Brasileia seit drei Jahren im Ausnahmezustand
Seit drei Jahren herrscht Ausnahmezustand in der kleinen brasilianischen Amazonasstadt Brasileia. Rund 6.000 Flüchtlinge, die meisten aus Haiti, sind bisher über die nahe Grenze aus Bolivien und Peru gekommen. Neuerdings drängen sich auch Afrikaner in den überfüllten Notunterkünften. Nun will Brasiliens Regierung bei einer Konferenz nach Lösungen suchen. Vor allem den Schlepperorganisationen soll das Handwerk gelegt werden.
In einem improvisierten Lager mit 1.300 Flüchtlingen herrschen verheerende hygienische Zustände. Wer Glück hat, schläft auf einer Matratze. Die anderen müssen sich mit Pappkartons begnügen. Jeden Morgen warten die Menschen in langen Schlangen auf die unregelmäßige Lebensmittelzuteilung. Als der Flüchtlingsstrom vor drei Jahren einsetzte, waren es fast ausschließlich Haitianer, die vor der katastrophalen Versorgungslage in ihrer Heimat flohen. Nach dem Erdbeben im Januar 2010 waren Hunderttauende arbeits- und obdachlos geworden.
Doch neuerdings herrscht in den Unterkünften in Brasileia ein Gewirr aus Spanisch, Französisch, Englisch und Kreolsprachen. Auch Wolof, eine in Westafrika verbreitete Sprache, ist zu hören. Neben Menschen aus der Dominikanischen Republik hoffen nun auch gut ausgebildete Senegalesen auf brasilianische Arbeitspapiere. Im Januar 2012 hatte Brasilia den illegalen Haitianern Arbeitspapiere ausgestellt. Diese fanden daraufhin auf den Baustellen der Megastaudämme Amazoniens oder im reichen Süden Arbeit. Die Regierung machte damals klar, dass es sich um eine einmalige Ausnahmeregelung handele. Künftig dürften Flüchtlinge nur mit gültigen Arbeitsvisa einreisen.
Bundesstaat Acre ruft Notstand aus
Aber die Geste hat Hoffnungen geschürt. Die Verantwortlichen in Brasilia haben aber bisher nicht signalisiert, eine ähnliche Regelung auch auf Neuankömmlinge anzuwenden. Im Gegenteil: Trotz eindringlicher Hilfsappelle der überforderten Landesregierung von Acre blieb die Bundesregierung passiv. Acres Gouverneur rief schließlich den sozialen Notstand in der Grenzregion aus. Sein Bundesstaat verfüge nicht über die Mittel, um die Flüchtlinge versorgen zu können. Offen kritisierte er die Untätigkeit des Justiz- und des Außenministeriums in Brasilia.
Jetzt wird die Bundesregierung endlich tätig. Ende April trafen ihre Vertreter in der Region ein, darunter Soldaten, die für Ordnung sorgen sollen. Am Montag, 13. Mai, trifft sich die Regierung in der Hauptstadt mit Vertretern aus Haiti, der Dominikanischen Republik, Ecuador, Peru und Bolivien. Im Fadenkreuz der internationalen Bestrebungen steht das Treiben der "Kojoten", der Schlepperbanden, die Flüchtlinge bis nach Brasilien schleusen und auch Kontakte zum internationalen Drogenhandel haben sollen.
Routen der Schlepperbanden sollen ermittelt werden
Die "Kojoten" schleusen auf abenteuerlichen Wegen die Haitianer über die Dominikanische Republik, Panama und Ecuador nach Bolivien und Peru. Von dort geht es weiter an die brasilianische Grenze. Derweil erarbeiten brasilianische Wissenschaftler zusammen mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) eine Studie, die das Vorgehen, die Logistik und die genauen Routen der "Kojoten" untersuchen soll. Das Ergebnis soll im Oktober vorliegen.
Derzeit leitet Brasilien die MINUSTAH-Mission der UN auf Haiti, die nach dem Erdbeben 2010 noch einmal verstärkt wurde. In der letzten Woche begann Brasilien mit dem stufenweisen Abzug seiner Truppen. Die ersten 330 Soldaten eines Ingenieurbataillons haben den Inselstaat bereits verlassen, weitere 440 sollen demnächst heimreisen. Allerdings werde Brasilien, so hieß es, sein Versprechen halten, bis zum Ende der Mission 2016 ein Kontingent von 1.450 Soldaten in Haiti zu halten.
Quelle: KNA, Autor: Thomas Milz