Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Kolumbien |

Menschenrechtler warnen vor Freihandelsvertrag

Dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen Kolumbien und der EU müssen Europaparlament und Bundestag noch zustimmen. Dazu sollte es besser nicht kommen, meinen Diskussionsteilnehmer aus Kolumbien und Deutschland in Berlin. Denn es mache den Bock zum Gärtner.

Mehr als fünf Millionen von Paramilitärs und Armee vertriebene Binnenflüchtlinge, 2.500 von der Armee außergerichtlich Ermordete zwischen 2004 und 2008, 12.632 gewaltsam Verschwundene laut Angaben des UN-Hochkommissars - die kolumbianische Anwältin María del Pilar Silva Garay vom Anwaltskollektiv „José Alvear Restrepo“ hat aus ihrer Heimat ein schier unerschöpfliches Reservoir an erschreckenden Zahlen zum Diskussionsforum mit deutschen Organisationen mitgebracht.

Freihandel trotz bewaffnetem Konfikt?

„Kolumbien ist ein Land im Krieg!“, unterstreicht María del Pilar. Deshalb dürfe es auch keinen Freihandel geben. Die Situation der Menschenrechte werde sich dadurch nicht verbessern, eher noch verschlechtern. „Gestern erst erreichte uns wieder eine Nachricht, dass ein Richter, der in einem Prozess gegen einen Paramilitär ermittelte, umgebracht worden ist“, fügt sie hinzu.

Engagement für Menschenrechte oder Umwelt - in Kolumbien ist das lebensgefährlich. Weil das so ist, haben auch Gewerkschaften einen schweren Stand. Die Arbeitsrechte führen ein kümmerliches Dasein, denn niemand kann sie durchsetzen. Die meisten Verträge sind „contrato basura“, „Verträge für den Papierkorb“, erklärt Gewerkschafterin Nohora Tovar, Vizepräsidentin der Gewerkschaft Fetramecol und Geschäftsführerin des Gewerkschaftsdachverbandes CTC. In solchen Verträgen sei dann festgelegt, dass Arbeiter selbst für die Krankenversicherung aufkommen müssen, selbst ihre Arbeitskleidung kaufen müssen und ähnliches.

Bereits neun ermordete Gewerkschafter in 2011

Zudem sind ohnehin fast 60 Prozent der arbeitenden Bevölkerung im informellen Sektor tätig, nur 39 Prozent der Beschäftigten insgesamt krankenversichert und nur vier Prozent überhaupt in der Gewerkschaft organisiert. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden bereits elf Gewerkschafter umgebracht. „Die internationale Arbeitsorganisation hat inzwischen 39 Verweise ausgesprochen, aber passiert ist nichts“, erklärt Tovar. Streikrecht und Versammlungsrecht würden missachtet. "Wer an einer Gewerkschaftsversammlung teilnimmt, ist anderntags oft schon entlassen.

Der geplante Freihandel, so Tovar, wird vor allem die vielen kleinen und mittleren Unternehmen, Handwerksbetriebe und informellen Firmen hart treffen und zu Pleiten führen, befürchtet die Gewerkschafterin. Erst einmal würden viele Menschen Arbeit verlieren. Ob neue Arbeitsplätze geschaffen werden, sei äußerst fraglich. Derartige Vorhersagen für Freihandelsverträge hätten sich bisher noch in keinem Fall erfüllt, erklärt David Hachfeld von Oxfam.

Gewerkschafter fürchtet Backlash auf deutsche Arbeitsverhältnisse

Thomas Isensse von der Gewerkschaft GEW unterstreicht, dass die Unterzeichnung eines Freihandelsvertrages mit einem Land, indem derartig prekäre Arbeitsbedingungen vorherrschen, auch einen Backlash auf die Arbeitsbedingungen in Europa nach sich ziehen würde. Die Unterzeichnung des Papiers wäre deshalb ein "Alarmzeichen", und ein falsches Signal an Unternehmen in Europa, wo Arbeitsrechte ebenfalls jetzt schon hart umkämpft sind.

Besonders dramatisch ist die rechtliche Situation derzeit in der Landwirtschaft. Oft fehlen den Kleinbauern und Indigenen rechtsgültige Landtitel, weshalb der Boden dann einfach in den Schreibstuben der Behörden an Konzerne vergeben werden kann. Doch auch wenn Titel vorhanden sind, wird dies missachtet. Stefan Ofteringer von Misereor berichtet, dass seine Organisation erst vor kurzem Kenntnis davon erhalten habe, dass an der Pazifikküste Kolumbiens 140 Konzessionen auf Land von afrokubanischen Gemeinden vergeben worden seien, für die Rechtstitel vorliegen. Kolumbiens Regierung habe erklärt, in Zukunft auf extensive Rinderzucht, Palmöl und Kautschuk zu setzen. Künftig solle die Entwicklung von Agrarindustrie und Bergbau forciert werden.

Gewaltsame Vertreibung für Großprojekte

Für diese Agarindustriepläne werden riesige Flächen gebraucht. Da scheint es sich gut zu fügen, dass durch die Vertreibung im Zuge des Bürgerkrieges mehr als 5 Millionen Hektar Land „verfügbar“ sind. Land, für das die Vertriebenen meist gar keine Titel hatten, so dass sie es auch nicht werden zurückfordern können. Misereor sei schon seit langem dabei, Daten darüber zu sammeln, dass die Ausschreibung von Großprojekten und die Verabschiedung von Gesetzen zu Landnutzung darauf abzielten, Konzessionen für diese scheinbar freien Flächen vergeben zu können. „Es ist auffällig, dass Großprojekte häufig auf diesem Land angesiedelt sind“, so Ofterdinger.

Die Kleinbauern, so Tovar, sind zudem am allerwenigsten gewerkschaftlich organisiert. Unter ihnen gibt es die meisten Vertriebenen. Sie haben keine Titel für das Land, auf das sie geflüchtet sind und die reale Bedrohung durch Paramilitärs oder Armee sei besonders hoch.

„Den Bock zum Gärtner machen“

Es steht also zu befürchten, dass weiter Menschen vertrieben werden, um Fläche zu schaffen. Der Vertragstext des geplanten Abkommens enthalte zwar eine lange Liste von Klauseln über Menschenrechte, doch ein Kontrollmechanismus für die Einhaltung dieser Vorschriften, fehle, so der Berater für Menschenrechte bei Misereor. Da der kolumbianische Staat nachgewiesenermaßen aktiver Menschenrechtsverletzer ist, würde man bezüglich der Einhaltung von Menschenrechtsklauseln „bei den derzeitigen Regelungen den Bock zum Gärtner machen“, so Ofterdinger.

Kommt der Vertrag zustande, würden kolumbianische Bauern, die keinerlei Subventionen erhalten, mit subventionierten EU-Produkten konkurrieren müssen. Die Gäste aus Kolumbien rufen bei der von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen organisierten Veranstaltung dazu auf, eine breite Debatte in öffentlichkeit und unter Parlamentariern zu forcieren, um das Abkommen zu verhindern. „Die Multis, denen dieser Vertrag besonders nützt, sind keine kolumbianischen Firmen!", unterstreichen Maria del Pilar und Nohora Tovar.

Autorin: Bettina Hoyer

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