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Bolivien |

Las Ñatitas Totenschädel als Schutzengel

Ñatitas in Bolivien (Foto: Laurine Zienc)
Ñatitas in Bolivien (Foto: Laurine Zienc)

Die Straßen von La Paz sind voller Menschen. Eine Band spielt laut Musik. Einlasskontrollen am Eingang des Hauptfriedhofs: Taschen werden durchsucht, Fotos sind verboten, Polizisten patrouillieren mit Waffen. Denn alle wollen hier hin. Am 8. November wird der Hauptfriedhof zum Schauplatz eines der größten Feste der Bolivianer. Sie feiern ihre Ñatitas, die Totenschädel ihrer Verstorbenen.

Familien sitzen am Rand der Friedhofswege, auf kleinen Mauern oder Bänken. Vor ihnen liegt eine Ñatita oder mehrere. Der Name stammt von "ñato", was so viel wie „stumpfnasig“ heißt. Und so eine flache Nase haben auch die Schädel. Manche liegen in einem Karton, andere sind geschützt in einem Glaskasten. Aber sie alle sind mit bunten Blumen und Kokablättern geschmückt. Manche tragen Mützen, andere Brillen. Neben fast jedem Schädel steht Alkohol oder eine Coca-Cola-Flasche ein Zeichen der Wertschätzung.

Ñatitas als Glücksbringer

Es ist dieser eine Tag im Jahr, an dem die Indigenen Boliviens ihre Ñatitas aus dem Haus tragen. Es ist der Tag der Seelen, der Tag der Totenköpfe. „Ñatitas stehen sonst auf einem Schrein im Wohnzimmer. Sie sollen die Familie beschützen und Segen bringen. Vielleicht vergleichbar mit dem christlichen Kreuz an der Wand. Sie gehören zum Alltag“, sagt Daniel. Er ist Stadtführer in La Paz und indigen. Er weiß, wie verstörend die Schädel auf Besucher wirken können. „Die Menschen glauben, die Ñatitas bringen ihnen Glück und beschützen sie, wenn sie auf ihre Seelen aufpassen. Sie sind eben ein Teil der Familie.“ Und das seit Generationen.

Wenn ein Familienmitglied starb, konnten früher die Verwandten den Schädel aus dem Grab entfernen und nach Hause mitnehmen. Die Wenigsten haben noch den Schädel eines leiblichen Verwandten zuhause. „Heute ist das nicht mehr möglich. Die Politik hat stark eingegriffen und Gesetze verbieten das“, sagt Daniel. Es gebe aber einen inoffiziellen Markt für Ñatitas. „Wenn ein Grab aufgelöst oder nicht mehr gepflegt wird, verkaufen Friedhofsmitarbeiter die Schädel“, so der Stadtführer. Die Ñatitas sind dann fremd und anonym, sollen dem Besitzer aber im Traum ihre Identität verraten so der Glaube.

Grabschändung oder spirituelles Ritual?

Mit Glaube habe das wenig zu tun. So zumindest die Ansicht der katholischen Kirche. Sie sieht im Ñatita-Kult die Störung der Totenruhe. 2008 hat sie deshalb den Tag der Ñatitas als „nicht christlich“ eingestuft und eine Messe samt Segnung, wie sie bis dahin gefeiert wurde, abgelehnt. Nichtsdestotrotz hat das Fest weiterhin katholische Elemente wie die kollektive Segnung auf dem Zentralfriedhof in La Paz. Danach wird mit und zwischen den Toten gefeiert. „Es wird getrunken und getanzt“, sagt Daniel. „Alles voller Hingabe und Dankbarkeit für all das, was die Ñatitas den Menschen bescherten.“

Insbesondere die indigene Bevölkerung Boliviens glaubt an das spirituelle Ritual. Der Brauch soll aus der Zeit vor der Kolonialisierung stammen, als die Toten verehrt wurden. Die Familien holten die Überreste ein Jahr nach deren Tod aus den Gräbern, um sich mit ihren „ajayus“, ihren Seelen, zu wieder zu vereinen. Im Reich der Tiwanaku wurden die Schädel konserviert, um Regen in Trockenzeiten heraufzubeschwören oder Stürme abzuwenden. Heutzutage sollen die Ñatitas den Familien Wohlstand, Gesundheit und Fruchtbarkeit bescheren. „Oder vor Einbrüchen schützen“, sagt Daniel und lacht.

Autorin: Laurine Zienc

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