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Neue Dinge - radikale Sprache: Narco-Literatur Teil III

Im Gegensatz zu Kolumbien finden Romane über den Drogenhandel in Mexiko nicht Hunderttausende von Lesern, weil generell wenig gelesen wird, und 4.000 Exemplare schon eine hohe Auflage sind. Alma Guillermoprieto glaubt, dass ihre Landsleute nur zögerlich zu Romanen greifen, die den Drogenhandel reflektieren, weil sie sich nicht noch mehr deprimieren wollen als sie es ohnehin schon sind.

Amerikanische Thriller-Autoren wie Tom Clancy oder Don Winslow, die das lateinamerikanische Drogenmilieu als exotischen Schauplatz zeigen, haben dagegen mehr Erfolg, nicht zuletzt, weil alles, was aus den USA kommt, in Mexiko sehr viel Prestige genießt. Winslows Tage der Toten, 2010 auf Deutsch erschienen, handelt vom erbitterten Kampf der Kartelle untereinander und von der unheilvollen Rolle, die US-Drogenfahnder dabei spielen. Kein schlechtes Buch, was die Schilderung der mexikanischen Drogenhandelsszene angeht, urteilt Alma Guillermoprieto über Tage der Toten. Und es ist äußerst spannend. Für Clancys gerade erschienenen Thriller Gegen alle Feinde gilt dies auch. Auch er schildert das Milieu der Drogenmafia in Kolumbien und Mexiko und vor allem die herrschende Gewalt sehr eindringlich, doch stilistisch und sprachlich kann er Winslow nicht das Wasser reichen.

Musikalische Literatur

Corridos nennt man in Mexiko ein traditionelles musikalisches Genre, das Geschichten erzählt und früher auch der Informationsübermittlung diente. Handeln diese Lieder vom Drogenhandel, bezeichnet man sie als Narco-Corridos. Von einem Sänger solcher Corridos erzählt der Roman Abgesang des Königs von Yuri Herrera. Lobo heißt sein Held, der durch Kneipen tingelt und kaum über die Runden kommt. Als ihn eines Nachts ein Betrunkener nicht für seine Darbietung bezahlen will, kommt dem Sänger ein Drogenboss zu Hilfe: Er erschießt den Trunkenbold. Weil er glaubt, dann ausgesorgt zu haben, bietet sich Lobo dem Drogenkönig als Hofsänger an. An diesem Hof, einem prunkvollen Palast, gehen korrupte Polizisten und Politiker ein und aus, suchen Priester um Finanzierung ihrer Kirchen nach und ein Journalist sorgt für das gute Image des Königs. „Die Riten und die Aura der Macht, die diese Drogenhändler umgibt, haben diese nicht erfunden,“ so Yuri Herrera. Das ist einer der Gründe, warum er seinen Mafiaboss den König nennt: „Ich glaube, dass die mythische Aura, die diese Figur umgibt, sehr der der Potentaten von einst ähnelt, die nie jemandem Rechenschaft ablegen mussten und sich mit Leuten umgaben, die sie ständig hofierten, und die über das Leben ihrer Untertanen entscheiden konnten.“

Neue Dinge fordern eine radikale Sprache

Yuri Herreras Sänger erkennt schließlich, dass in Abhängigkeit keine Kunst entsteht, und es gelingt ihm, sich abzusetzen. Yuri Herreras Sprache pendelt zwischen zwei Extremen: Den äußeren Schein, den Hof und die Figur des Königs, beschreibt er mit erhabenen, feierlichen Worten, wie sie einem Potentaten angemessen sind. In den knappen Dialogen und in seiner Beschreibung der Dinge, die an diesem Hof geschehen, benutzt der Autor dann eine Umgangs-, ja Vulgärsprache. Es ist dieser Kontrast, der schockiert und mahnt, sich nicht vom Reichtum blenden zu lassen. „Neue Dinge fordern eine radikale Sprache“ heißt es denn auch im Klappentext von Herreras Romans.

Drogenhändler schaffen neue Worte und Sätze

Auch der Stil von Elmer Mendozas Krimis verwirrt zunächst, denn der Autor wechselt immer wieder die Perspektive mal berichtet er aus der Sicht des Polizeidetektivs, dann wieder beobachtet er das Geschehen als unabhängiger allwissender Erzähler. Zudem verzichtet er darauf, Mendietas innere Monologe sowie die Dialoge durch An- und Abführung vom Text abzuheben, so dass die Zuordnung auch hier manchmal Mühe macht. Doch die Form korrespondiert perfekt mit dem Inhalt: Der Leser hat anfänglich die gleiche Mühe, sich zurechtzufinden wie Mendieta, der angesichts sich dauernd verschiebender Fronten sich ständig neu orientieren muss.

Kolumbiens Drogenhändler, so schrieb der Schriftsteller Sergio Álvarez kürzlich in einem Aufsatz über die Narco-Literatur seines Landes, schaffen neue Worte und Sätze, die ihnen helfen, sich mit ihrem Drogen-Clan zu identifizieren und sich präzise untereinander zu verständigen. Viele ihrer Wortschöpfungen springen schnell auf den Rest der Gesellschaft über und kolonisieren deren Sprache, hat Álvarez beobachtet. Diese Wortschöpfungen sind beispielsweise aus dem Englischen abgeleitet oder aus Abkürzungen entstanden. So wurde das englische Wort für Mann, man, seit dem Ende der Achtzigerjahre in Medellíns Banden für „Typ“ benutzt. Heute steht un man umgangssprachlich in ganz Kolumbien für einen Typen, auch in der Literatur. Sergio Álvarez´ eigener Roman, 35 Tote, der sich mit der Geschichte der Gewalt im Kolumbien der letzten fünfzig Jahre auseinandersetzt und dabei naturgemäß auch den Drogenhandel aufgreift, bedient sich allein der Umgangssprache und hat viele dieser neuen Wortschöpfungen aufgegriffen. Leider ist diese Sprachentwicklung kaum ins Deutsche zu übersetzen.

Die Kolumbianerin Laura Restrepo, die derzeit bekannteste Schriftstellerin ihres Landes, nutzt in ihrem 2009 bei uns erschienenen Roman Land der Geister die Vulgärsprache der Drogenbanden, in der beispielsweise Frauen zu Stuten werden, um aufzuzeigen, dass die gepflegte Sprache der alteingesessenen, besseren Gesellschaft nur verschleiert, dass sie längst mit der Mafia gemeinsame Sache macht. Restrepo erzählt von einer psychisch kranken jungen Frau aus der vornehmen, alten Oberschicht, die an der Doppelmoral und am Werteverfall in ihrer längst vom Drogenhandel abhängigen Familie zerbrochen ist. Jorge Franco thematisierte in Die Scherenfrau noch die Kluft zwischen Oberschicht und Mafia-Killerbanden. Laura Restrepo zählt zu den kolumbianischen Autoren, die sich mit den Veränderungen auseinandersetzen, die das nun bald vierzigjährige Treiben der Mafia in der Gesellschaft ihres Landes bewirkt hat. Das schnelle Geld lockt Menschen aus allen Schichten und hat mehr als jedes andere Gewerbe selbst festgefügte Klassengrenzen ein Stück weit unterhöhlt.

Autorin: Eva Karnofsky

 

Die Romane:

Sergio Álvarez: 35 Tote. Aus dem Spanischen von Marianne Gareis. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, 546 Seiten, EUR 14,95.

Tom Clancy und Peter Telep: Gegen alle Feinde. Aus dem Amerikanischen von Michael Bayer. Wilhelm Heyne Verlag, München 2012, 847 Seiten, EUR 24,99.

Jorge Franco: Die Scherenfrau. Aus dem Spanischen von Susanna Mende. Unionsverlag, Zürich 2004. 183 Seiten. Nur noch antiquarisch erhältlich.

Yuri Herrera: Abgesang des Königs. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2011, 142 Seiten, EUR 14,00.

Elmer Mendoza: Silber. Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 262 Seiten. EUR 8,95.

Elmer Mendoza: Das Pazifische Kartell. Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 312 Seiten, EUR 9,30.

Laura Restrepo: Land der Geister. Aus dem Spanischen von Elisabeth Müller. Luchterhand Literaturverlag, München 2009. 383 Seiten, EUR 9,90.

Don Winslow: Tage der Toten. Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 689 Seiten, EUR 14,95.

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