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Kuba |

Interview: Leonardo Padura - Wandler zwischen den Welten

Leonardo Padua und das Cover seines Romans "Ketzer". Bilder: Unionsverlag.
Leonardo Padua und das Cover seines Romans "Ketzer". Bilder: Unionsverlag.

Herr Padura, Ihr neues Werk "Ketzer" ist ein historischer Gesellschaftsroman, in dem Sie ein weites, über mehrere Jahrhunderte und Länder erstreckendes Panorama entwerfen, das bis in die Gegenwart reicht. Ausgangspunkt ist eine wahre historische Begebenheit: 1939 wurde 937 jüdischen Flüchtlingen an Bord des Linienschiffes MS St. Louis die Einreise nach Kuba verweigert.

Es waren überwiegend deutsche Juden, die in Berlin kubanische Visa erworben hatten. Doch im Hafen von Havanna angekommen verlangte die Regierung Kubas auf einmal viel Geld für ihre Einreise. Die Verhandlungen zogen sich eine Woche lang hin, und am Ende musste das Schiff nach Europa zurückkehren, denn die Flüchtlinge wurden auch von den USA und Kanada nicht aufgenommen. Ein erheblicher Teil von ihnen kam schließlich durch den Holocaust ums Leben. Es ist eine der bedauerlichsten und beschämendsten Episoden der kubanischen Geschichte.


Hat sich denn die kubanische Regierung wenigstens im Nachhinein bei den Familien der jüdischen Flüchtlinge entschuldigt
?

Nein, niemals - im Gegensatz zu den USA, wo das öffentlich geschah -, auch nicht nach der Revolution von 1959. Die neuen Machthaber folgten dem Credo, dass andere für das, was vorgefallen war, verantwortlich gewesen seien.

Eine der Hauptfiguren in "Ketzer" ist der junge Jude Daniel Kaminsky. Er sagt sich in Kuba vom Judentum los. Warum?

Er hat einfach das Gefühl, dass er als Jude eine besondere historische Last tragen muss, die er nicht auf sich nehmen will. Die Juden haben in ihrer Geschichte viel Leid und Verfolgung ertragen müssen, und Daniel Kaminsky versteht nicht, warum er Schuld auf sich laden soll, nur weil er einer bestimmten Religion angehört. Darum sagt er sich vom Judentum los und wird ein richtiger Kubaner.

Schon in Ihrem Roman "Der Mann, der die Hunde liebte", in dem sie das Leben Leo Trotzkis und seines Mörders Ramón Mercader nachzeichnen, haben Sie reale historische Vorgänge zum Anlass genommen, um über große Fragen zu reflektieren: In jenem Falle über den Stalinismus und damit auch über das Scheitern des Sozialismus, in "Ketzer" nun über die Tragödie des Judentums.

Es gab ja eine große jüdische Gemeinde in Kuba. Nach der Revolution hat sie allerdings praktisch aufgehört zu existieren, weil die meisten Juden in die USA ausgewandert sind. Über das Judentum zu sprechen, ist in jedem Fall eine komplizierte Angelegenheit und umfasst historische und politische wie kulturelle und religiöse Aspekte.

Das Judentum kann sowohl als Religion wie als Kultur verstanden werden, und es gibt auch Juden, die von ihrer Abstammung her Juden sind, aber nicht mehr nach den tradierten Vorschriften leben. Mich hat vor allem die Frage der Juden und ihrer Religionsausübung interessiert - und die persönlichen Konflikte, die daraus entstehen können. Denn wer das Judentum als Religion praktiziert, ist gehalten, den überlieferten Regeln zu folgen, welche die Tora und andere Schriften vorgeben.

In "Ketzer" lassen Sie auch den Ex-Polizeikommissar Mario Conde wieder auferstehen, der dieses Mal das Geheimnis um ein Rembrandt-Gemälde auf Kuba lüften soll. Conde war bereits Protagonist Ihrer Krimi-Reihe "Havanna-Quartett", mit der Sie international bekannt geworden sind.

Die Figur Condes dient mir dazu, eine Chronik des Lebens auf Kuba zu zeichnen - von den schwierigen 90er Jahren bis heute. Conde ist inzwischen älter geworden, hat den Polizeidienst längst quittiert und widmet sich nun dem An- und Verkauf alter Bücher. Er war immer schon ein eher melancholischer, nostalgischer Mensch - und diese Einstellung zum Leben hat sich mit dem Alter verschärft. Er fühlt sich zunehmend wie ein Fremder in seiner Heimat.

Dieses Gefühl wird dadurch verstärkt, dass Conde in "Ketzer" die Welt jugendlicher Subkulturen Havannas erkunden muss...

Inzwischen gibt es zahlreiche solcher "urban tribes" auf Kuba. Zunächst trafen sich die "Rockeros" an einer bekannten Straßenecke in Havannas Zentrum. Dann kamen Freaks, Rastas, Schicki-Mickis und Emos dazu - inzwischen kommen dort jedes Wochenende Hunderte zusammen. Für Conde ist das eine völlig unbekannte Welt, und er hat Schwierigkeiten, diese jungen Menschen und ihre Rituale zu verstehen - zum Beispiel, dass sich die Emos bewusst Verletzungen zufügen.

Ist die Existenz solcher alternativer "Tribes" ein Zeichen dafür, dass die Globalisierung auch vor Kuba keinen Halt macht?

Ja, natürlich - aber auch dafür, dass der kubanische Staat diesen Jugendlichen nicht genügend Raum bietet, ihre Wünsche auszuleben.

Mario Conde schlägt sich mit allerlei Aufträgen mehr schlecht als recht durchs Leben. Er ist eine Art Selbständiger in der informellen Wirtschaft. Ist Conde damit ein typischer Kubaner von heute?

Das kann man so sagen - nur, dass das, was um ihn herum geschieht und wie sich die Gesellschaft verändert, ihn wohl mehr beschäftigt als den durchschnittlichen Kubaner. Aber wie viele andere Kubaner versucht Conde, irgendwie zu überleben. Er lebt von einem Tag zum nächsten und weiß am Morgen oft nicht, was er mit dem Tag anfangen soll. Und wenn er mal Geld hat, dann gibt er es gleich wieder aus - am Liebsten zusammen mit seinen alten Freunden, denn sie und gutes Essen sind für ihn das Wichtigste im Leben.

Es hat ja in den letzten Jahren zahlreiche Reformen auf Kuba gegeben, vor allem wirtschaftlicher Art. Was halten Sie davon?

Die Reformen sind notwendig, bisher aber noch nicht ausreichend. Weitere Reformen sind bereits angekündigt, wenn man auch noch nicht genau weiß, in welche Richtung sie gehen werden. Eines der schwerwiegendsten wirtschaftlichen Probleme Kubas ist fraglos die Existenz zweier Währungen. Dieses Problem soll nun auch angepackt werden. Zuvor wurden immerhin schon die Möglichkeiten privatwirtschaftlicher Aktivitäten ausgeweitet, der An- und Verkauf von Immobilien für Kubaner zugelassen oder ausländische Investitionen erleichtert. Ich hoffe, dass dieser Weg weiter verfolgt wird.

Eine Folge der Reformen ist allerdings, dass die soziale Ungleichheit zunimmt. Wie kann der kubanische Sozialismus das legitimieren?

Die einzige Möglichkeit ist, dass sich der Staat zu einem guten Arbeitgeber wandelt. Denn bis heute zahlen die Staatsunternehmen die niedrigsten Löhne. Das muss sich ändern.

Gleichzeitig heißt es, die Ideologisierung des Alltags habe unter Raúl Castro deutlich abgenommen. Gibt es heute mehr Freiräume auf Kuba?

Ich denke schon. Der ideologische Druck hat zweifellos nachgelassen, es gibt zum Beispiel deutlich weniger Massenaufmärsche als früher. Ja, es gibt eine größere Freiheit, und mittlerweile werden bestimmte Gruppen, die andere politische Auffassungen vertreten, regelmäßig zu Gesprächen mit staatlichen Vertretern eingeladen. Vor zehn Jahren konnte man für das Äußern abweichender Meinungen noch für zehn Jahre im Gefängnis landen.

Wie kann die internationale Gemeinschaft ihrer Meinung den Wandel in Kuba befördern? Die Europäische Union überlegt derzeit nach Jahren der Eiszeit, ein Abkommen für einen politischen Dialog mit Kuba abzuschließen. Halten sie das für sinnvoll?

Auf jeden Fall. Einen Dialog zu führen, ist das Wichtigste. Dagegen führt eine Politik wie die der USA, welche das Wirtschaftsembargo weiterhin aufrechterhalten, nur dazu, dass sich auch die kubanische Regierung nicht bewegt. Darum begrüße ich die Überlegung der EU, vom 1996 verkündeten "gemeinsamen Standpunkt" gegenüber Kuba abzurücken, um wieder in einen Dialog zu treten. Mit großer Freude habe ich gehört, dass sich Kuba seinerseits bereit erklärt hat, dabei auch das Thema Menschenrechte nicht auszusparen.

Herr Padura, in "Ketzer" führen Sie den Leser auch zurück in das vorrevolutionäre Kuba und die damaligen politischen Auseinandersetzungen zwischen den reformerischen "Orthodoxen" und den konservativen "Authentischen". Was glauben Sie: Wäre Eduardo Chibás, der Führer der Orthodoxen, 1951 nicht ermordet worden, wäre die Geschichte Kubas dann anders verlaufen? Schließlich war der junge Fidel Castro Anhänger von Chibás...

Das ist eine interessante Frage, aber zugleich ist es kaum möglich, sie zu beantworten, weil wir uns damit in den Bereich der Spekulation begeben. Aber es stimmt, dass die Ermordung von Chibás der Geschichte Kubas eine entscheidende Wendung gebeben hat. Chibás Tod hat den Weg für den Staatsstreich durch Batista geebnet. Und dessen von Gewalt geprägte Herrschaft war dafür verantwortlich, dass es zur einer Radikalisierung der Opposition und schließlich zur Revolution von 1959 kam. Dass sich die Revolutionäre anschließend weiter radikalisierten, hatte wiederum entscheidend mit der feindlich gesinnten Kuba-Politik der USA zu tun. Und das zeigt nur wieder: In der Geschichte gibt es keine isolierten Ereignisse, sondern es handelt sich immer um ein Wechselspiel von Ursachen und Wirkungen.

Das Interview führte Ole Schulz.


Zur Person: Leonardo Padura

Der 1955 in Havanna geborene Leonardo Padura gehört zu den meistgelesenen zeitgenössischen Autoren Kubas. Er hat in seiner Heimat das Genre des Kriminalromans von Grund auf erneuert und für sein Werk zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten, u.a. zwei Mal den renommierten spanischen Krimi-Preis Premio Hammett sowie den kubanischen Nationalpreis für Literatur.

Im März ist sein neuer Roman "Ketzer" auf Deutsch erschienen. Es geht darin um ein bislang unbekanntes Christus-Porträt von Rembrandt, das bei einer Auktion in London 2007 auftaucht. Die Suche nach dem Eigentümer führt nach Kuba und zur jüdischen Familie Kaminsky - ein Fall, dessen Spur sich durch die Jahrhunderte und um die halbe Welt zieht. "Ketzer", Unionsverlag, 520 Seiten, 24,95 EUR.

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