege. Später sickerte durch, Raffaele sei mit falschen Papieren eingereist - ein Vorwurf, den die Familie strikt zurückwies.

Polizisten im Verdacht

Daraufhin griff der italienische Außenminister Angelino Alfano zum Hörer und sprach mit seinem mexikanischen Amtskollegen Luis Videgaray. Italien sei "sehr besorgt um das Schicksal seiner Landsleute", teilte er anschließend mit. "Ich habe Videgaray persönlich für den Fall sensibilisiert und um eine rasche Aufklärung gebeten." Prompt nahm die Staatsanwaltschaft vier Polizisten fest, die an der Tankstelle zum Tatzeitpunkt unterwegs waren. Sie gaben anschließend zu, die Italiener festgenommen und an Kriminelle mutmaßlich vom Kartell Jalisco Neue Generation (CJNG) verkauft zu haben - für 43 Euro pro Kopf. Der Polizeichef von Tecalitlán ist seither untergetaucht. "Das ist der übliche Modus Operandi, damit verdienen sich Polizisten in ganz Mexiko ein Zubrot", sagt der Experte für Organisiertes Verbrechen und Buchautor José Reveles. "Es kann jeden treffen, der zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort ist oder die falschen Leute trifft. Auch Ausländer."

Mädchen landen so in der Zwangsprostitution, junge Männer werden als Angehörige feindlicher Kartelle ausgegeben und ermordet, und von Familien vermeintlich Wohlhabender wird Lösegeld erpresst. "Wir gleiten immer mehr ab in eine kriminelle Anarchie", so Reveles. Weil die Aufklärungsquote bei lediglich drei Prozent liegt, fühlen sich die Verbrecher ziemlich sicher. In diesem Falle hätten sie offenbar die diplomatischen Verwicklungen unterschätzt. Dennoch hält es Reveles für wenig wahrscheinlich, dass die Drahtzieher gefunden werden. "Mexikos Justiz ermittelt nicht, sondern produziert Schuldige", kritisiert Reveles. Auch Menschenrechtsorganisationen und die UNO bemängeln, dass bei Prozessen unter Folter erzwungene Geständnisse üblich sind. Laut der Strafrechtsreform, die 2016 landesweit in Kraft traf, dürfen Richter diese zwar nicht mehr als Beweise akzeptieren. Weil sie aber kaum andere vorgelegt bekommen, werden reihenweise auch Schuldige freigesprochen.

In Mexiko sind im vergangenen Jahrzehnt 30.000 Menschen verschwunden, 11 Prozent davon sind Ausländer. Jalisco steht dabei an vierter Stelle der besonders betroffenen Bundesstaaten. Weil die Behörden mit der Suche überfordert sind, haben sich zahlreiche Bürgerkollektive herausgebildet, die in Zusammenarbeit mit Menschenrechtsgruppen und Universitäten in ganz Mexiko auf eigene Faust ermitteln, DNA-Datenbanken erstellen und nach Massengräbern suchen.

Quelle: Deutsche Welle, Autorin: Sandra Weiss

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