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Mexiko |

Grünes Gold aus Michoacán

Im mexikanischen Bundesstaat Michoacán gerät der Kampf gegen die organisierte Kriminalität außer Kontrolle. Rivalisierende Drogenkartelle haben nicht nur das Drogengeschäft, sondern auch die Landwirtschaft in fester Hand. Bauern und Arbeiter organisieren sich in Bürgerwehren und geraten ins Visier der Staatsmacht. Die Polizei ist mit der ausufernden Gewalt überfordert. Und die Lebensmittelpreise steigen weiter.

„Ich rief ihn an, und er sagte mir, sie seien angeschossen worden, aber es gehe ihnen gut“, beschreibt Martha Elena Murguía Morales die Ereignisse vom 10. April in Apatzingán im Bundesstaat Michoacán. Als die junge Frau aus dem Dorf La Ruana ein weiteres Mal bei ihrem Mann anruft, antwortete dieser bereits nicht mehr. Unbekannte hatten Alejandro Ayala Acosta sowie neun weitere Limettenpflücker und -produzenten auf dem Rückweg von Gesprächen mit Gouverneur Jesús Reyna erschossen.Von ihm erhofften sich die Arbeiter Polizeischutz auf den Plantagen und ein militärisches Eingreifen im schwelenden Konflikt zwischen Drogenkartellen, Polizei und den selbsternannten Bürgerwehren in der Region. Seit langem schon versperrten ihnen und vielen weiteren Beschäftigen die Anhänger des Kartells „Caballeros Templarios“ (Tempelritter) den Zutritt zu Lagerhallen und Verpackungsanlagen, aus Rache an den selbsternannten Bürgerwehren. Ein Großteil aus den umliegenden Gemeinden wurde arbeitslos, denn die Mehrheit der Bürger in der fruchtbaren Region „Tierra Caliente“lebt von der Limettenproduktion.

Fast einen Monat und viele weitere Opfer später hat sich an der prekären Lage in Michoacán nicht viel geändert.Dem Staat droht sein Gewaltmonopol zu entgleiten. Auch die 6000 Soldaten und mehreren hundert Bundespolizisten, die Präsident Enrique Peña Nieto Ende Mai in die Unruheprovinz entsandte, können die Region nicht stabilisieren. Allein letzte Woche waren bei Gefechten zwischen Angehörigen krimineller Organisationen und Polizeipatrouillen 24 Menschen ums Leben gekommen. Bei einem Angriff auf demonstrierende Mitglieder einer Bürgerwehr in der Ortschaft Los Reyes wurden am 22. Juli fünf Zivilisten ermordet. Auf den Strecken zwischen Morelia und der Hafenstadt Lázaro Cardenas brannten errichtete Straßenbarrikaden, die von Bundespolizei und Militär erst nach stundenlangen Gefechten geräumt werden konnten.

Das pseudo-religiöse Kartell der Tempelritter repräsentiert seit etwas mehr als drei Jahren das Gesetz in vielen Gemeinden Michoacáns. Der mexikanische Staat hat dort nurwenig zu sagen. Mit der aus dem Nachbarstaat Jalisco stammenden Drogenmafia „Nueva Generación“ liefern sich die Tempelritter einen blutigen Kampf um Drogenkorridore und Einflussgebiete. Dabei geht ihr Aktionsradius weit über das klassische Drogengeschäft hinaus. Organisierter Menschenhandel, Geldwäsche, Rohstoffhandel und Erpressung von Schutzgeld sind fester Bestandteil des Unternehmens. Seit 2011 beganndas Kartell auch den heimischen Limetten- und Avocadomarkt für seine illegalen Geschäfte zu entdecken. Seitdem kontrolliert die Drogenmafia in den Gemeinden La Ruana, Bellavista und Tepalcatepec wer, wie viel und wann in der Region anbaut. Zusätzlich erheben die Kriminellen Steuern auf jeden einzelnen Arbeitsschritt in der Produktion. Wird den Erpressern nicht Folge geleistet, brennen Lieferwägen und Lagerhallen oder die Arbeiter und ihre Familien verschwinden spurlos.

Massive Preisanstiege bei Grundnahrungsmitteln

Von Limettenproduzent Roberto Mendoza verlangten die Tempelritter fortlaufend zwei Pesos Schutzgeld pro ein Kilogramm Citrusfrüchte. Mit einer täglichen Produktion von ungefähr 5000 Tonnen Limetten in der Region, erbeutete das Drogenkartell dadurch umgerechnet eine Million Dollar pro Tag. „Die Verbrecher verlangen das Geld nicht direkt von den Bauern, sondern von den Zwischenhändlern“, so Mendoza. Diese wälzen den finanziellen Verlust auf die Verkäufer ab mit dem Ergebnis, dass in den letzten zwei Jahren der Limettenpreis um das Vier- bis Fünffache anstieg. Für die mexikanische Bevölkerung, die Limetten als Grundnahrungsmittel verzehren, eine enorme finanzielle Belastung. Die Ungerechtigkeit brachte den Händler aus Tepalcatepec dazu, eine Bürgerwehr in der Gemeinde zu gründen und die dort lebenden Familien vor Übergriffen zu schützen. Seitdem patrouillieren durch das Dorf selbsternannte Gemeindepolizisten. Sie nehmen mutmaßliche Kriminelle fest und errichten Straßensperren. Doch der mexikanische Staat sieht es nicht gern, wenn sein Gewaltmonopol aus den Händen gleitet. Bei Versuchen, die verschiedenen Bürgerwehren in der Region zu entwaffnen, kommt es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Gemeindepolizisten und staatlichen Sicherheitskräften.

„25 Prozent der Inflation in Mexiko geht auf die Erpressung von Landwirten, kleinen Händlern und Spediteuren zurück. Dadurch erzielte das organisierte Verbrechen innerhalb der letzten Jahre einen vierfachen Preisanstieg der Lebensmittel“, erklärte der Historiker Ilán Semo diesen Montag im Interview mit Carmen Aristegui in CNN. Laut Presseagentur Bloomberg warnten US-Experten das mexikanische Innenministerium bereits vor Monaten, die wirtschaftliche Stabilität des Landes sei durch die Schutzgeldzahlungen stark gefährdet.Dabei wollte Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto eigentlich alles ganz anders machen als sein Vorgänger Felipe Calderón. Soziale Entwicklung statt militärische Repression hatte er im Kampf gegen die mächtigen Drogenkartelle versprochen. Die Zeitung „Reforma“ unterrichtete derweil vergangenen Donnerstag, die Regierungentsende nun zusätzliche 2000 Soldaten und Polizisten nach Michoacán.Ilán Semo ist der Ansicht, dass die Staatsgewalt nur in Zusammenarbeit mit soliden, legitimen Bürgerwehr-Einheiten den Lebensmittelmarkt effektiv entkriminalisieren könne. Das bedeute aber auch, dass die Hoheitsgewalt der kleinen Dörfer respektiert, kultiviert und rechtlich verankert werden müsste.

Text: Sara König

Michoacán. Foto: Christian Javan, CC-by

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