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Kolumbien |

Gustavo Petro und seine Probleme mit dem "totalen Frieden"

Kolumbiens linker Präsident bekommt die Gewalt nicht in den Griff. Von vielen Seiten steigt die Kritik am Vorzeigeprojekt der neuen Regierung. Währenddessen kontrollieren bewaffnete Gruppen immer mehr Gebiete im Land.

Der kolumbianische Präsident Gustavo Preto am 7. August 2022 in Bogotá. Foto: USAID U.S. Agency for International DevelopmentCC BY-NC 2.0

In den vergangenen Tagen gab es mehrere Wortmeldungen von Institutionen, die Gustavo Petro besorgen müssten. Alle hatten mit seinem Herzensprojekt zu tun, dem Erreichen eines umfassenden Friedens in Kolumbien. Der Präsident führt mit annähernd einem halben Dutzend bewaffneter Gruppen unterschiedlicher Ideologien Friedensgespräche und hat seit dem 31. Dezember eine einseitige staatliche Waffenruhe verhängt. Aber dieser ambitionierte „Totale Frieden“ droht dem linken Staatschef mehr und mehr zu misslingen. Denn die Konflikte, Scharmützel, Entführungen, die Morde an sozialen Aktivisten und die Drogenproduktion gehen 2023 unvermindert weiter. Und Gruppen wie der ultrarechte „Clan de Golfo“ nutzten die einseitige Waffenruhe für mehr Verbrechen und die Ausdehnung in weitere Regionen des südamerikanischen Landes. Daher kündigte Petro dem Golf-Clan jüngst den Frieden auf und wies die Sicherheitskräfte an, „sofort gegen die Strukturen dieser mafiösen Organisation“ vorzugehen. Es war der erste große Rückschlag. 

Nahezu zeitgleich kritisierte die „Defensoria del Pueblo“, eine Art Ombudsstelle, dass trotz der Waffenruhe die Zahl der Gewalttaten zwischen Mitte Februar und Mitte März von 16 auf 32 stieg. Erst vor wenigen Tagen mahnte zudem das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), dass sich die humanitäre Lage 2022 in vielen Regionen verschlechtert habe. Die Zahl der internen bewaffneten Konflikte sei von sechs auf sieben gestiegen, sagte Lorenzo Caraffi, Leiter der IKRK-Delegation in Kolumbien. 

Darüber hinaus kritisieren die 32 Gouverneure des Landes die bundesstaatliche Friedenspolitik. „Wir haben die Entscheidung der Regierung, eine Waffenruhe anzubieten, anfangs unterstützt, aber diese Großzügigkeit wird von den illegalen Gruppen missbraucht.“ Sie hätten sie als Freibrief betrachtet. „Sie machen sich über den guten Willen der Regierung lustig“, sagt der Gouverneur des Departements Quindió Robert Jaramillo als Vorsitzender der „Nationalen Föderation der Departements“ (FND). „Der totale Frieden befindet sich in einer Krise." 

Zu große Erwartungen? 

Das sagen auch immer mehr Intellektuelle des Landes. Sie kritisieren, das Projekt des Präsidenten des „Totalen Friedens“ sei improvisiert, überladen und überstürzt. „Wer zu viel will, erreicht am Ende fast nichts“, mahnte die Schriftstellerin Piedad Bonnett in der Zeitung „El Espectador“. Der Präsident habe so große Erwartungen geweckt, dass die ausbleibenden Erfolge oder Rückschläge gleich als Scheitern des ganzen Projekts wahrgenommen würden. Der Präsident müsse Erwartungen zurückschrauben, seine Regierung umbilden und die Ungeduld der Bevölkerung stärker berücksichtigen. 

Gustavo Petro hatte bei seinem Amtsantritt vor knapp acht Monaten das Thema einer umfassenden Befriedigung wie eine Obsession verfolgt: Kolumbien leidet seit mehr als einem halben Jahrhundert unter einem Bürgerkrieg und bewaffneten Konflikten aller Art. Der „totale Frieden“ beinhaltet Gespräche mit allen bewaffneten Gruppen, Sozial- und Bildungsprojekte statt harter Repression. „Wenn unsere Leute nicht hungern und die Jungen zur Universität gehen können, wird es weniger Kriminalität geben,“ erklärte Petro seinen Ansatz. Ein sehr ambitioniertes Vorhaben.

Bewaffnete Gruppen kontrollieren mehr Gebiete

Insgesamt ist das drittgrößte Land Lateinamerikas auch nach dem historischen Friedensschluss mit den linken FARC-Rebellen Ende 2016 nicht zur Ruhe gekommen, die Friedensdividende ist ausgeblieben. Und Kolumbien wird langsam, aber sicher wieder von den bewaffneten Gruppen verschiedener Couleur übernommen. Das Vakuum, das die FARC-Rebellen nach ihrer Demobilisierung ließen, hat nicht der Staat gefüllt, sondern die Drogenkartelle, die Organisierte Kriminalität, die kleine Linksguerilla ELN und zunehmend auch die Dissidenz der FARC, das heißt die Teile der früheren Rebellen, die sich von Anfang an gegen den Frieden wehrten. Die Bilanz des „totalen Friedens“ sei durchwachsen, sagt auch Camilo González Posso, Chef der Nichtregierungsorganisation INDEPAZ. „Die Gruppen, die am Verhandlungstisch sitzen, begehen zwar weniger Verbrechen“, unterstreicht González im Gespräch mit Blickpunkt Lateinamerika. „Aber es sind neue Akteure hinzugekommen, vor allem im urbanen Sektor." 
 
Tatsächlich berichten auch Experten vor Ort in den konfliktiven Regionen davon, dass die bewaffneten Gruppen immer mehr Gebiete kontrollieren. So beherrscht beispielsweise im Cauca, einem der gewalttätigsten Departements im Süden Kolumbiens, die „Frente Jaime Martínez“ der FARC-Dissidenz ganze Dörfer, errichtet nicht weit der Hauptstraße Panamericana Straßensperren und lässt im großen Stil Koka anbauen. „Am helllichten Tag kleben sie in den Dörfern ihre Plakate, um anzuzeigen, dass sie in dem Ort das Sagen haben“, erzählt eine Angestellte bei der Regionalregierung, die in der betroffenen Region nördlich der Departementshauptstadt Popayán Projekte betreut. „Der Cauca wird langsam, aber sicher wieder von den bewaffneten Gruppen übernommen, und der Staat zeigt zu wenig Präsenz“, sagt die Frau, die aus Sicherheitsgründen ungenannt bleiben will. Selbst Vizepräsidentin Francia Márquez muss aus Sicherheitsgründen den Hubschrauber nehmen, wenn sie mal in ihr Heimatdorf im Cauca will.

Autor: Klaus Ehringfeld

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