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Raus aus der Lateinamerika-Defensive

Deutschland will wieder enger mit Lateinamerika zusammenarbeiten. Die geplante Offensive zeigt aber auch: Viel zu lange hat Deutschland die Region vernachlässigt.

Adveniat Lateinamerika Brasilien Wirtschaft

Dr. Reinhold Festge, Vorsitzender der Lateinamerika-Initiative der Deutschen Wirtschaft, spricht zum Thema "Brasilien" im September 2013 bei der IHK in Essen. Foto: Adveniat/André Schmidt

Andreas Renschler ist kein Mensch, der groß um den heißen Brei herumredet. Vielleicht ist der Vorsitzende des Lateinamerika-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft deswegen genau der Richtige, um den Status quo der deutsch-lateinamerikanischen Wirtschaftsbeziehungen zu beschreiben. Der VW-Manager wählt auf der Lateinamerika-Konferenz in Berlin, zu der 20 Außenminister der Region gekommen waren, deutliche Worte: "Die deutsche Wirtschaft ist dabei, den Anschluss zu verlieren. Reicht unser Engagement in der Region? Die Antwort ist: 'Nein!'" Oder in Zahlen ausgedrückt: Nur 2,6 Prozent der deutschen Exporte gehen nach Lateinamerika.

Beim Engagement Deutschlands vom argentinischen Feuerland im Süden Lateinamerikas bis ins mexikanische Tijuana im Norden zeigt sich exemplarisch, was auch in Deutschland selbst seit einigen Jahren zu beobachten ist: Leben von der Substanz, Ausruhen auf den Lorbeeren und wenig Mut für Innovationen. "Made in Germany" hat immer noch einen guten Klang, aber droht die Entwicklung im globalen Wettbewerb zu verschlafen, während die Konkurrenz putzmunter ist - vor allem die aus Fernost. "China hat in den letzten zehn Jahren über 75 Milliarden Euro Direktinvestitionen in Lateinamerika gezahlt, plus Kredite von 150 Milliarden Euro", nennt Andreas Renschler Zahlen. Deutschland dagegen schenke Lateinamerika deutlich zu wenig Beachtung. "Wir brauchen dringend eine langfristige Strategie, gemeinsam mit der Politik. Und bitte keine Eintagsfliege!", fordert der deutsche Manager.

China stößt ins Vakuum, das Deutschland hinterlassen hat

Heiko Maas scheint dies verstanden zu haben. "Lateinamerika ist zu lange aus unserem Blick geraten", räumt der deutsche Außenminister ein. Vor einem Monat hat Maas Brasilien, Kolumbien und Mexiko besucht, jetzt will er die lange vernachlässigten Beziehungen wieder in Schwung bringen. Im Gespräch mit der DW sagt Maas: "Ich glaube auch, dass mittlerweile dem einen oder anderen aufgefallen ist, dass das chinesische Engagement, die Finanzierung von Infrastrukturprojekten zum Beispiel, auch gerne genutzt wird, um den politischen Einfluss zu erhöhen. Das gefällt nicht jedem." Viele suchten nach Alternativen und wünschten sich, dass aus Europa mehr Angebote kommen, so Maas.

Geht es bei dem Neustart der Beziehungen also nur um die Wirtschaft, darum, dass Deutschland "wieder seinen angestammten historischen Platz in der Region zurückerobert", wie es der argentinische Außenminister Jorge Faurie ausdrückt? Dass Deutschland endlich den Kampf mit China in Lateinamerika aufnimmt, wie es Joe Kaeser, der Vorstandsvorsitzende von Siemens, vehement fordert ("Das beste Team soll gewinnen! Das ist Wettbewerb!")? Und dass Deutschland dabei immer noch den Vorteil hat, für "anständige Arbeit zu stehen", wie Alicia Bárcena von der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik lobt? Heiko Maas will auch bei den politischen Beziehungen zu Lateinamerika auf den Reset-Knopf drücken. Daher die Entscheidung, "Lateinamerika und die Karibik höher auf die Agenda deutscher Außenpolitik zu setzen."

Maas setzt auf Multilateralismus

Die Rechnung des deutschen Außenministers ist denkbar einfach: Zusammen sind Europa und Lateinamerika 62 Länder und eine Milliarde Menschen. Also durchaus ein Faktor in der internationalen Politik, gerade vor dem Hintergrund, dass Deutschland seit April für zwei Jahre Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist - und dort Themen wie Menschenrechte, Migration und Klimaschutz in den Vordergrund rücken will. "In einer Welt, in der das Recht des Stärkeren die Stärke des Rechts ersetzt, können Europa, Lateinamerika und die Karibikstaaten nur verlieren", verweist Maas auf die aggressive Außenpolitik Chinas, der USA und Russlands. Europa und Lateinamerika dagegen seien keine Supermächte: "Für uns gilt: Wenn wir mitreden wollen, brauchen wir Verbündete!"

Deutsche Unternehmer verhalten optimistisch

Stößt die deutsche Lateinamerika-Offensive aber auch auf die notwendige Gegenliebe? Deutschlands Unternehmer sind sich sicher, dass Heiko Maas damit offene Türen einrennt. "Alle Außenminister, mit denen ich gesprochen habe, finden es ganz hervorragend, dass ihnen endlich die Aufmerksamkeit zuteil wird, die ihre Region verdient", sagt Bodo Liesenfeld. Der Vorstandsvorsitzende vom Lateinamerika Verein e.V. kritisiert gleichzeitig das Bild, das viele in Deutschland immer noch von Lateinamerika hätten: "In den Köpfen vieler Menschen gilt der Kontinent immer noch zu Unrecht als schwierig und risikoreich."

Ein Risiko, das China in der vergangenen Dekade nicht gescheut hat - sei es beim Bau von Ölraffinerien, im Bergbau oder auch bei Wasserkraftwerken. Vor allem in Venezuela, Brasilien, Argentinien und Ecuador hat China seinen Einfluss rasant ausgebaut, ist in vielen Ländern mittlerweile wichtigster Handelspartner. "In China ist auch nicht alles Gold, was glänzt", hält Reinhold Festge, der Vorsitzende der Deutschen Lateinamerika-Initiative der Deutschen Wirtschaft, dagegen. Deutschland kann insbesondere mit dem Pfund wuchern, auch Menschenrechts- und Umweltstandards einzuhalten. "Und dann bieten wir noch die Ausbildung. Auf dem Gebiet sind die Chinesen deutlich zurückhaltender," betont Festge.

Lateinamerika muss an einem Strang ziehen

Doch klar ist: Deutschland und die Europäische Union müssen den vielen Worten endlich Taten folgen lassen. "Ein Freihandelsabkommen zwischen den Mercosur und der Europäischen Union wäre da ein wichtiges Zeichen", erklärt Oliver Stuenkel, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität in Sao Paulo. Die Verhandlungen also, die erfolglos seit mittlerweile zwei Jahrzehnten geführt werden. Die Initiative Deutschlands und der Europäischen Union zeige Lateinamerika auch, wie wichtig es für die Länder Lateinamerikas sei, an einem Strang zu ziehen, so Stuenkel. "Der große Fehler in den vergangenen Jahren war immer, zu kurzfristig zu denken und nie zu überlegen, welche Themen die gesamte Region angehen." Nur wenn Lateinamerika und die Karibik zusammenhielten, könne man sich geopolitisch gegen die USA oder China behaupten. Das Fazit des Lateinamerika-Experten: "Wir haben es zwischen 1995 und 2010 gesehen, wo positives Wachstum auch die Ungleichheit reduziert hat. Die Wirtschaftsbeziehungen zu Europa können helfen, die Region zu stabilisieren."

Quelle: Deutsche Welle, Autor: Oliver Pieper

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