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Religiöse Intoleranz in Brasilien nimmt zu

Candomblé-Zeremonie. Foto: Adveniat/Escher.
Candomblé-Zeremonie. Foto: Adveniat/Escher.

"Mach alles kaputt, alles, im Namen Jesu!" Lautstark verlangt einer der sieben bewaffneten Drogendealer von der Priesterin, ihre afrobrasilianischen Götterfiguren in dem religiösen Versammlungshaus zu zerschlagen.

"Du bist der größte Teufel! Alles Böse muss im Namen Jesu zerstört werden." Dann urinieren sie auf die zerstörten Figuren, reißen den Gläubigen mit dem Gewehrkolben ihre rituellen Halsketten vom Leib. Daraufhin stellen sie das Tatvideo online. Ein weiteres Video zeigt einen Priester, der erst sein Versammlungshaus einreißen und dann rituelle Halsketten zerreißen muss. Daneben droht ein Bandit mit einem Baseballschläger, in den "dialogo" eingeritzt ist - Dialog. "Beim nächsten Mal bring ich dich um", schreit der Mann mit dem Baseballschläger. "Die einzige Fahne hier ist die des TCP und die von Jesus Christus. Macumba wollen wir hier nicht. Sag allen, dass ich zu Jesus gehöre."

Drogendealer spielen die Sittenwächter

TCP ist die Drogenbande "Drittes Kommando", und "Macumba" ein Schimpfwort für afrobrasilianische Rituale: "Teufelszeug". Abgespielt haben sich die schrecklichen Szenen in der Peripherie von Rio de Janeiro. Hier sind die meisten Menschen dunkler Hautfarbe, afrikanischen Ursprungs. Inmitten eines Chaos aus Armut, Gewalt und Drogen spielen sich hier Drogendealer gern als Sittenwächter mit archaischen Methoden und verquerer Moral auf. Videos, in denen sie untreuen Ehefrauen die Haare abrasieren, zirkulieren ebenfalls im Internet.

In den Favelas wachsen die evangelikalen Kirchen am schnellsten. Binnen weniger Jahrzehnte ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung bereits auf über 20 Prozent gewachsen. Die Schuld an der allgemeinen Misere geben die Leute gerne den afrobrasilianischen Religionen, sagt Priesterin Dona Heloisa. "Tagtäglich werden wir von Evangelikalen angegriffen, die uns diskriminieren und sagen, dass wir Teufelsanbeter seien." Die Täter nennen sich "Soldaten des Glaubens". Viele wurden im Gefängnis von evangelikalen Pastoren bekehrt, die oft selbst einst Drogendealer waren. Seit rund zehn Jahren verbannen sie bereits afrobrasilianische Priester aus den Favelas. Doch eine solche Häufung von Fällen der Intoleranz ist neu. Seit Anfang August wurden Rios Behörden 32 Fälle gemeldet.

Hotline für Intoleranz meldet großen Anstieg von Meldungen

Insgesamt scheint Brasiliens bunt gemischte Gesellschaft rigider und diskriminierender zu werden. Gingen 2011 bei der landesweiten Hotline für Intoleranz gerade mal 15 Meldungen ein, waren es 2016 bereits 759. Auch Angriffe auf Spiritisten-Zentren oder christliche Kirchen wurden registriert; in mehr als zwei Dritteln der Fälle geht es aber gegen Afrobrasilianer.
"Die Zahlen steigen wegen der evangelikalen Gruppen", sagt Eder Jo Soares, Mitglied der afrobrasilianischen Gemeinschaft "Filhos de Gandhi" (Söhne Gandhis). Er verstehe nicht, was durch deren Köpfe gehe. "Wir wollen doch keine Heiligen Kriege hier in Brasilien."

Gemeinsam mit Hunderten Afrobrasilianern nahmen die "Filhos de Gandhi" am Wochenende an einem Protestmarsch gegen Intoleranz an der Copacabana teil. Mit dabei auch Spiritisten, Evangelikale, Lutheraner und Buddhisten. Auch Rios katholischer Erzbischof hatte zur Teilnahme aufgerufen. "Das ist mehr als Intoleranz, das sind schon Verbrechen", so Fabiane Gaspar von einer Spiritisten-Gruppe. "Die Politik muss Antworten geben." Doch die Politik scheint eher Teil des Problems zu sein. Seit Januar ist Marcelo Crivella Bürgermeister von Rio, ein "Bischof" der "Universalkirche vom Reich Gottes". Die von Crivellas Onkel Edir Macedo gegründete Kirche ist bekannt für ihre Ausfälle gegen afrobrasilianische Religionen. Und Macedos Ansprachen sind voller Aufrufe zum Kampf gegen den Teufel auf Erden.

Der Staat bleibt untätig

Crivella selbst hat in der Vergangenheit in Büchern und Reden Homosexuelle und Angehörige anderer Religionen verunglimpft. Das sei lange her, sagt er. Doch der Eröffnung des Karnevals, der in Rio ganz im Zeichen afrikanischer Traditionen steht, blieb er als erster Bürgermeister seit Jahrzehnten fern. Einer Gedenkstätte für versklavte Afrikaner im Stadtzentrum drehte er den Geldhahn zu. Als er im Mai die Genehmigungsverfahren für religiöse Veranstaltungen änderte, protestierten afrobrasilianischen Gruppen heftig. Zu den jüngsten Übergriffen schweigt Crivella.

"Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es die Polizei, die die afrikanischen Kultstätten zerstörte, jetzt sind es die Banditen", so der Priester und Anthropologe Pai Rodney. "Und der Staat schreibt durch seine Untätigkeit das Drehbuch für die Horrorszenen gegen das schwarze Volk und seine Kultur."

Autor: Thomas Milz (KNA)

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