Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Peru |

Geister der Vergangenheit

Ein peruanisches Forensiker-Team hebt die Massengräber des Landes aus, um die namenlosen Toten zu identifizieren, die im Konflikt zwischen der Regierung und den Guerillas des Leuchtenden Pfads ihr Leben ließen. Dabei machen sie einen Fund, der sie lange beschäftigt. Foto: © NN
Ein peruanisches Forensiker-Team hebt die Massengräber des Landes aus, um die namenlosen Toten zu identifizieren, die im Konflikt zwischen der Regierung und den Guerillas des Leuchtenden Pfads ihr Leben ließen. Dabei machen sie einen Fund, der sie lange beschäftigt. Foto: © NN

Dutzende Knochen sind auf Tischen ausgelegt, einige zu Skeletten angeordnet. Daneben liegen verblichene Kleidungsstücke und staubige Schuhe. In blauen Kitteln und mit Mundschutz bekleidet säubern mehrere Personen die Knochen vorsichtig mit Pinseln.

Der Film "NN" (No name, 2015) des peruanischen Regisseurs Héctor Gálvez folgt einem Team von Forensikern: Sie heben die Massengräber des Landes aus, um so die namenlosen Toten zu identifizieren, die seit den 80er-Jahren im Konflikt zwischen der Regierung und den Guerillas des Leuchtenden Pfads ihr Leben ließen. Bei Ausgrabungen im peruanischen Hochland finden Teamleiter Fidel (Paul Vega) und seine Kollegen in einem Grab ein Skelett mehr als angenommen. Den einzigen Hinweis, um wen es sich dabei handeln könnte, liefert das Foto einer Frau im zerfallenen Hemd des Toten.

Fidel, der zunächst äußerlich weitgehend emotionslos erscheint, lässt der Fall nicht mehr los. Eines Tages taucht Graciela (Antonieta Pari) bei ihm im Büro auf. Sie ist überzeugt davon, dass es sich bei dem unbekannten Toten um ihren Mann handelt. Er hatte am 15. Januar 1998 das Haus verlassen und war nie wieder zurückgekehrt. Seither träumt Graciela immer wieder von ihrem Mann, sie ist ruhelos, geplagt von einem schlechten Gewissen. Als Graciela die zerschlissenen Kleidungsstücke des Toten vorgelegt werden, meint sie, den Pullover ihres Mannes wiederzuerkennen. Doch Fidel hat Zweifel. Dann erzählt ihm Gracielas Sohn, seine Mutter glaube nun schon zum vierten Mal, endlich den Leichnam ihres Mannes gefunden zu haben.

Akribische Forensik

In formal strengen Bildern und musikalisch angenehm zurückhaltend unterlegt beobachtet "NN" die Forensiker zwischendurch bei ihrer aufwändigen, akribischen und detailversessenen Arbeit. Fundstücke werden gereinigt und gelagert, Schädel fotografiert und katalogisiert, Fotos von Vermissten durchforstet und mit denen von Toten verglichen.

Zunehmend geht es in dem Film darum, wie die Betroffenen mit den damit verbundenen Belastungen umgehen: Die Menschenrechtler, die sich der Aufklärung verschrieben haben ebenso wie die Familien, die seit Jahrzehnten darauf warten, ihre vermissten Angehörigen aufzuspüren - um irgendetwas in der Hand zu haben, um die Toten zur Ruhe zu bringen und ihren persönlichen Frieden zu finden. Dabei werden auch moralische Fragen aufgeworfen: Bringt es zum Beispiel etwas, wenn den Hinterbliebenen 30 Jahre nach dem Verschwinden nichts weiter als ein Knochen in die Hand gedrückt werden kann?

Wut über ungesühnte Verbrechen

Man merkt Regisseur Héctor Gálvez die Wut über die vielfach noch ungesühnten Verbrechen an. Über zehn Jahre, nachdem die peruanische Wahrheitskommission CVR ("Comisión de la Verdad y Reconciliación") ihren Abschlussbericht über den Bürgerkrieg vorgelegt hat, fordern Opfer und ihre Familienangehörigen weiterhin Entschuldigung, Aufklärung und Entschädigungen. Circa 70.000 Menschen kamen bei den bewaffneten Konflikten zwischen 1980 und den späten 90er Jahren ums Leben - die meisten von ihnen waren arme Indigene auf dem Land.

Ihm sei es in "NN" aber nicht um eine historische Aufarbeitung gegangen, sondern um die Gegenwart, sagt Gálvez. "Es gibt immer noch viele Familien, die seit 30 oder 35 Jahren nach den Überresten ihrer verschwundenen Angehörigen suchen." Vorher hatte er bereits einen Dokumentarfilm über die Arbeit der der Wahrheitskommission CVR gedreht. In "NN" gelingt es Gálvez nun, sich dem Thema fiktional zu nähern, ohne dabei plakativ den moralischen Zeigefinger zu erheben. Es ist ein ruhiger, empathischer Film, bei dem auch die beiden Hauptdarsteller überzeugen.

Preisgekrönt ohne Zeigefinger

In Deutschland war "NN" gerade beim Berliner "Latin American Film Festival" (Lakino) im Kino Babylon-Mitte zu sehen (13. bis 18. Oktober). Vorher hatte der Film schon den Preis für die beste Regie beim Filmfest in Cartagena gewonnen - und bald tritt er als peruanischer Beitrag für den Oscar des besten ausländischen Films die Reise nach Hollywood an.

Lakino-Chef Martin Capatinta erzählt zum Abschluss des Festivals, er freue sich, dass es wieder gelungen sei, zwölf neue und interessante Spiel- und Dokumentarfilme aus Lateinamerika nach Berlin zu bringen. Das Ziel, am Ende dabei finanziell kein Minus zu machen, sei trotz regen Zuschauerzuspruchs aber wieder nicht erreicht worden. Trotzdem geht es 2016 mit Lakino weiter: Im April mit der sechsten Ausgabe des jährlichen Kurzfilmfestivals. Dann gibt es die im Zweijahresrhythmus veranstaltete Lakino-Kunstausstellung - dieses Mal zum Amazonas -, und im Herbst werden schließlich wieder Spielfilme präsentiert.

Autor: Ole Schulz

Foto: © NN

Weitere Infos zum Film: www.lakino.de

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz