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Die Kraft der Einsamkeit

Foto: Wikipedia, lizenzfrei
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"Soledad", Einsamkeit, ist vielleicht das Schlüsselwort für das Leben der mexikanischen Sängerin Chavela Vargas. Schon als Kind hat sie sich einsam gefühlt, unverstanden und ungeliebt.

"Soledad" ist dann auch das erste Lied, mit dem sie im Dokumentarfilm "Chavela" zu sehen und zu hören ist: "Es war in einer sternenlosen Nacht, als Du mich verlassen hast... Komm zurück, komm schon zurück, meine Einsamkeit." "Soledad", die Einsamkeit, sei ihr treuster Begleiter im Leben gewesen, resümiert sie später.

Chavela Vargas war eine außergewöhnliche Frau. Als sie Anfang der 1950er Jahre, begleitet nur von einer Gitarre, als Frau Ranchera-Lieder sang, brach sie mit den Rollenerwartungen. Denn statt wie alle anderen Sängerinnen ihrer Zeit mit einem strahlenden Lächeln, Blumen im Haar und Rüschenkleidern in knalligen Farben aufzutreten und mit den Hüften zu wackeln, trug sie die Haare kurz und war ganz schlicht in Hosen und mit Poncho gekleidet. Dazu kam ihre raue, ausdrucksstarke Stimme, der man kaum widerstehen konnte und die klang, als sei ihre Seele tatsächlich schwer verwundet.

Film feiert Erfolg auf der Berlinale

Der Film "Chavela" der beiden US-amerikanischen Regisseurinnen Catherine Gund und Daresha Kyi lief bereits auf der diesjährigen Berlinale, wo er in der Sektion Panorama auf den zweiten Platz beim Publikumspreis in der Kategorie Dokumentation landete. Es ist eine weitgehend konventionell gemachte Dokumentation, die Gespräche mit Freundinnen, Partnerinnen und Wegbegleitern von Vargas, mit Interviews mit der Sängerin selbst, Archivmaterial und vor allem Aufzeichnungen ihrer Auftritte verbindet.

Immer wieder werden dabei ihre Texte in einer etwas übertrieben schnörkligen Schrift in deutschen Übersetzungen eingeblendet. Das hat den Vorteil, dass Zuschauer, die des Spanischen nicht mächtig sind, ein Gefühl für den Herzschmerz ihrer Lieder bekommen, die von Liebe, Leidenschaft, Verlassenwerden und Einsamkeit handeln: "Ich begehrte Dich, ohne von deiner Existenz zu wissen. Ich kannte Dich schon, bevor ich Dich traf."

Ein unangepasstes und bewegtes Leben

Viel falsch machen kann der Dokumentarfilm "Chavela" dabei ohnehin nicht zu bewegend ist der Lebensweg von Chavela Vargas, zu großartig ihre Stimme, die derart ernsthaft war, dass sie der Ranchera-Musik alles Gefällige austrieb.

1919 in Costa Rica geboren, flüchtete die Musikerin bereits im Alter von 14 Jahren vor ihrer Familie, die das oft traurige Mädchen für verrückt hielt. Sie ging nach Mexiko-Stadt damals für viele Südamerikaner ein Sehnsuchtsort. Als Straßensängerin wurde sie dort von dem Ranchera-Komponisten José Alfredo Jiménez für die Bühne entdeckt. Anfangs versuchte sie noch dem gängigen Bild einer Frau zu entsprechen, trug lange Haare und Make-up. Wie ein Transvestit hätte sie ausgesehen, erinnert sie sich.

Dann änderte sie ihren Stil und hatte Erfolg damit. Im Laufe der 1950er Jahre trat Chavela dann auch in den mondänen Hotels Acapulcos vor dem Hollywoodjetset auf. Bei der Hochzeit von Elizabeth Taylor etwa, wo sie am nächsten Morgen, wie sie als alte Frau kokett erzählt, neben der Schauspielerin Ava Gardner aufwachte. Es war ein offenes Geheimnis, dass Chavela Vargas, eine ausgesprochen attraktive Frau, lesbisch war und viele Liebschaften auch mit Frauen bekannter Persönlichkeiten hatte. Doch angesichts der konservativen Macho-Gesellschaft ihrer Heimat traute sie sich erst im hohen Alter, das öffentlich einzugestehen.

Impulsgeberin für die Frauenbewegung

Die Dokumentation "Chavela" betont die Bedeutung, die Chavela Vargas für die lesbische Bewegung in Mexiko hatte. "Ich bin die erste Sängerin, die in Mexiko für andere Frauen gesungen hat", sagt Chavela an einer Stelle des Films, sie habe Türen geöffnet, "dafür aber auch sehr leiden müssen". Laut ihrer ehemaligen Managerin ist Chavela für die lesbische Community Mexikos sogar "die wichtigste Frau in der Geschichte des Landes gewesen".

Der Film wirft eine weitere interessante Frage auf und die war für das (Über-) Leben Chavela Vargas´ sogar entscheidend: Wie gelang es ihr, ihren schweren Alkoholismus zu überwinden, den sie selber als "schwere psychische Krankheit" beschrieb? Bereits mit ihrem Entdecker José Alfredo Jiménez hatte sie täglich Unmengen Tequila getrunken. Im Schnaps mag sie ihren Weltschmerz ertränkt haben aber vielleicht diente das Trinken auch dazu, um sich in der Männerwelt zu behaupten. Sie musste mehr "macha" und "más borracha", also betrunkener, sein als die Männer, sagt jedenfalls eine ihrer Freundinnen. In den späten 1970ern ging es ihr alkoholbedingt dann körperlich so schlecht, dass sie nicht mehr auftrat und in das kleine, magische Städtchen Tepoztlán zog, wo sie jahrelang in Armut lebte.

Ein spätes Comeback

Wie Chavela dort vom Alkohol wegkam, streift der Film nur am Rande. Demnach hat ihr der Glaube an die mexikanischen Gottheiten und Rituale von Schamanen dabei geholfen, die Kraft dafür aufzubringen. Sie hörte schließlich von einem Tag auf den anderen mit dem Trinken auf. Danach blieb sie eine trockene Alkoholikerin und rührte nie wieder einen Tropfen an.

Dass sie nicht rückfällig wurde, war der erste Schritt für ein spätes wie unerwartetes Comeback: Mit über 70 Jahren feierte sie zunächst ihre Rückkehr nach Mexiko-Stadt, wo sie viele bereits für tot hielten, dann folgten regelmäßige Auftritte in Spanien. In Madrid lernte sie 1992 auch den spanischen Regisseur Pedro Almodóvar kennen, ihren letzten Förderer. Er sei ein Seelenverwandter von Chavela, erzählt er im Film. Fortan unterlegte Almodóvar Schlüsselszenen seiner Filme wie "Mein blühendes Geheimnis" (1995) mit Chavelas expressiver Stimme.

Kurz bevor sie am 5. August 2012 in Mexiko verstarb, gab die inzwischen 93jährige Chavela Vargas noch ein umjubeltes Konzert im Pariser Olympiastadion und erfüllte sich damit einen letzten Traum. Mit ihren Liedern führt Chavela Vargas uns laut Pedro Almodóvar bis heute vor Augen, dass Leiden zum Leben dazu gehöre. Und dadurch erlöse sie uns auch von unseren Sünden.

Autor: Ole Schulz

Der Dokumentarfilm "Chavela" von Catherine Gund und Daresha Kyi, USA 2017, 90 Min, läuft seit 16. August in den Kinos.

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