Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Mexiko |

Hunger hausgemacht

Zweieinhalb Monate, nachdem sich die beiden Wirbelstürme Ingrid und Manuel für Mexiko als die schlimmsten Naturkatastrophen der letzten 30 Jahre herausgestellt haben, sieht sich das lateinamerikanische Land mit der nächsten Krise konfrontiert: In vielen Teilen des südwestlichen Bundesstaates Guerrero ist der Hunger eingekehrt. In allen 14 Bezirken der Sierra in Guerrero spielt sich derzeit das gleiche traurige Schauspiel ab:

Menschen aus dem Umkreis finden sich in Scharen ein, um die Lokalregierungen um Hilfe für ihre Familien und Gemeinden zu bitten. Gregorio Angulo kam eigens aus Los Laureles, um in Coyuca einen Hubschrauber zur Rettung der Kinder, Alten und Kranken anzufordern. "Wir brauchen mehr Lebensmittel. Unsere Vorräte sind aufgebraucht", sagen Angulo und seine beiden Begleiter. Guerrero ist der mexikanische Bundesstaat, der am schlimmsten von den fast zeitgleich in Erscheinung getretenen Hurrikanen getroffen wurde. Wirbelsturm Ingrid war am 12. September über dem Golf von Mexiko aufgezogen, um dann fünf Tage lang die Ostküste zu verwüsten. Hurrikan Manuel hinterließ vom 13. bis 20. September an der pazifischen Westküste eine Spur der Verwüstung.

"Der Hunger ist da", erklärte der Vorsitzende der Nationalen Vereinigung der Gemeindeversorgungsräte, Porfirio González Cortés, gegenüber einer Zeitung in Oaxaca, dem mexikanischen Bundesstaat mit den zweitgrößten Schäden. Angesichts Dutzender abgeschnittener Bundesstraßen wird die Versorgung mit preiswerten lokalen Nahrungsmitteln in dem 118 Millionen Menschen zählenden Land zu einer Grundsatzfrage. Für solche Situationen hatten die Behörden in den 1970er Jahren das Nahrungsmittelverteilungssystem Diconsa gegründet, das mit seinen mehr als 25.000 Läden die Bewohner marginalisierter Gemeinden ab 2.500 Einwohnern mit 22 subventionierten Grundnahrungsmitteln wie Mais, Bohnen, Reis, Zucker, öl und Pasta versorgen konnte.

Erinnerungen an die "Tortillakrise"

2007 rutschte Mexiko in die sogenannte Tortillakrise, nachdem die Preise für das Grundnahrungsmittel Mais infolge von Spekulationsgeschäften innerhalb eines Jahres um 40 Prozent in die Höhe geschnellt waren. Daraufhin kam es zu heftigen Protesten. Kurz darauf setzte sich ein parlamentarischer Ausschuss mit den Ursachen der Entwicklung auseinander und kam zu dem Schluss, dass Mexiko in nur knapp einem Jahrzehnt ein wichtiges Segment seiner Nahrungssouveränität verloren hat. Als weitere wichtige Ursachen wurden Verzögerungen beim Maisanbau und die Zunahme der Abhängigkeiten von Maisimporten genannt. Negativ wirkte sich auch der Umstand aus, dass der mexikanische Staat die Verantwortung für die Kommerzialisierung und Verteilung der Nahrungsmittel im In- und im Ausland transnationalen Unternehmen übertragen hatte.

Der Bericht hob ferner hervor, dass in Fällen, in denen die Zentralregierung die Interessen der Maiskonsumenten in ländlichen Gebieten weiterhin wahrgenommen hat, das kommunale Versorgungs- und Verteilungsnetz selbst in Fällen, in denen Infrastrukturen sowie operative und logistische Instrumentarien zur direkten Regulierung des Mais-Marktes fehlten, funktionierte. Das System, das sich über Jahrzehnte bewährte und während der Überschwemmungen 1999 die Lebensmittelversorgung isolierter Gemeinden sicherstellen konnte, ist jedoch in den letzten 15 Jahren auf den Hund gekommen. Eine Bewertung der Diconsa durch die öffentlich-autonome Institution Coneval hat regelmäßig auftretende Nachschubprobleme festgestellt. So hatten nur zehn Prozent der Verkaufsstellen die 22 vorgesehenen Agrarerzeugnisse in ihrem Sortiment. Zwischen 1998 und 1999 hatten die mexikanischen Nahrungsmittelversorgungsprogramme eine Halbierung ihrer Etats hinnehmen müssen.

Abhängigkeit von Lebensmittelimporten

Auch Diconsa, das Milchverteilungssystem Liconsa und Fidelist, ein inzwischen eingestelltes Subventionsprogramm für Maistortillas, waren betroffen. Im Jahr 2000 sollten die Subventionen für Diconsa endgültig gestrichen werden. Doch aufgrund massiver Proteste von Seiten der Kommunalräte wurde von den Plänen abgesehen. Doch mit den 41 Millionen Dollar bewilligten Geldern konnte Diconsa kaum die laufenden Kosten decken. Im aktuellen Jahr muss das Programm mit 14 Millionen Dollar klarkommen. Dadurch hat sich die ohnehin schon prekäre Lage weiter verschlechtert. So kostet der Warenkorb mit den 22 Grundnahrungsmitteln 220 Peso (fast 20 Dollar). Die gleichen Produkte kosten in normalen Läden oder Supermärkten nur unwesentlich mehr: zwischen 220 und 230 Peso. Auch mehren sich Klagen, dass die Diconsa-Läden andere Erzeugnisse einschließlich Junkfood zu gleichen Preisen wie andere Lebensmittelläden anbieten. Das zentralisierte und teure Verteilungssystem greift in diesem riesigen lateinamerikanischen Land zu wenig auf die Produkte der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zurück, und viele Lebensmittel werden importiert.

Viele Kinder sind unterernährt

Mexiko ist nach Japan der zweitgrößte Nahrungsmittelimporteur der Welt. Obwohl es der Organisation für Zusammenarbeit und wirtschaftliche Entwicklung (OECD), dem illustren Club der reichen Länder, angehört, waren nach offiziellen Angaben im letzten Jahr 27,4 Millionen Mexikaner unterernährt. Fast 14 pro 100 Schulkinder sind für ihr Alter zu klein, was auf eine chronische Unterernährung hinweist. Bei indigenen Kindern sind es sogar 33 Prozent.

In Guerrero hatte María Natividad wie jedes Jahr im Juli und August jeden Cent umgedreht, um mit den Ersparnissen zwei Kühlschrankladungen voller Fleisch, Bier und Coca-Cola zu kaufen. In der Vergangenheit konnte sich die Geschäftsfrau, die in ihrem zweistöckigen Haus am Ufer des Río Azul an der Grenze zu Santa Fe einen kleinen Laden betreibt, mit dem Weiterverkauf von Fleisch und Getränken ein kleines finanzielles Polster anlegen. Doch im Morgengrauen des 15. Septembers trat der Azul in Minutenschnelle über seine Ufer. Das Haus von Natividad stand fast komplett unter Wasser; und das gesamte Inventar war hin. Das Dorf verlor im weiteren Verlauf seine Haupteinnahmequelle, den Tourismus, weil die Instandsetzung des Badeorts auf der Prioritätenliste der Behörden weit hinten stand.

Ernteausfälle nach Überschwemmungen

Natividad ist eine von tausenden Menschen in Guerrero, die keine finanzielle Hilfe oder Nahrungsmittel erhalten haben. "Nach Santa Fe ist niemand gekommen", bestätigt Natividad. Die Überschwemmungen haben Millionen Hektar Agrarland vernichtet, was wiederum die Preise für Zitronen, Zwiebeln, Bohnen, Mais und Tomaten in die Höhe trieb. 157 Menschen kamen ums Leben, Dutzende werden noch immer vermisst. Außerdem wurden 500.000 Wohneinheiten beschädigt.

Quelle: IPS

Autor: Daniela Pastrana, deutsche Bearbeitung: Karina Böckmann

Durch die verheerenden Wirbelstürme wurden große Flächen von Agrarland überschwemmt. Die Preise für Mais und andere Grundnahrungsmittel steigen. Foto: Adveniat/Escher.

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