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Venezuela |

"Es geht darum, Erdöl zu säen"

In Venezuela hat die erste Phase des Vergleichs zwischen Papierbelegen und digitalen Stimmen keine einzige Abweichung bei den Präsidentschaftswahlen vom 14. April ergeben. Mehr als 1,4 Millionen Stimmen wurden nachgezählt. Die erneute Zählung war nötig geworden, da die Oppositionsparteien den knappen Sieg von Nicolás Maduro nicht anerkannt hatten. Im Interview spricht Mons. Oswaldo Azuaje, Bischof von Trujillo, über die Neuzählung der Stimmen, die Auswirkungen der politischen Spannung im Land auf den Lebensalltag der Menschen und eine mögliche Perspektive für die Zukunft.

Mons. Azuaje, es ist gerade die erste Fuhre der Stimmzettel neu ausgezählt worden. Wird das wirklich Klarheit bringen?

Die Maschinen lassen keinen Betrug zu. Das heißt, an den Stimmen, die in die Wahlmaschine gegangen sind, wird sich nichts tun – auch bei der erneuten Zählung. Die Frage ist: Was ist davor passiert? Wer hat wirklich gewählt? Ich kenne jemanden, der bereits tot ist, seine Stimme ist aber trotzdem aufgetaucht. Ein Freund, der normalerweise in den USA lebt, ist nach Hause gekommen und wollte wählen. - Konnte er aber nicht, weil seine Stimme bereits abgegeben war. Als ich zur Wahl gegangen bin, liefen überall in der Nähe der Wahllokale Leute herum, die der chavistischen Partei angehören, die über ihre Präsenz versucht haben, die Leute zu beeinflussen.

Lohnt sich denn dann der Aufwand der zweiten Zählung überhaupt?

Für die Zukunft und für die Glaubwürdigkeit Venezuelas, für die Glaubwürdigkeit der Regierung und der Opposition und des Wahlsystems, wo es um Frieden, Eintracht und Harmonie geht, für dieses Gut ist es wichtig, die Wahlzettel neu auszuzählen. Denn wir sind geteilt zwischen zwei gleichen Blöcken. Es handelt sich nur um 200.000 Stimmen Unterschied – das ist nichts.

Welche Auswirkungen haben die derzeitigen politischen Geschehnisse auf das tägliche Leben der Bevölkerung?

Die Menschen fühlen sich unsicher und haben Angst, sie werden depressiv, bekommen psychische Schäden. Es fehlt im Alltag an vielen Dingen, wie zum Beispiel an öl und an Butter. Es fehlt sehr stark an Reis und an Mais, den man für die Arepa braucht, also für das tägliche Brot der Venezolaner. Es fehlt an Milch, vor allem an Pulvermilch, die überall verwendet wird. Es fehlt an Toilettenpapier und anderen einfachen Dingen, die man für die Hygiene braucht. Und auch - das habe ich selber erlebt - an Medizin. Ich bin von Apotheke zu Apotheke gelaufen, um ein Medikament zu bekommen, aber das gab es einfach nirgendwo. Hinzu kommt, dass es regelmäßig keinen Strom gibt. Und die Inflation ist die zweithöchste der Welt.

Wie lange werden die Menschen das noch mitmachen? Ist davon auszugehen, dass es von Seiten der Bevölkerung zu Ausschreitungen kommt?

Die Regierung ist natürlich aufgefordert Lösungen zu suchen für die fehlenden Grundnahrungsmittel und zu schauen, dass die Versorgung mit Elektrizität verbessert wird. Das ist eine wichtige Herausforderung für die Regierung, aber auch für die Opposition, denn wir haben vor vielen Jahren gesehen, was passiert, wenn die Menschen auf die Straße gehen. Bei dem Caracasso haben sie wild rebelliert und es gab viele Tote. Das ist natürlich irrational, das ist nicht gutzuheißen. Und das will natürlich auch die Regierung nicht. Daher hat sie bereits Mittel aufgebracht, um etwas für das Wohl Venezuelas zu tun, um diese Probleme anzugehen.

Welche Rolle spielen die Medien in Venzuela in dieser schwierigen Situation? Kommen sie ihrer Verantwortung hinreichend nach oder wird hier zusätzlich manipuliert?

Die Medien sind, wie es auch die Gesellschaft ist, polarisiert. Die regierungsnahen Medien stellen die Realität so da, wie sie sie sehen möchten. Genauso wie die Opposition natürlich auch. Es gibt zwar Medien, die im Gleichgewicht sind, aber das sind wenige. Genau von diesen müsste es natürlich mehr geben, um der Polarisierung entgegenzuwirken, aber das passiert nicht.

Wie steht die Kirche zu der neuen Regierung?

Die Bischofskonferenz ist in den vergangenen Jahren regelmäßig von der Regierung beschuldigt worden, Opposition zu sein. In Wirklichkeit sind wir immer nur kritisch gewesen. Das hat man auch bei der Regierung Caldera gesehen, der ja im Vergleich zu Chavez sehr katholisch gewesen ist. Auch er hat uns stark angegriffen, weil wir uns kritisch ihm und seiner Regierung gegenüber geäußert haben. Und ähnlich haben wir das auch bei Chavez gemacht und werden es auch weiterhin tun.

Was halten sie von einem System der kirchlichen Eigenfinanzierung, um vom Staat unabhängiger zu sein?

Die Kirche hat in früheren Jahren sehr große Hilfen vom Staat bekommen. Davon bekommt sie aber heute nur noch ein Zehntel, vor allem seit die chavistische Partei an die Macht gekommen ist. Die Kirche hat darauf reagiert, in dem sie von außerhalb, also auch von Organisationen wie Adveniat, Kirche in Not oder Misereor, Hilfen angenommen hat. Wir machen große Anstrengungen für eine Selbstfinanzierung. Auch wenn Venezuela durch das Erdöl theoretisch viel Geld hat, war die Kirche immer arm. Im 19. Jahrhundert hatte sie nichts, wurde stark unterdrückt, hat sehr viel ihres Besitzes und ihrer Güter abgeben müssen und hat davon nie etwas zurück bekommen. In meiner Diözese Trujillo versuchen wir seit vielen Jahren mit der Hilfe der Gläubigen auszukommen, aber das Leben ist sehr teuer geworden. Die Arbeitskraft ist sehr teuer geworden. Wir kommen nicht ohne die Hilfe von anderen aus.

Was muss geschehen, damit Venezuela wieder zur Ruhe kommt und wie schätzen Sie dabei die Linie von Maduro ein?

Das Land hängt nie an einer Person. Demokratie ist etwas, an der alle Teil haben können und Teil haben sollten. Die sehr starke Fokussierung auf den Präsidenten ist eigentlich ein Defekt. Und die Reichtümer sollten nicht einem Staat, und vor allem nicht einer Partei gehören, sondern sie sollten allen Venezolanern zugute kommen. Vor allem der Reichtum des Erdöls. Ein Schriftsteller hat mal gesagt: „Es geht darum Erdöl zu säen, damit ein neues Venezuela geboren werden kann.“ Es geht darum, eine Basis zu schaffen, um Venezuela so weit zu bringen, dass es sich selber versorgen kann und auch für sich selber produzieren kann. Zur Zeit muss Venezuela 80 Prozent dessen, was es verbraucht, importieren. Deswegen geht es um Gemeinschaft und um Demokratie. Die Verfassung bildet dafür eine gute Plattform. Das Problem ist aber, dass sie von der Regierung und den Machthabern nicht anerkannt wird, man geht über sie hinweg.

Was wünschen sich die Venezolaner?

Die Leute wollen Arbeit, sie wollen eine Garantie für diese Arbeit. Sie wollen Gesundheit, sie wollen Sicherheit, sie wollen Religionsfreiheit, sie wollen eine Qualität des Lebens – und zwar eine, die Gewalt überwindet. Das geht aber nur, indem das Lebensniveau verbessert wird. Für alle. Und worum es immer geht, ist der Dialog. – Im Dialog für alle den Frieden zu erreichen. Demokratie und Friede, ist ein Thema der Bildung. Die Leute müssen Zugang zu einer besseren Bildung bekommen.

Interview: Mareille Landau

Mons. Oswaldo Azuaje. Foto: Landau/Adveniat

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