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In Kuba fällt der Vorhang für die Revolutionsgeneration

Raúl Castro gibt den Parteivorsitz auf und verlässt die politische Bühne im Moment der schwersten Wirtschaftskrise in Kuba seit 1959. Corona verschärft die Situation zusätzlich, doch die Kubaner dürfen hoffen. Ein selbst entwickelter Impfstoff steht kurz vor der Produktionsreife.

Kubas Parteivorsitzender Raúl Castro bei einem Staatsbesuch in der Dominikanischen Republik 2017. Foto: Presidente Raúl Castro, José Luis Torres/Presidencia República Dominicana​​​​​​​, CC BY-NC-ND 4.0

Kubas Parteivorsitzender Raúl Castro (Mitte) bei einem Staatsbesuch in der Dominikanischen Republik 2017. Foto: Presidente Raúl CastroJosé Luis Torres/Presidencia República DominicanaCC BY-NC-ND 4.0

Es sollte eigentlich noch einmal so sein wie immer auf den Parteitagen. Die Rede des großen Vorsitzenden, gefolgt von lang anhaltendem Applaus. Dieses Mal würden die Ovationen sogar noch länger dauern. Denn am heutigen Freitag, zu Beginn des VIII. Parteitags der Kommunistischen Partei Kubas, wird Raúl Castro als Erster Sekretär des Zentralkomitees vermutlich seine letzte Rede halten. Castro, der schon 2018 als Staatschef abdankte, gibt nach zehn Jahren auch den Parteivorsitz ab. Mit 89 Jahren. 
 
Aber wahrscheinlich können die Delegierten nur virtuell klatschen. Denn es ist fraglich, ob der Kongress als Präsenzveranstaltung stattfindet. Kuba, das Corona bisher gut im Griff hatte, verzeichnet gerade mehr als eintausend Neuansteckungen pro Tag. Und die Hauptstadt Havanna ist besonders hart getroffen. 

Der letzte Castro geht

Aber ob im Internet oder im Konferenzzentrum - dieser Parteitag wird historisch und einer der wichtigsten seit der Revolution von 1959. Und das nicht nur, weil der letzte Castro geht und der Vorhang für die historische Generation fällt. Vielmehr muss die neue Führungsgeneration um Staatschef Miguel Díaz-Canel (60), der wohl auch Parteichef werden wird, dringend Lösungen für Gegenwart und Zukunft der Insel und ihr sozialistisches Projekt finden. Nie seit 1959 waren die Krise so tief und die Herausforderungen so komplex. 
 
Die Coronakrise und ihre wirtschaftlichen Folgen, die sogar die Ernährungssicherheit in Gefahr bringen, US-Sanktionen, die wegbrechende Bruderhilfe aus Venezuela, die Umsetzung der Währungsreform vom Jahresanfang und die zarten, aber unübersehbaren sozialen Proteste sind die drängendsten Probleme. 

Coronakrise trifft auf Wirtschaftskrise

Es gehe darum, Kuba in die Moderne zu führen, sich endlich zur Marktwirtschaft zu bekennen und die vor Jahren eingeleiteten Reformen nicht mehr nur halbherzig, sondern entschieden und schneller voranzutreiben als bisher, sagt Pavel Vidal, kubanischer Ökonom an der Javeriana-Universität im kolumbianischen Cali. „Die Inflation bei manchen Produkten beträgt seit der Währungsreform bis zu 500 Prozent, das Haushaltsdefizit liegt bei 20 Prozent des BIP, Kuba erlebt sein zweites Jahr in Rezession und das sechste mit fallenden Exporten“, zählt Vidal im Gespräch die Horrorbilanz auf. „Die Währungsreform war alternativlos, kam aber zu spät und zu abrupt und hat für die Bevölkerung dramatische Folgen. Darauf muss der Parteitag eine Antwort geben“. 
 
Mit einem Vorlauf von nur wenigen Wochen hatte die Regierung am 1. Januar die Doppelwährung abgeschafft und nach einem Vierteljahrhundert den konvertiblen, an den Dollar gekoppelten Peso CUC vom Markt genommen. Es gilt nur noch der kubanische Peso CUP, der zum Wert von 1 zu 24 zum Dollar getauscht wird. Die Währungsreform stellt den umfassendsten Umbau der sozialistischen Wirtschaft seit der Revolution dar. Die meisten der unrentablen Staatsbetriebe, bei denen 70 Prozent der arbeitenden Kubaner angestellt sind, werden verschwinden, zudem Subventionen und Lebensmittelrationen perspektivisch abgeschafft. 

Schlange stehen für Lebensmittel

Aber die Reform hat zu einem Preisschock, zu Hamsterkäufen, der Rationierung bestimmter Lebensmittel und vor allem stundenlangem Schlangestehen für praktisch jede Ware geführt, was für wachsenden Unmut in der Bevölkerung sorgt. Besser dran ist, wer Dollars hat. Die Währung des Klassenfeindes hilft, in den staatlichen Devisenläden einzukaufen. Dort gibt es, was es woanders für den CUP kaum noch gibt: Haushaltsgeräte, Lebensmittel und Hygieneartikel. 
 
Aber auch Dollars sind ein knappes Gut, weil noch immer die Sanktionen in Kraft sind, die der frühere US-Präsident Donald Trump gegen die Insel verhängt hat. So musste der US-Finanzdienstleister Western Union seine Büros schließen, weil der lokale Abwickler Fincimex auf der schwarzen Liste der Unternehmen steht, mit denen US-Konzerne keine Geschäfte machen dürfen. Western Union wickelte nach eigenen Angaben Zahlungen von bis zu 2,4 Millionen Dollar täglich nach Kuba ab. All dieses Geld fehlt den Familien jetzt. Auch der Staat flirtet immer mit der Pleite, weil Corona die wichtige Devisenquelle des Tourismus komplett versiegen ließ. Um elf Prozent schrumpfte die Wirtschaft der Insel vergangenes Jahr.

Hoffen auf ein Ende der US-Sanktionen

Die kubanische Führung hofft, dass US-Präsident Joe Biden seine Ankündigungen aus dem Wahlkampf wahr macht und einige der Trump-Sanktionen zurücknimmt. Bisher hat Washington aber signalisiert, dass Kuba keine Priorität genießt. Möglicherweise wartet man auch auf Signale der Öffnung von dem Parteitag an diesem Wochenende. Diese könnten in Wirtschaftsfragen kommen, aber dass die kommunistische Führung mehr politische Freiheiten gibt oder am Einparteienstaat rüttelt, darf ausgeschlossen werden.
 
Die neue Parteiführung müsse, „ihre Legitimität auf ein eigenes politisches Projekt gründen, das wirtschaftlichen Wohlstand mit sozialer Gerechtigkeit verknüpft", fordert Michael Shifter, Direktor des „Interamerican Dialogue“, einem auf Lateinamerika spezialisierten Thinktank in Washington. „Es geht darum, das System grundlegend zu verändern und nicht nur jemand Jüngeres zum Parteichef zu wählen.“
 
Dem stimmt ein 30-jähriger Mann aus Santiago de Cuba, der zweitgrößten Stadt der Insel, zu. Die Partei habe kein Gespür für die Menschen und ihre Probleme, kritisiert er. „Es gibt weder Medikamente noch Lebensmittel, dafür fast täglich Übergriffe durch die Polizei“. Zu Beginn des Jahres habe er noch für zehn Pesos zu Mittag essen können, jetzt benötige er 50 oder mehr. „Die meisten Produkte sind für die Mehrheit der Kubaner ohne Zugang zu Dollars unerreichbar.“

Corona-Impfstoff kurz vor Produktionsreife

Einen Lichtblick gibt es immerhin an der Corona-Front. Die Insel steht nach Angaben von Wissenschaftlern kurz vor der Produktionsreife zweier selbst entwickelter Vakzine. „Soberana 02“ und „Abdala“ befänden sich in der letzten Testphase und könnten noch in diesem Sommer zum Einsatz kommen. Dann wäre Kuba in der Lage, seine elf Millionen Einwohner mit einem eigenen Impfstoff zu schützen und so als erstes Land Lateinamerikas Herdenimmunität zu erreichen. Kuba plant sogar den Export der Impfstoffe, um so auch die große Devisenlücke ein Stück zu schließen.

Autor: Klaus Ehringfeld (Mexiko)

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