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Argentinien |

Das Phänomen "Kirchnerismus"

Raúl Isman ist Journalist, Schriftsteller und Professor für Geschichte an der Universidad de Buenos Aires. Er bekennt, dass er ein Anhänger der „K-Regierungen“ ist: derjenigen des vor einem Jahr verstorbenen Néstor Kirchner und der seiner Witwe Cristina Fernández de Kirchner, die 2007 ihrem Mann im Amt folgte. Sie stellt sich den Argentiniern am 23.Oktober zur Wiederwahl. In einem Interview versucht Raúl Isman, den „Kirchnerismus“ zu erklären. Er selbst gehörte in den ´70-er Jahren der anti-peronistischen Linken an.

Den Peronismus zu definieren, das ist eine sehr schwierige Aufgabe…

Der Peronismus ist eine sehr breite Kraft, in die alle hineinpassen. Ein Student fragte mich einmal, ob der Peronismus den Arbeitern zuzuordnen sei. Ich sagte “ja“, das sei er – eine Kraft der Arbeiter, und auch der Ausbeuter, der Unterdrückten wie der Unterdrücker. Der Kirchnerismus lässt sich als Peronismus im besten Sinne verstehen, insofern als er viele Positionen vertritt, die für das breite Volk von Vorteil sind. Einer Regierung der besten Peronisten ist stets der Vorzug zu geben gegenüber einer Regierung der schlechtesten Peronisten.

Wie würden Sie das kirchneristische Projekt beschreiben?

Es setzt auf Entwicklung. Ein nationales Projekt insofern, als es sich auf einen starken Staat stützt, und die Entscheidungen nicht vom Weltwährungsfond und der Weltbank getroffen werden, sondern innerhalb Argentiniens. Dabei geht es darum, das eigene Wachstum zu fördern.

Welche Maßnahmen der Kirchner-Regierungen würden Sie hervorheben?

Ich kann hier nur einige erwähnen. Der Kirchnerismus hat Verbrechen der Diktatur vor Gericht gebracht und für die Bestrafung von Tätern gesorgt. Es ist sicher kein Zufall, dass die wichtigsten Menschenrechtsorganisationen auf der Seite von Cristina stehen, wenn auch teilweise aus einer sehr kritischen Perspektive heraus.

In der Außenpolitik hat der Kirchnerismus sich für das Bündnis mit Venezuela, Ecuador und Bolivien entschieden. Néstor Kirchner ordnete sich seinerzeit US-Präsident Bush nicht unter, es gab mit der US-Regierung keine herzlichen Beziehungen.

Aus wirtschaftlicher Sicht wurde der Reindustrialisierung Argentiniens Priorität gegeben. Der Staat besaß die Fähigkeit zu intervenieren und sah es hierbei als seine Aufgabe an, die Einkommen umzuverteilen. Viele Argentinier, die lange Jahre keine Beschäftigung hatten, erhielten eine Rente, obwohl sie nicht die entsprechenden Beiträge eingezahlt hatten. Und die Gewerkschaften erhielten eine zentrale Rolle, die sie seit der Diktatur von 1976 verloren hatten.

Und was geschah mit Argentiniens Auslandschulden?

Néstor handelte die Schulden neu aus. Letztlich wurden sie zurückgezahlt, unter zwei grundsätzlichen Bedingungen: sich unabhängig von den globalen Mächten zu machen, und die Schulden mussten in argentinischen Pesos beglichen werden können. Vor Néstor betrugen die Schulden das Anderthalbfache des argentinischen Bruttoinlandsprodukts, heute ist es nur die Hälfte.

Wie sieht es mit der Versorgung aus: Strom, Wasser, Gas, Transport?

Der Staat zahlt Subventionen, teilweise gab es Wiederverstaatlichungen. Eine durchschnittliche argentinische Familie zahlt für Trinkwasser umgerechnet fünf US-Dollar. Viele Menschen, die früher nur Wasser aus dem Brunnen hatten, sind heute ans Wassernetz angeschlossen. Die Stromversorgung befindet sich zwar in privater Hand, doch dank Subventionen ist Strom sehr preiswert – eine Familie zahlt im Monat weniger als 15 Dollar. Eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln kostet 0,25 Dollar.

Aber Argentinien ist kein Paradies. Wie sieht es mit der politischen Beteiligung der Menschen an der Entscheidungsfindung aus?

Der Kirchnerismus hat sich keine eigene Organisation geschaffen. Paternalismus und Vertikalismus sind Traditionen aus dem Peronismus, die Néstor nicht verändert hat.

Interview: Andrés Figueroa Cornejo in Adital, deutsche Bearbeitung: Bernd Stößel

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