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Honduras |

"Das Land blutet aus"

5.418 Menschenrechtsverletzungen hat die alternative Wahrheitskommission seit dem Putsch 2009 gezählt, mehrheitlich begangen von staatlichen Sicherheitskräften. So steht es in deren Abschlussbericht. Gestern hat – angesichts von Morddrohungen – der honduranische Koordinator von Via Campesina, Rafael Alegría, Alarm geschlagen.

„Wir begeben uns zum Obersten Gerichtshof, von wo uns die Polizei vertreibt. Wir gehen zur Staatsanwaltschaft und werden ignoriert (…) dieses Land blutet aus, es ist der Moment, friedliche Lösungen zu finden“, erklärte Rafael Alegría, honduranischer Koordinator der weltweit organisierten Kleinbauernbewegung „Via Campesina“ Anfang der Woche gegenüber TeleSur.

Aufgeben würden die Kleinbauern ihren Kampf um Landrechte jedoch nicht, obwohl allein in Bajo Aguan aufgrund dieses Konflikts mehr als 75 Bauern ermordet wurden, so Alegría. Erst am 24. September war der renommierte 41-jährige Anwalt Antonio Trejo von fünf Kugeln durchsiebt worden. Er hatte die Anliegen der Kleinbauernorganisation MARCA juristisch vertreten.

Rafael Alegría fordert Dialog und er fordert Schutz – auch seinen eigenen. Aus höchsten Regierungskreisen sei ihm zugetragen worden, dass Mordpläne gegen ihn vorlägen, er sei mit dem Tod bedroht worden. Und Alegría sagt, „hoffen wir, dass die Behörden – dieselben Behörden, die mir die Todesdrohungen übermittelt haben – in der Lage sind, zu verhindern, dass diese Pläne realisiert werden“.

„Wann wird mir selbst etwas passieren?“

In Honduras kann es einen leicht erwischen, mit dem Ableben durch Mord. Das ist seit Jahren schon statistisch erwiesen und gerade hat die UNO wieder Zahlen veröffentlicht, wonach das mittelamerikanische Land, das knapp 8 Millionen Einwohner zählt, seinen „Spitzenplatz“ mit der höchsten Mordrate „verteidigt“ hat: 92 Tote pro 100.000 Einwohnern im Jahr 2011.

Private bewaffnete Sicherheitsdienste, Militärpatrouillen, Polizei – bewaffnete Personen seien allgegenwärtig im Leben der Menschen in Bajo Aguan: „Ich durchlebe so etwas wie eine Psychose wegen all der waffentragenden Personen. Sobald ich das Haus verlasse, frage ich mich: Wann wird mir selbst etwas passieren?“, beschreibt eine Bürgerin im 300 Seiten starken Abschlussbericht der alternativen Wahrheitskommission die psychische Belastung der Bevölkerung.

Immer mehr Funktionäre in Verbrechen verwickelt

Die alternative Kommission der Wahrheit (Comisión de Verdad) wurde von mehreren Menschenrechtsorganisationen im Jahr 2010 als Reaktion auf die von Präsident Porfirio Lobo eingesetzte staatliche Wahrheitskommission (Comisión de la Verdad y Reconciliación) von Menschenrechtsorganisationen begründet. Sie hatte sich, im Gegensatz zur staatlichen Kommission, auch ausdrücklich die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Putsch auf die Fahnen geschrieben.

Auch wenn linke Anhänger des im Sommer 2009 aus dem Amt geputschten Präsidenten Zelaya in dieser Kommission vertreten sein mögen und man sowohl der staatlichen wie auch der alternativen Kommission politische Motive unterstellen könnte – eine solche Kommission gäbe es nicht, wenn die Situation nicht so gravierend wäre: Etwa 44 Prozent der Menschenrechtsverletzungen werden durch die Nationalpolizei und 30 Prozent durch die Armee verübt. Die Zahl von politischen Funktionären, die an diesen Verbrechen beteiligt sind, sei steigend.

Immer weniger Rechtsstaatlichkeit

„Die Rechtsstaatlichkeit hat in der Zeit nach dem Putsch bedeutend nachgelassen und vorhandene Ressourcen wurden dafür aufgewendet, die Unruhen im Land unter Kontrolle zu bringen“, heißt es auch im UN-Bericht zur Kriminalitätsrate. Honduras sei durch den Drogenkrieg in Mexiko immer mehr zum Drogenumschlagplatz für den Kokainhandel in die USA geworden, so die Autoren.

Rafael Alegría beklagt, dass die Regierung sich nicht mit den Kleinbauern an einen Verhandlungstisch setzen wolle. Stattdessen wird militarisiert und von Regierungsseite heißt immer wieder, Kleinbauern seien in den Drogenhandel verwickelt.

Lobo plant Inseln der Glückseligkeit

Die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit für alle, ein Ende der Straflosigkeit, den Aufbau einer funktionierenden Justiz, die Rücknahme der Amnestie von 2010 und Opferentschädigung fordert die alternative Wahrheitskommission, um dem Land wieder auf die Beine zu helfen. Aber Präsident Lobo hat ganz eigenen Ideen, die Situation zu verbessern – für einige zumindest. Geplant sind „Modellstädte“, zunächst drei von einer Größe von 33 Quadratkilometern, aus denen Kriminalität und Elend ausgesperrt werden sollen. Schick, sauber und sicher leben, einkaufen und produzieren und investieren soll man dort können – nach eigenen Regeln. Dafür wurde sogar die Verfassung geändert.

Frank de la Rue, UN-Berichterstatter für Meinungsfreiheit, hält diese Pläne für mit den Menschenrechten unvereinbar. So soll zum Beispiel relativ leicht enteignet werden können, wo dies von Investoren für notwendig befunden wird. Gegen die Idee der Modellstädte regt sich Widerstand. Soziale Organisationen und Einzelpersonen haben gegen Präsident Porfirio Lobo und jene Kongressabgeordnete, die für 2011 für die Verfassungsänderung stimmten, vor dem Obersten Verfassungsgericht eine Klage wegen „Landesverrats“ angestrengt.

Autorin: Bettina Hoyer

Trauer um den Anfang Oktober 2011 in Bajo Aguán ermordeten Kleinbauern Carlos Humberto Martínez / Giorgio Trucchi, www.2.rel-uita.org

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