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Iñárritus Tour: Sieben Minuten im Körper eines Flüchtlings

Oscar-Preisträger Alejandro González Iñárritu wagt eine neue Perspektive auf Migranten, die von Mexiko aus in die USA wollen. Foto:</i><a data-rapid_p="28" data-track="attributionNameClick" title="Geh zum Fotostream von Casa de América" class="owner-name truncate" href="https://www.flickr.com/photos/casamerica/"> Casa de América</a>,<a external="1" title="Opens external link in new window" href="https://www.flickr.com/photos/casamerica/5217282029/">Alejandro González Iñárritu</a>/<span class="cc-license-identifier"><a external="1" title="Opens external link in new window" href="https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de">CC BY-NC-ND 4.0</a>.</span></p>
Oscar-Preisträger Alejandro González Iñárritu wagt eine neue Perspektive auf Migranten, die von Mexiko aus in die USA wollen. Foto: Casa de América,Alejandro González Iñárritu/CC BY-NC-ND 4.0.

Die Nächte sind kühl in der Sonora-Wüste an der Grenze von Arizona und Mexiko. Ich spüre die leichte Brise, der steinige Sand bohrt sich scharf in meine Fußsohlen. Ich höre Stimmen: "Hilfe! Helft mir!", ruft eine Frau auf Spanisch. Sie schleppt sich verletzt dahin. Wie Geister tauchen zwei Figuren aus dem Nichts auf, gefolgt von ein paar weiteren. Einige von ihnen tragen Rucksäcke, andere Kinder.

Plötzlich wird der Wind stärker und grelles Mondlicht durchdringt die Dunkelheit. Das dröhnende Geknatter eines Hubschraubermotors zwingt mich zu Boden. Sirenen heulen, neonrote und -blaue Schlagschatten erhellen die Konturen der weiten, öden Landschaft.

Inmitten der Schreie verängstigter Männer und Frauen versäume ich es zu fliehen. Ich wende mich um - nur um festzustellen, dass ein Gewehr auf mein Gesicht gerichtet ist.

Die Szene ist der Anfang des jüngsten Projekts des mexikanischen Regisseurs Alejandro González Iñárritu, oder, genauer gesagt, einer von vielen möglichen Anfängen. "Keine zwei Menschen nehmen genau denselben Weg", erklärt Astrid Welter, Programmleiterin der Fondazione Prada, in der das Projekt ab Mittwoch, 7.Juni 2017, erlebbar ist.

Die Arbeit unter dem Titel "Carne y Arena" (Fleisch und Sand) ist eine siebenminütige Virtual Reality-Erfahrung, die auf den Geschichten der heimlich die Grenze zur USA überquerenden Immigranten beruht.

Eine neue Kunstform

"Wir schauen uns an, wie die Menschen mit der Virtuellen Realität umgehen. Sie verhalten sich alle ähnlich, machen aber nie dasselbe. Man kann mit den Grenzpatrouillen an ihren Autos stehen und beobachten, dass jemand ein Buch liest, oder man kann auf Seiten der Einwanderer stehen. Am Ende kann sich jeder so distanziert oder so involviert verhalten, wie er will", sagt Welter weiter.

Die Geschichte entfaltet sich in einer abgedunkelten Halle, deren Boden mit Sand und Steinen bedeckt ist. Ehe sich die Besucher in die auf mehreren Ebenen spielende Handlung begeben, werden sie gebeten, Schuhe und Socken auszuziehen. Sie bekommen ein Virtual Reality Headset, Kopfhörer und einen Rucksack.

"Carne y Arena" ist kein Film - obwohl der Regisseur für sein Werk einen generellen Handlungsrahmen vorgibt. Es sind die Teilnehmer, die Perspektive und Richtung bestimmen. Ein Spiel ist "Carne y Arena" aber auch nicht, sondern vielmehr eine experimentelle Installation im Raum, denn die Aktionen der Betrachter lösen keine Reaktion aus. "Es geht um das vollständige Eindringen in eine Umgebung, die viele Möglichkeiten offen lässt. Man kann Voyeur sein, Zuschauer, Opfer oder Verfolger", erklärt Welter.

Für manche bleibt es virtuell, für andere ist es real

Zurück in der virtuellen Wüste: Es herrscht Chaos, während die Grenzpolizisten die Einwanderer einen nach dem anderen festnehmen. Als sie alle auf dem Boden knien, versucht ein Mann zu fliehen. Die Beamten brüllen Befehle in einfachem Spanisch. Hunde bellen. "Warum sprichst du Englisch?", fragt einer der Polizisten einen Mann, dessen Hände hinter dem Rücken verborgen sind. "Ich bin Rechtsanwalt!", ruft der aus. Ganz in seiner Nähe ist ein kleines Mädchen - keine fünf Jahre alt - wie gelähmt, es kann nur quietschend ein paar Sätze hervorpressen. Fast instinktiv hebt es als Zeichen der Aufgabe die Hände.

Auf einmal wird der Beobachter dann in eine Traumsequenz entführt, ohne dass für ihn erkennbar wäre, um wessen Unterbewusstsein es sich handelt. In einer surrealen Szene mischen sich unter die Bilder eines gemütlichen Zuhauses deutlich erkennbar mexikanische Symbole - doch die Botschaft wirkt universell: Eine Frau summt ein Wiegenlied, ein Präriehund liest in einem Lyrikband, und ein mit Essen gedeckter Holztisch verwandelt sich allmählich in ein Boot.

Die ersten Strahlen der Sonne vertreiben die Dunkelheit. Die andauernde Stille ist verstörend. Ein kleiner, mit Comicfiguren gemusterter Rucksack liegt auf dem steinigen Wüstensand - vielleicht gehörte er dem kleinen Mädchen, das eben weggebracht wurde. In den Büschen hängen Kleidungsstücke, hier eine Plastiktüte, dort eine Socke. Ende.

Empathie anstelle von Nachrichten

Das Experiment ist anstrengend, körperlich und mental erschöpfend. Noch ehe die Geschichte beginnt, muss man barfuß in einem kalten Raum warten, in dem überall Schuhe herumliegen. Man erfährt, dass diese dreckigen Flip-Flops und Sneaker in der Gegend gesammelt wurden, in der "Carne y Arena" virtuell angesiedelt ist, und dass sie tatsächlich illegalen Einwanderern gehörten.

Das Projekt romantisiert den Status dieser Einwanderer in keiner Weise. "Die Art, in der wir die globale Flüchtlingskrise bisher begriffen haben, war von den Nachrichten bestimmt. Dieses Werk zielt darauf ab, unter die Haut zu gehen. Es ist realistisch, klar und deutlich. Es flößt dir Angst ein, aber auch Empathie", führt Welter aus.

"Während der Entstehungsphase des Projektes hatte ich das Glück, viele mexikanische und zentralamerikanische Immigranten treffen und interviewen zu können. Ich lud einige von ihnen ein, mitzumachen, damit ihre Reise nicht nur in eine Statistik mündete, sondern sie von anderen gesehen, gefühlt, gehört und erfahren werden würde", berichtete Regisseur Iñárritu kurz vor der Eröffnung in Mailand. Die Handlung von "Carne y Arena" sei ein Nachstellen realer Ereignisse, erklärte er. Es seien sogar einige Kleidungsstücke dabei, die wirklich Menschen getragen hätten, als sie die Grenze überquerten.

Iñárritu hat diese Geschichten seit vielen Jahren recherchiert. Anklänge an "Carne y Arena" lassen sich schon in seinem Episodenfilm "Babel" (2006) entdecken.

Quelle: Deutsche Welle, Autor: Jan Tomes.

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