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Bolivien |

Boliviens Außenminister: "Koka ist doch kein Kokain"

Herr Minister, Sie sind nach Europa gereist um für eine Reform des UN-Einheitsabkommen für Betäubungsmittel von 1961 zu werben. Was genau ist ihre Forderung?

Céspedes: Um eines klar zu stellen: Zu keinem Zeitpunkt ist Bolivien eine komplette Reform in den Sinn gekommen. Die Ganzheitlichkeit des Abkommens können und wollen wir nicht anrühren. Bolivien möchte Teil dieses Völkervertrages sein. Kein Komma, kein Punkt, kein Wort wird angerührt. Was wir fordern, ist die Mitgliedschaft im Abkommen unter der Bedingung einer Ausnahmeregelung für Bolivien.

Ausnahme für was genau?

Céspedes: Dass das Kokablatt-Kauen in Bolivien nicht weiter verboten ist. In unserem Land gibt es das Acullico seit 7000 Jahren. Ich selbst kaue Kokablätter. Wir alle kauen Koka, bei der Geburt eines Kindes, zu Beginn eines Fußballturniers, bei einer Hochzeit segnen wir unsere Häuser mit Koka. Die Koka ist immer mit dabei. Unsere Verfassung hat die Koka darum zum nationalen Kulturerbe aller Bolivianer erklärt. Kein Land schließt sich einem internationalen Mechanismus an, wenn dieses die eigene Verfassung bricht. Dafür soll die internationale Gemeinschaft Verständnis aufbringen. Bolivien will Mitglied im UN-Drogenabkommen bleiben, aber mit der Ausnahmebestimmung für das Kokablatt-Kauen.

2012 hat Bolivien das Abkommen verlassen, nachdem ein erster Vorstoß von Ländern wie den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Deutschland abgelehnt worden war. Eine Sonderregelung würde die Glaubwürdigkeit der Konvention untergraben, so das Argument der Staatengruppe...

Céspedes: Bisher gibt es über 30 Ausnahmen. Auch die USA behalten sich doch vor, alle internationalen Verträge an ihrer eigenen Verfassung auszurichten. Das wird akzeptiert. Warum also für Bolivien keine Ausnahme? Leider gibt es oft Missverständnisse, was mangelnder Kommunikation und Austausch auf diplomatischer Ebene geschuldet ist. Aus Unwisssen und wegen fehlender Informationen kommen manche Länder zu falschen Schlussfolgerungen. Koka ist doch kein Kokain.

Wie kam es zum Verbot des Acullico?

Céspedes: Seit Kolonialzeiten wird versucht das Kokablatt-Kauen zu unterbinden. 1961 haben Experten die „Liste 1“ erstellt mit verbotenen Pflanzen, die als gesundheitsschädlich eingestuft wurden samt Folgen des Konsums. Nur beim Kokablatt fehlt diese Angabe. Auch das Kokablatt-Kauen steht auf dieser Liste, ein klarer Anschlag auf unsere Kultur. Von Bolivien wurde das Abkommen in Zeiten der Militärdiktatur der 1970er Jahre unterzeichnet. In der Diktatur hatten die Bolivianer keinerlei Rechte, auch nicht auf ihre Kultur. Bürger- und Indigenenrechte wurden mit Füßen getreten, geschweige denn auf internationaler Ebene verteidigt. Heute stehen wir für unsere Kultur ein. Unrecht der Militärdiktaturen wird korrigiert. Die internationale Gemeinschaft sollte uns dabei begleiten. Die Konvention von 1961 erlaubt die Nutzung von Koka allein zu Forschungszwecken. Wir kauen Koka aus medizinischen und gesundheitlichen Gründen. Das darf doch nicht verboten sein. Ein Zusatzabkommen von 1988 lässt die Nutzung von Koka an historischen Orten zu. Tausende dieser Orte könnten wir nachweisen, sogar die Steine in Tiwanaku zeigen Gesichter, die Koka in der Backe haben.

Wie sind Vorgängerregierungen bisher mit dem Verbot umgegangen?

Céspedes: Vor allem sind Menschenrechte verletzt worden, zum Beispiel bei der Verringerung der Koka-Anbauflächen durch Gewalt. Auch wir kommen der internationalen Verpflichtung zur Verringerung der Anbauflächen nach. Allein 2011 haben wir über zehntausend Hektar überschüssiger Kokafelder weniger, was auch die Vereinten Nationen loben. Aber, und das ist der Unterschied zu früher, unter Achtung der Menschenrechte in Zusammenarbeit mit den Koka-Bauern. Um an dieser Stelle nochmals ein Missverständnis auszuräumen: Wir wollen nicht das Verbot des Koka-Blattes im Abkommen aufheben. Legalisiert werden soll allein das Kauen des Kokablattes, und zwar auf bolivianischem Staatsgebiet.

Die Millionen von Bolivianer im Ausland würden von einer Legalisierung also nicht profitieren?

Céspedes: Nein, der Vorbehalt gilt nur in Bolivien und für Bolivianer, nicht in Peru, Argentinien oder Kolumbien. Darum wird auch nicht das Abkommen als Ganzes in Gefahr gebracht, wie oft argumentiert wird. Wir wollen keine Reform, keine Artikel ändern. Nur das Kokablatt-Kauen in Bolivien soll auf internationaler Ebene legalisiert werden. Wir wollen nicht mehr und nicht weniger als unsere Kultur zu leben.

Sie haben auch mit Amtskollege Guido Westerwelle und Gesundheitsminister Daniel Bahr gesprochen...

Céspedes: Unsere Position zur Koka, zum Kampf gegen Drogenhandel und Verringerung von Koka-Anbauflächen ist auf offene Ohren gestoßen. Sicher wird die deutsche Seite Stellung beziehen. Wir hoffen natürlich, dass die Gespräche mit Deutschland, aber auch in den anderen Ländern Europas, fruchten. Unterstützung haben wir von der Bewegung der Blockfreien Staaten, immerhin 118 Länder. Auch Spanien zeigt sich offen. Über Boliviens Mitgliedschaft im Abkommen können die Staaten jetzt Stellung nehmen. Außer den USA hat noch kein Land Einwände vorgebracht.

Vor vollem Saal im Ibero-Amerikanischen Institut (IAI) in Berlin haben Sie das "Vivir Bien" ("Gut Leben") vorgestellt. Was ist die Grundidee dieser Philosophie, die Eingang in Boliviens neue Verfassung gefunden hat?

Céspedes: Wir stehen erst am Anfang. Das Vivir Bien ist ein Vorschlag in Zeiten der Kapitalismuskrise. Es strebt nach dem Gleichgewicht mit sich Selbst, der Umwelt und Natur. In Bolivien sind wir dabei, diese Codes, dieses alte Wissen Schritt für Schritt wieder zurückzugewinnen. Unsere Kenntnisse waren über 500 Jahre vergraben. Das Vivir Bien strebt nicht nur nach Wohlstand, sondern auch nach Harmonie zwischen den Menschen, und zwischen Mensch und Natur. Wir wollen die Wirklichkeit nicht so, wie sie ist. Es gibt andere Vorschläge. Alternativen, die jeder von uns tief in sich trägt. Und die mehr mit uns zu tun haben als das, was uns die heutige Realität anbietet. Tief in unseren Herzen wollen wir alle dasselbe, und das soll aufblühen: Glücklich sein und Frieden. Krieg und Konflikte möchte niemand.

Boliviens Verfassung will Harmonie von Mensch und Natur und Industrialisierung von Bodenschätzen wie Lithium und Gas. Geht das zusammen?

Céspedes: Veränderung ist nicht von heute auf morgen zu haben. Würden wir den Rohstoffabbau, eine Erbe der Vergangenheit, heute stoppen, der bolivianische Staat wäre sofort zahlungsunfähig. Schauen Sie sich selber an. Um sehen zu können, brauchen Sie eine Brille. Sind Sie gegen Industrialisierung? Wir alle brauchen Industrialisierung. Die Bolivianer, die heute gegen Industrialisierung oder Straßen und Infrastruktur protestieren, sie reisen in Flugzeugen, benutzen Mobiltelefone. Man sollte nicht vergessen: als Regierung sind wir auch für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse verantwortlich.

Interview: Benjamin Beutler

Boliviens Außenminister David Choquehuanca Céspedes fordert Ausnahmeregelung fürs Kokablatt-Kauen im UN-Drogenabkommen. Foto: Agencia Boliviana de Información.

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