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Argentinien |

Reform des Zivilrechts lässt indigene Kosmovision außen vor

Am 27. März präsentierten die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und der Präsident des Obersten Gerichtshofes, Ricardo Lorenzetti, der öffentlichkeit den Entwurf zur Reform des argentinischen Zivilgesetzbuches (Código Civil). In diesem Gesetzeswerk werden die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen physischen oder juristischen Personen (privat oder öffentlich) geregelt.

Über 2.700 Artikel wurden von rund 100 Juristen überarbeitet, sagte Lorenzetti im Interview mit der argentinischen Tageszeitung „Pagina 12“. Der Entwurf sei „ein absoluter Qualitätssprung“ so Präsidentin Kirchner, nachdem ihr das Werk vom Obersten Richter überreicht worden war.

Dringend notwendiger Wertewandel

Der Vorstoß kam gut an bei Politikern, Juristen und auch Medienvertretern. Darüber, dass das Zivilgesetzbuch dringend überarbeitet werden muss, ist man sich einig. Es datiert aus dem Jahr 1865. Anfang 2011 wurde durch den Präsidentenerlass 191/2011 die Bildung einer Kommission aus Juristen verfügt, die sich dieser Aufgabe annehmen sollte. Sie haben Großes vor, denn nicht nur das Zivilrecht soll überarbeitet, auch das Handelsrecht soll aktualisiert und bestehende Widersprüche zwischen Handelsrecht und Zivilrecht ausgebügelt werden.

Vor allem spreche aus dem Entwurf ein dringend notwendiger Wertewandel, da zwar viele Einzelgesetze inzwischen geändert worden seien, aber die Basis der Regelungen noch aus dem 19. Jahrhundert stamme, erläutert Lorenzetti gegenüber Pagina12. Zum Beispiel die Rechte der Frau würden gestärkt, Ehe und Zusammenleben von Paaren neu geregelt, die Rechte von gleichgeschlechtlichen und nicht verheirateten Paaren verbessert, die Adoptionsregeln geändert. Die öffentlichkeit diskutiert und verfolgt diese Themen angeregt mit.

Indigene Kosmovision

Ein Aufschrei scheint jedoch bisher fast ungehört zu verhallen: Organisationen, welche die indigenen Völker Argentiniens vertreten, schlagen wegen der geplanten Reform Alarm, wie die Nachrichtenagentur Servindi berichtet.

Der Entwurf verletze die Rechte der Indigenen, so der grundlegende Vorwurf. Die Besonderheiten ihrer Kosmovision und ihres Zusammenlebens fänden in der Novelle bisher keinerlei Berücksichtigung. Beim Versuch, indigene Gemeinschaften rechtlich zu fassen, sei vorgesehen, sie unter das Vereinsrecht und Stiftungsrecht zu subsumieren – worin die Organisationen den Versuch sehen zu negieren, dass die indigenen Völker vor der Errichtung des argentinischen Staates auf dem Territorium des Landes lebten, was in der Verfassung anerkannt wird.

Territorien oder Immobilien?

Klammheimlich würden Hintertüren aufgemacht, um „in jahrzehntelangen Kämpfen errungene und in der Verfassung festgeschriebene Rechte durch ein neues Zivilrecht zu beschneiden“, warnt der Plurinationale Rat der Indigenen (CPI) in einem Kommuniqué. Besonders zeige sich das an den Regelungen für Landbesitz, Territorien und natürliche Ressourcen.

Und manches Mal seien es nur kleine, aber juristisch bedeutsame Verschiebungen von Termini. Ein Beispiel: Indigene Völker haben das Recht, ihre Territorien zu verwalten und zu kontrollieren. Dieses Recht ist international und verfassungsrechtlich anerkannt und festgeschrieben. Im Gesetzentwurf werde jedoch von „unbewegliche Sachwerte“ (Immobilien) gesprochen, wenn es um das Land der Indigenen gehe. Der Begriff „Sache“ stehe im direkten Bezug zum Konzept des Bodens. Nicht verwendet werde hingegen der in der argentinischen Verfassung benutzte Begriff „Territorium“, der nach Ansicht der CPI indigenes Siedlungsgebiet adäquat beschreiben würde. Damit werde nicht nur die Gültigkeit eines Rechts, das bereits in der Verfassung und in internationalen Verträgen, wie dem Übereinkommen über die Rechte indigener Völker festgeschrieben ist, beschnitten.

Indigene Perspektive ausgeklammert

Es werde eben auch die Beziehung der indigenen Völker zu ihren Territorien auf eine materielle und rein ökonomische Perspektive herunter reduziert, bei der es nur um den Quadratmeter Boden geht. Die kulturelle und kosmologische Dimension der Territorien finde keine Berücksichtigung, so die empörte Kritik der CPI.

Auch werde im Artikel 2028 die Existenz der indigenen Kultur nur auf ländliche und bäuerliche Gemeinden und Gemeinschaften beschränkt. Dies gehe an der Realität völlig vorbei, denn viele indigene Gemeinschaften sind in städtische Räume migriert.

Überflüssig scheint da schon fast die Anmerkung, dass auch das Recht auf vorherige, freie und informierte Konsultation, wie es im internationalen ILO-Abkommen 169 festgeschrieben ist, laut Indigenenrat im Artikel 2038 zurechtgestutzt ist auf „Information und Konsultation“. Das ist besonders relevant, denn immer wenn es um die Mitbestimmung und Entscheidung über das Nutzen von natürlichen Ressourcen in indigenen Territorien geht, wird diese Regelung wichtig.

Schließlich, so kritisiert der CPI, hätten die indigenen Völker qua Gesetz bei der Formulierung der Reform des Zivilrechts mit einbezogen werden müssen. Vorgesehen ist die Beratung mit Institutionen, welche die indigenen Völker vertreten. Man hab sogar den „Rat für indigene Partizipation“(CPI), der vom Entwicklungsministerium gegründet worden ist, nicht hinzugezogen, heißt es in der Erklärung des Plurinationalen Rates der Indigenen.

Kirchners Versprechen

Das Observatorium für die Menschenrechte Indigener Völker (ODHPI) erklärt, die derzeitigen Reformpläne „können ein schwerer Rückschritt für die indigenen Völker Argentiniens bedeuten“. Auch die Vereinigung der Anwälte für Indigenes Recht (AADI) konstatieren, die Neuformulierung sei inspiriert von den eigenen Beziehungen gemäß des Privatrechts und werde der indigenen Kosmovision nicht gerecht.

Der Plurinationale Rat der Indigenen hat sich im Jahr 2010 selbst für eine Reform des Zivilrechts ausgesprochen, so ODHPI. Man sei keinesfalls gegen diese dringend notwendige Reform, unterstrich kürzlich Jorge Nahuel, vom Dachverband der Mapuche aus Neuquén (CMN), der Mitglied im Plurinationalen Rat ist und das Thema vor der UNO ausführte. “Das Gemeineigentum der Indígenas darf nicht in einem Korsett des Zivilrechts steckenbleiben sondern muss in einem speziellen Gesetz geregelt werden, so wie es die Präsidentin während der Feiern zum Bicentenario versprochen hat“, fordern nun mehrere Organisationen in einem Aufruf.

Autorin: Bettina Hoyer

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