Journalisten psychisch belastet wie Kriegsreporter
Mexikanische Journalisten, die über den Drogenhandel und den Krieg der Regierung gegen das organisierte Verbrechen berichten, leiden an ähnlich großem traumatischem Stress wie Kriegsreporter. Das ist das Ergebnis einer Studie des in Südafrika geborenen Psychiaters und Mexiko-Kenners Anthony Feinstein, der als Professor an der Universität Toronto lehrt. Der Verfasser des Standardwerks "Dangerous Lives: War and the Men and Women Who Report It" erweist sich als Pionier. Er untersucht erstmals die Traumata von Journalisten in ihrem eigenen Land und in Friedenszeiten. Unterstützung erhielt Feinstein von der UNESCO. Die großen mexikanischen Medien haben die Ergebnisse bislang aber ignoriert.
Jeder Zweite kannte einen ermordeten Kollegen
Jeder vierte der befragten 104 Journalisten gab zu Protokoll, dass er sich aus Furcht vor Repressalien geweigert habe, über Ereignisse zu berichten, die in Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen in Mexiko stehen. Diese 25 Prozent beklagten sogenannten posttraumatischen Stress und Depressionen in einem weit höheren Maße als die übrigen Kollegen. Über 70 Prozent der Umfrageteilnehmer leben in Gebieten, in denen die Regierung Krieg gegen das organisierte Verbrechen führt. Fast die Hälfte der Journalisten kannte einen Kollegen, der wegen der Ausübung seiner Arbeit ermordet wurde. 10 Prozent haben einen Familienangehörigen, der schon einmal von einer kriminellen Organisation bedroht wurde.
Permanente Bedrohungssituation
2003 hatte Psychiater Feinstein in „Dangerous Lives“ die Traumata von Kriegsberichterstattern untersucht. Die Studie in Mexiko haben nun ganz ähnliche Ergebnisse gebracht, was die Anzeichen psychischer Schäden betreffe. Mexikanische Journalisten befänden sich genau genommen sogar in einer schlechteren Lage als Kriegsreporter, so der Wissenschaftler. Denn sie beträten und verließen die Konfliktzone nicht, sondern lebten permanent in ihr. Ein Durchatmen sei ihnen daher nicht möglich.
Kriminelle kontrollieren, worüber berichtet wird
Der Blogger Pepe Flores weist darauf hin, dass es lediglich die aufsehenerregendsten Fälle von Gewalt und Drohungen gegen Journalisten in die Schlagzeilen schafften. Kaum ein Journalist oder eine Journalistin dürfte seiner Arbeit ohne ständige Angst nachgehen. Er oder sie müssten befürchten, für eine veröffentlichte Information mit ihrem Leben zu bezahlen. Kriminelle Gruppen übten eine stillschweigende Kontrolle darüber aus, welche Themen auf die mediale Agenda kämen und welche nicht. Mexiko sei so gesehen das gefährlichste Land überhaupt, um als Journalist zu arbeiten. Wer nicht umgebracht werde, sei den Rest seines Lebens psychisch gezeichnet.
UNESCO: Medienunternehmen müssen Journalisten schützen
Seit 2007 wurden in Mexiko 80 Journalisten ermordet, darunter zehn Frauen. In ganz Lateinamerika und der Karibik betrug die Zahl der Morde an Journalisten von 2007 bis August 2012 – ohne dass irgendwo Krieg geherrscht hätte – 202. Das bedeutet: Alle zehn Tage ein toter Journalist. Die UNESCO warnt, dass die Einschüchterung dafür sorge, dass der Informationsfluss an die öffentlichkeit stark beeinträchtigt werde, wenn Journalisten ihrer Aufgabe nicht mehr normal nachgehen könnten. Die Ergebnisse der Studie seien ein Alarmsignal für die mexikanischen Medienunternehmen, die ihre Leute schützen müssten. Es handele sich auch keineswegs um ein Problem alleine Mexikos, sondern dieses strahle auf die gesamte Region aus.
Quelle: Alainet, Autor: Ernesto Carmona, chilenischer Journalist und Schriftsteller, deutsche Bearbeitung: Bernd Stößel
Foto: Jesus Villaseca Perez/Flickr