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Guatemala, Bolivien |

Indigener Protest wird kriminalisiert

2011 nahmen tausende Angehörige indigener Gruppen in Bolivien am Tipnis-Protestmarsch gegen den geplanten Straßenbau durch den Nationalpark Isiboro Sécure teil. Foto: Adveniat/Escher.
2011 nahmen tausende Angehörige indigener Gruppen in Bolivien am Tipnis-Protestmarsch gegen den geplanten Straßenbau durch den Nationalpark Isiboro Sécure teil. Foto: Adveniat/Escher.

Im Jahr 2000 startete in der guatemaltekischen Gemeinde Santa Eulalia ein Gemeinschaftsradiosender, der seine Programme in der Maya-Sprache Kanjobal übertrug. Dieser ist vor wenigen Monaten vom Bürgermeister geschlossen worden, wogegen sich die Bewohner empört zur Wehr setzten.

Indigene Freiwillige arbeiteten bei dem Sender mit, der für die vom Aussterben bedrohte Maya-Sprache eine bedeutende Rolle spielte, die in Guatemala fast 100.000 Menschen sprechen. Das Radio diente den Indigenen auch als Sprachrohr, um ihren Widerstand gegen den Bau eines Wasserkraftwerks deutlich zu machen. Durch das Projekt wurden Familien verdrängt. 2011 hatte Guatemalas Regierung die Lizenz an die Tochter eines spanischen Unternehmens vergeben. Die betroffenen indigenen Gemeinden waren zuvor nicht informiert und um ihre Zustimmung gebeten worden, wie es das Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation vorsieht.

Aufhebung der Grundrechte

Die Ermordung eines indigenen Anführers im Mai 2012 durch von dem Unternehmen beschäftigte Sicherheitskräfte löste eine Protestwelle aus, die von der Regierung unterdrückt wurde. Präsident Pérez Molina verhängte den Belagerungszustand und hob die von der Verfassung garantierten Grundrechte auf. Das Militär übernahm die Kontrolle der Region. Viele fühlten sich an den Bürgerkrieg in Guatemala erinnert, der von 1960 bis 1996 tobte, als Angriffe auf indigene Gemeinden an der Tagesordnung waren. Frauen wurde nun wieder mit Vergewaltigung gedroht.
Inhaftierten wird ein Übersetzer verweigert.

19 verhaftete indigene Anführer kamen in ein Hochsicherheitsgefängnis in Guatemala-Stadt. Ihnen wurden alle möglichen Straftaten zur Last gelegt, von bewaffnetem Raub bis Terrorismus. Während einige der Indigenen aufgrund des Mangels an Beweisen nach über 150 Tagen freigelassen werden mussten, warten andere noch immer auf ein Urteil. Übersetzer, die die Maya-Sprache beherrschen, erhalten keinen Zugang zu den Gefangenen.

In dieser Situation erhielt das nun geschlossene Gemeinschaftsradio eine noch größere Bedeutung. Als einziges Medium brachte es den Widerstand der Indigenen zum Ausdruck. Bei den Protesten gegen die Schließung Anfang diesen Jahres wurde auf einen 20-Jährigen geschossen, der zwei Monate später seinen Verletzungen erlag. Beobachter befürchten, dass in Guatemala im Vorfeld der Wahlen im September die Repression gegen indigene Anführer noch zunimmt. Unter der Regierung von Pérez Molina hat sich Menschenrechtsorganisationen zufolge die Lage für jene verschärft, die Widerstand gegen Großprojekte leisten. Ins Visier der Regierung geraten aber auch Journalisten, die über das gewaltsame Geschehen berichten, sowie internationale Beobachter. Letztere schürten die Proteste und manipulierten die Einheimischen, heißt es. Die Medien schließen sich der offiziellen Sichtweise an und sprechen ebenfalls von „Terroristen“.

Bolivianisches Entwicklungsmodell versus indigene Tradition

Eine andere Situation als in Guatemala herrscht in Bolivien, wo die Regierung Morales 2006 mit dem Anspruch an die Macht gekommen war, erstmals in der Geschichte des Landes indigene Interessen - also jene der großen Mehrheit der Bevölkerung - zu vertreten. Längst findet aber auch in Bolivien eine Kriminalisierung indigenen Protestes statt. Mehr als 30 indigene Völker leben in dem Andenstaat. Seit der Verabschiedung einer neuen Verfassung im Jahr 2009 läuft die Kriminalisierung sozialen Protestes subtiler ab. So wird zum Beispiel Forderungen der sozialen Bewegungen aus ihrem Inneren heraus jede Berechtigung abgesprochen.

Der grundlegende Konflikt besteht zwischen dem Entwicklungsmodell der Regierung Morales, das auf Wachstum setzt, und dem Wunsch vieler Indigener, wie ihre Vorfahren in Einklang mit der Natur zu leben. Sie bringen der Mutter Erde, der Pachamama, jenen Respekt entgegen, den die Regierung mit den Erfordernissen der Moderne offenbar nicht für vereinbar hält. Vor allem der Bergbau sorgt für Dauerstreit. Die Umweltverschmutzung hat deutlich zugenommen, immer mehr indigenes Land wird für Projekte in Beschlag genommen. Der Export von Metallen spült Milliarden in die bolivianische Staatskasse. Proteste gegen den Bergbau unterdrückt die Regierung mit Polizeigewalt, es kommt zu Misshandlungen von Demonstranten.

Internationale Aufmerksamkeit erlangte der Fall TIPNIS (Territorio Indígena y Parque Nacional Isiboro Sécure). Durch geschütztes Gebiet sollte eine Straße gebaut werden. Manche indigenen Gemeinden der Region formierten sich ab 2011 zu Protestmärschen, andere bekundeten ihre Unterstützung für den Bau der Straße. Die Regierung setzte 2012 eine Befragung an, deren Ergebnis, eine mehrheitliche Zustimmung der betroffenen indigenen Gemeinden, allerdings angezweifelt wurde. Der Bau der Straße ist inzwischen zwar vom Tisch, Begehrlichkeiten hinsichtlich der wirtschaftlichen Nutzung von TIPNIS bestehen aber fort.

Autor: Bernd Stößel

Quellen:

Criminilazición de la protesta indígena se intensifica

Los conflictos sociales en tiempos del Estado Plurinacional

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