Musik hilft gegen Armut
Der 12-jährige José bläst in seine Trompete und liefert sich einen Wettkampf mit seinem Mitschüler Javier, wer den lauteren Ton hervorbringt. Im Andendorf Chupa in der Nähe des Titicaca-Sees steht heute Musikprobe auf dem Stundenplan, die Blaskapelle soll bei der anstehenden Kirchweihe die Prozession anführen. José und Javier lernen ihr Instrument durch das Gehör, Noten haben sie noch nie gesehen und die Namen der europäischen Komponisten von Bach bis Mozart sind ihnen unbekannt.
Das ging Juan Diego Florez vor 20 Jahren auch nicht anders. Der Jugendliche aus Lima sang die Volkslieder seiner Heimatstadt, hatte sogar eine eigene Rockband. Weder seine Familie noch er hatten je klassische Musik angehört. Dies änderte sich erst, als Juan Diego Florez als Jugendlicher im Konservatorium in Lima sein Gesangsstudium aufnahm. Heute gilt der 39-jährige Peruaner mit den schwarzen Locken und den braunen Augen als weltweit berühmter Vertreter des Bel Canto und wird als Nachfolger von Luciano Pavarotti gehandelt. Als einer der ganz wenigen Sänger kann der peruanische Startenor mühelos und mehrmals das Hohe C singen.
Spiritueller Reichtum gegen materielle Armut
Nachdem Juan Diego Florez die Opernbühnen der Welt bereits erobert hat, möchte er mit Musik den Kindern seiner Heimat Peru neue Chancen eröffnen. „Ein armes Kind mit einem Musikinstrument ist nicht mehr arm“, sagt Juan Diego Florez in Lima. Er hat das Projekt „Sinfonía por el Peru“ ins Leben gerufen. Gesponsert von Privatfirmen und Gemeinden errichtet er im ganzen Land Musikschulen, in denen Kinder und Jugendliche kostenlos ein Instrument erlernen und in einem Jugendorchester spielen können. „Man kann die materielle Armut mit dem spirituellen Reichtum der Musik bekämpfen“, davon ist Florez überzeugt.
Großes Vorbild sind die Kinder- und Jugendorchester in Venezuela. Dort hat der Musiker und Wirtschaftsprofessor José Abreu in über 25 Jahren ein staatlich gefördertes landesweites Netz von Musikschulen errichtet, das heute Weltruf genießt. „El Sistema“ wie die Organisation der Musikschulen in Venezuela abgekürzt heißt, soll nun auch Perus Musikerausbildung umkrempeln. Um die steht es bisher nämlich recht schlecht. Gerade mal ein staatliches Konservatorium kann die Acht-Millionen-Stadt Lima vorweisen, und selbst dieses leidet unter Geldmangel.
Traditionen aus den Anden mit klassischer Musik verbinden
Sponsoren findet Florez denn auch weniger beim Staat sondern in erster Line bei Privatfirmen, die im boomenden Peru gute Geschäfte machen. „Rund 350.000 Euro kostet der Unterhalt einer Musikschule für drei Jahre, das ist für viele Firmen nicht viel“, erzählt Florez. Dafür ist der Gewinn für die jungen Musiker umso größer: „Wer ein Instrument spielt, ist auch in der Schule besser, ist aufmerksamer“.
Der Tenor möchte, dass in den „núcleos“ genannten Musikschulen die andinen Traditionen mit der klassischen Musik verbunden werden. „Ich träume davon, dass die Musiker von Puno und Cusco in ihren traditionellen Gewändern Bach oder Beethoven spielen. Stell Dir vor, wie begeistert die Europäer wären“.
Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Für José und Javier, die jungen Trompeter aus Chupa, klingen Beethoven und Bach vorerst noch wie Melodien aus einer fremden Welt.
Autorin: Hildegard Willer, Lima