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Haiti |

"Der Staat ist so schwach wie noch nie"

Das Nationale Netzwerk zur Verteidigung der Menschenrechte (RNDDH) hat anlässlich des ersten Jahrestages des Erdbeben eine Bilanz gezogen und stellt der haitianischen Regierung ein katastrophales Zeugnis aus. Hier ein Auszug aus dem Bilanzbericht.

Das Erdbeben vom 12. Januar 2010 hat unser Land hart getroffen und untilgbare Schäden hinterlassen. Die menschlichen und materiellen Verluste sind immens.

Unter diesen dramatischen Umständen hätte die Rolle des Staates stärker sein müssen. Der Staat hätte bei der Koordination der Hilfsaktivitäten, bei der Wiederaufnahme der täglichen Aktivitäten und bei der Verteilung der humanitären Hilfe allgegenwärtig sein müssen, um zu gewährleisten, dass die für die Opfer gedachten Hilfen auch tatsächlich bei den Bedürftigsten ankommen. Die Präsenz des Staates hätte es auch bei den Wiederaufbaumaßnahmen auf wissenschaftlicher Basis bedurft, bei Vorschlägen neuer Normen, die den Bedürfnissen des Landes angepasst sind. Doch der haitianische Staat ist heute so schwach und bewegungslos wie noch nie.

Katastrophe nicht als Chance begriffen

Es ist bedauerlich, dass es der Regierung Préval/Bellerive in diesem Jahr nach dem Erdbeben nicht gelungen ist, die Katastrophe auch als Chance wahrzunehmen, dringend notwendige Maßnahmen zu ergreifen und das Land auf einer neuen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Basis aufzubauen. Im Gegenteil: alles scheint darauf abzuzielen, die bestehenden Verhältnisse zu erhalten und die Bevölkerung bei wichtigen Entscheidungen, die ihre Zukunft betreffen, außen vorzulassen.

Undurchsichtige Kommissionsarbeit

Im Zusammenspiel mit der internationalen Gemeinschaft hat die Regierung einen nationalen Wiederaufbauplan vorgeschlagen, ohne sich mit Vertretern wichtiger Sektoren des Landes beraten zu haben. Der Plan wird von der Kommission zum Wiederaufbau (CIRH) umgesetzt, die aus Ausländern und Haitianern zusammengesetzt ist. Diese Kommission, die völlig undurchsichtig arbeitet, bestätigt, dass sie Projekten in Höhe von einer Milliarde US-Dollar zugestimmt hat. Bis zum heutigen Datum lässt sich keine Umsetzung dieser Projekte, die Tausende Bauarbeiter beschäftigen sollten, feststellen.

Kommerzialisierung der Misere

Die Misere der Bevölkerung, weltweit kommerzialisiert, ist zu einer regelrechten Einkommensquelle geworden. Versammlungen, Benefizkonzerte, Marathons oder Fernsehgalas werden für die Opfer des Erdbebens organisiert. Die dabei gesammelten Mittel laufen über internationale Organisationen und die Regierung, gelangen aber nicht zu den Opfern. Drei Milliarden Dollar sind im Namen der Erdbebenopfer ausgegeben worden. Doch die Auswirkungen dieser ungeheueren Summe sind nicht messbar, dagegen nehmen die Gerüchte über Menschen zu, die sich wegen der schlechten Verwaltung von Spendengeldern persönlich bereichert haben.

Verschlimmerung der Situation durch die Cholera

Die Situation der Bevölkerung ein Jahr nach dem Erdbeben hat sich nicht verändert, wenn nicht sogar wegen der Verbreitung der Cholera verschlechtert. (…). Die Cholera ist heute landesweit verbreitet und tötet täglich Menschen.

Die Opfer des Erdbebens haben nicht nur mit den täglichen Problemen – den schlechten hygienischen Verhältnissen, der schwierigen Sicherheitslage etc. – zu kämpfen, sie haben auch Sorge um ihre Zukunft. Sie haben keine sichere Unterkunft und können jederzeit von den Eigentümern des Grundes vertrieben werden, wo sie übergangsweise leben. Sie haben keine Arbeit, kein geregeltes Einkommen, das ihnen eine sichere Unterkunft gewährleisten könnte.

Befleckte Wahlen

Die Wahlen, die von Beginn an von einigen Bevölkerungsgruppen hinterfragt wurden, aber von der internationalen Gemeinschaft (OAS, CARICOM, UNO) unterstützt wurden, sind von massiven Unregelmäßigkeiten und gewalttätigen Ausschreitungen befleckt. Der Wahlrat hat Teilergebnisse veröffentlicht, begleitet von Demonstrationen, die mindestens zwei Todesopfer gefordert haben und viel materielle Schäden verursachten.

Angesichts der Schwere der Krise nach den Wahlen hat die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die Regierung eine Expertenkommission mit weitreichenden Befugnissen eingesetzt, die die Wahlergebnisse prüfen soll. Fakt ist, dass diese Kommission nicht so unabhängig ist, wie sie sein sollte. Außerdem beschränkt sich ihre Arbeit nur auf die Prüfung der Präsidentschafts-, nicht aber der Legislativwahlen.

Angesichts dieser Feststellungen empfiehlt das Netzwerk der Regierung und den Behörden

- mit den rückständigen und von Vetternwirtschaft geprägten Regierungsformen zu brechen

- den nationalen Wiederaufbau und die Zukunft der Bevölkerung ernst zu nehmen

- mit der Bevölkerung einkommensschaffende Projekte auszuarbeiten, um die Lebensbedingungen zu verbessern

- den Obdachlosen Unterkünfte zu verschaffen, die internationalen Wohn-Normen entsprechen

- wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Choleraepidemie in den Griff zu bekommen

- die Gesundheitszentren zu stärken und vor allem in den Flüchtlingscamps und Armenviertel auszubauen

- nationale Experten heranzuziehen, um Städteprojekte auszuarbeiten und die Infrastruktur (Elektrizität, Wasserversorgung, Straßen, Brücken) mit Hilfe der Milliardenspenden wiederaufzubauen

- eine Entwicklung zu fördern, die sich auf die Wahrung der Menschenrechte begründet

- der Bevölkerung die Möglichkeit zu schaffen, ihre politischen Vertreter unter transparenten, ehrlichen, glaubwürdigen und demokratischen Bedingungen zu wählen.

    Quelle: Alterpresse, Übersetzung: Verena Hanf

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