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Jair Bolsonaro: Messias oder Mephisto?

"Gottesmission" oder Horrortrip? Brasilien nach dem Wahlsieg von Jair Bolsonaro. Eine Analyse von Thomas Milz. (Foto: Reuters/N.Doce)
"Gottesmission" oder Horrortrip? Brasilien nach dem Wahlsieg von Jair Bolsonaro. Eine Analyse von Thomas Milz. (Foto: Reuters/N.Doce)

Seit dem Sieg von Jair Bolsonaro um 19.21 Uhr Ortszeit am Sonntagabend ist in Brasilien eine neue Zeitrechnung angebrochen. Normalerweise tritt der Wahlsieger vor seine Anhänger, um sich feiern zu lassen und eine erste, versöhnliche Botschaft an die Nation zu richten. Bolsonaro hingegen tauchte in einer Live-Schalte via Facebook auf.

 

In der ab und zu aussetzenden Übertragung zitierte er zuerst die Bibel, dann ging er hart mit der linken Opposition ins Gericht. Schließlich beteten er und seine Anhänger vor laufenden Fernsehkameras. Bolsonaro dankte Gott und seinen Ärzten für die Heilung nach der Messerattacke Anfang September. Nun könne er seine "Gottesmission" fortsetzen. Über seine WhatsApp-Gruppen liefen Videos, in denen der Sieg des "Messias" gefeiert wurde.

 

Es sind neue Zeiten. Dass der Hinterbänkler aus dem brasilianischen Parlament, der bisher nur mit Beleidigungen von Minderheiten und Kollegen aufgefallen war, nun plötzlich Präsident ist, verdankt er vor allem dem katastrophalen Zustand, in dem sich Brasilien nach Jahren der Wirtschaftskrise, gigantischer Korruptionsskandale und der außer Kontrolle geratenen Gewalt befindet.

 

Kriegerische Tonlage

 

"Ich denke, dass Bolsonaro seinen Sieg auf der Enttäuschung eines großen Teils der Bevölkerung gegenüber der Politik aufgebaut hat", analysiert der Politikwissenschaftler Marco Aurélio Nogueira gegenüber der Deutschen Welle. "Im Wahlkampf hat er stets die politische Klasse angefeindet und sich selbst den Wählern als Option außerhalb der Politik präsentiert." Und auch außerhalb des Rechtsstaates? In den 30 Jahren Politkarriere hatte der Ex-Militär die Gräuel der Diktatur (1964-85) verherrlicht. Man hätte mehr Oppositionelle töten sollen statt nur zu foltern, lautete einer seiner umstrittenen Aussagen. Am Wahlabend versprach er nun, Freiheit, Demokratie und Verfassung zu verteidigen. Doch der kriegerische Ton blieb. "Wir konnten nicht länger mit dem Sozialismus flirten, dem Kommunismus und Populismus sowie dem Extremismus der Linken", so Bolsonaro.

 

"Katastrophal" sei seine Siegesrede gewesen, "so wie man es erwartet hat", urteilt der Philosoph Vladimir Safatle auf dem Nachrichtenportal UOL. "Das ist nun einmal der Herr Jair Bolsonaro. Und er macht allen deutlich, dass er seinen Ton nicht mäßigen wird, nur weil er ein komplett gespaltenes Land geerbt hat." Der Wahlkampf wurde durch den massiven Einsatz von sozialen Netzwerken und WhatsApp geprägt, über die sich Gerüchte, Verleumdungen und Fake News verbreiteten. Spitzenreiter waren laut Universität "Fundação Getúlio Vargas" vom Bolsonaro-Lager verbreiteten Fake News über manipulierte Wahlurnen mit 40 Millionen Klicks auf Youtube. Bei Facebook erzielten außerdem Fake News über das angeblich von PT-Kandidat Haddad an Kinder verteilte Homo-Aufklärungsbuch "Kit Gay" drei Millionen Interaktionen. Der Vorwurf, Haddad wolle Pädophilie legalisieren, kam auf 200.000 Klicks.

 

Immerhin: "Die Erfahrung in Brasilien kann als Lektion dienen", glaubt der Soziologe Marco Aurelio Ruediger, Direktor des Big Data Analysezentrums DAPP der Fundação Getúlio Vargas (FGV-RJ), gegenüber der DW. Mit Blick auf kommende Wahlen rät er, der Spur des Geldes zu folgen, um die Fabrikanten von Fake News aufzuspüren. "Zudem sollte man Netzwerke in Universitäten und Forschungsstätten einrichten, die den Leuten transparent zeigen, was Lüge ist und was nicht."

 

Abhängig von Lula

 

Dass Fake News entscheidend waren, glaubt Politologe Nogueira nicht. "Wichtiger als die digitalen Verteilungszentren für Gerüchte und Fake News war die Bereitschaft von vielen Wählern, diese zu verbreiten." Vielmehr habe die PT vor dem ersten Wahlgang schwere strategische Fehler begangen. "Haddad war viel zu abhängig von Lula, weshalb er nicht die Unterstützung bekommen hatte, mit denen er sonst hätte rechnen können."

 

Haddad hatte nach dem ersten Wahlgang auf eine breite "demokratische Front" gegen Bolsonaro gehofft. Doch die blieb aufgrund der Anti-Lula-Stimmung aus. Die PT hätte besser von Anfang an auf Haddad gesetzt, so Nogueira. "Auf der Zielgerade des Wahlkampfs war Haddad viel engagierter und selbstbewusster. Je mehr er sich von Lula abkoppelte, desto wohler fühlte er sich in einer auf sein Profil zugeschnittenen Kampagne."

 

Durch die Niederlage des progressiven Lagers steht Brasilien nun am Scheideweg. Unter der PT war man zum Vorreiter für Minderheitenrechte auf der südlichen Halbkugel geworden. Bolsonaro ist gegen Abtreibung, gegen Sonderrechte für Minderheiten, darunter Universitäts-Quoten für Schwarze und Arme. Schulen und Universitäten sollen "von Ideologien" befreit werden. Einen Vorgeschmack gab es in den Tagen vor der Wahl, als die Polizei an zahlreichen Universitäten Vorlesungen und Veranstaltungen zensierte. Allerdings reagierte das Oberste Gericht rasch und untersagte die Aktionen.

Kann Bolsonaro in diesem Klima vermittelnd wirken? "Als Person ist er nicht darauf vorbereitet", so Nogueira. "Aber man darf darauf hoffen, dass sein Team ihn kontrolliert und ihm ein wenig auf Staatsmann trimmt. Denn wenn das nicht gelingt, droht die Regierung Bolsonaro in ein paar Monaten in die erste Krise abzutauchen."

Autor: Thomas Milz, Deutsche Welle

„Bolsonaro will zurück in die Militärdiktatur“

"Bolsonaro will zurück in die Militärdiktatur. Auch wenn alle hoffen, dass seiner Rhetorik keine Taten folgen, sollte man sich da keinen Illusionen hingeben.“ Das erklärt der Brasilien-Referent des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Norbert Bolte, in einer ersten Reaktion zur Wahl Jair Bolsonaros zum Präsidenten Brasiliens.

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