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Ausstellungsbesprechung: Schriftspuren der Azteken

Durch die gewaltsame Eroberung Mittelamerikas durch die Spanier wurde der Großteil aztekischer Schrifterzeugnisse zerstört. Leben und Kultur der Kolonisierten unter Spanischer Krone zeigt die Bildhandschriften-Sammlung "Manuscripta Americana" in der Berliner Staatsbibliothek.

Noch bis Ende Februar ist die Ausstellung in der Berliner Staatsbibliothek kostenfrei zu besichtigen. Foto: Benjamin Beutler

In einem Berliner Prachtbau preussischer Architektur eine Ausstellung über die Kultur eines brutal unterworfenen Volkes aus Mittelamerika zu besuchen, ist ein zwiespältiges Unterfangen. Die frisch sanierte Staatsbibliothek, gleich neben der Humboldt-Universität und drei Gehminuten vom Humboldt-Forum entfernt, das seit seiner Eröffnung wegen kolonialistischer Beutekunst nicht aus den Schlagzeilen kommt, zeigt Manuskripte, Steuerbescheide, Gerichtsakten und Kalender. Diese gehören laut Ausstellungsleitung "heute zu den wichtigsten Quellen für die Kultur und das Leben der Azteken". Wer in diese Ausstellung ohne Hintergrundwissen zu Kolonialgeschichte, Eurozentrismus und die Diskussionen über den Umgang mit angeeigneten Kulturgütern aus kolonialisierten Gesellschaften stolpert, der könnte durchaus den falschen Eindruck bekommen, dass die europäische Kolonisierung fremder Erdteile kein gewaltsamer Unterwerfungsraubzug, sondern eine historische Normalität gewesen sein könnte.

Seltene Gelegenheit: Schriftkultur Mittelamerikas ansehen

Und doch lohnt sich ein Besuch der Ausstellung, die dem Publikum noch bis Ende Februar kostenfrei offen steht. Denn die Darstellung von Ereignissen in Geschichte und Mythen des Aztekenreichs, das ab 1430 zur bestimmenden Macht in Zentralmexiko aufgestiegen war, auf bunt bemalten Papieren traditioneller Herstellung ist in der Tat eine äußerst seltene Gelegenheit, die Hieroglyphen-Schriftkultur Mittelamerikas mit eigenen Augen zu sehen.

Und selbst zum Anfassen wird etwas geboten. Nachgebildetes Amate-Papier, das aus dem Bast der Rinde von Ficus-Bäumen hergestellt wird, liegt zum Befühlen aus, erst später setzte sich europäisches Papier durch und verdrängte die uralte Kulturtechnik. Die als "codices" hergestellten Manuskripte der Atzteken wurden in den Wirren der Eroberung Mexikos durch Hernán Cortés und seine Konquistadoren fast allesamt zerstört. Am 13. August 1521 hatte der Aztekenkönig Mteuczouma II. kapituliert, seine Hauptstadt Tenochitlán auf dem Texcoco-See, die mit einer Einwohnerzahl von bis zu 200.000 Menschen mit ausgebauten Straßen, funktionierendem Abwassersystem und Dampfbädern zu einer der größten und modernsten Städte seiner Zeit gehörte, war dem Erdboden gleichgemacht worden. Zu groß war die militärische Übermacht der Spanier, ihrer zehntausender lokaler Verbündeter und der eingeschleppten Pockenpest.

Machtfaktor: Sprache und Schrift

Nachdem die Konquistadoren die Kontrolle über die eroberten Gesellschaft übernommen und sich ihre Macht durch Repression, Tributzahlungen, Zwangsarbeit und Katholischer Kirche gefestigt hatte, begann man sich in Europa für die aztekische Kultur zu interessieren. Und so wurden in "Neuspanien" auch während der Kolonialzeit weiter traditionelle Bildhandschriften geduldet und angefertigt. Der Großteil der Atztekencodices, die heute in Museen von Mexiko, Paris und Berlin zu sehen sind stammen deshalb aus der Epoche unter der Herrschaft der Spanischen Krone. Weil die Azteken vor ihrer vernichtenden Niederlage ab 1430 zur führenden Regionalmacht in Zentralmexiko auf gestiegen waren und auf weitere Expansion aus waren zeugen Verwaltungsschriften und Steuerlisten der alliierten Städte Tenochtitlán, Tetzcoco und Tlacopán von der Praxis, die wirtschaftlichen Überschüsse eroberter Dörfer und Menschen abzuschöpfen, für weitere Kriege Soldaten und Lastträger auszuheben.

Sprache und Schrift spielte als Machtfaktor auch in der Aztekenwelt eine tragende Rolle. Waren alte Hieroglyphen, etwa der Maya, nur von denen lesbar, die Maya beherrschten, so erlaubten die jüngeren Schriften der Azteken ein Verständnis über ethnische und sprachliche Hürden hinaus. Durch den Gebrauch einer Bilderschrift, deren Symbole seit Jahrhunderten im Großteil des multikulturellen Mexikos bekannt waren, war eine Kommunikation möglich, die Sprachgrenzen überwand. Ab dem 16. Jahrhundert entwickelte sich schließlich eine einfache Silbenschrift, die hauptsächlich für das Auffschreiben von Namen und Orten verwendet wurde.

Auch im Aztekenreich war Lesen und Schreiben den Eliten vorbehalten. Söhne des Adels lernten in Tempelschulen. Adlige Mädchen wurden zu Hause unterrichtet. Geschrieben und gemalt wurde mit schwarzem Ruß, wie er sich von Kochtöpfen abkratzen ließ. Die meisten der in der Ausstellung gezeigten Codices wurden jedoch mit feiner schwarzer Tlilli-Tinte geschrieben, der aus dem Rauch verbrannter Kiefern gewonnen wurde. Weiße Farbe wurde aus Tonmineralien, Kalk, Gips oder Diatomit, einem Sedimentstein angerührt. Gelb aus Indigo von Wurzeln und Gelbhölzern oder Hängepflanzen wie die Zacatlaxcalli, zum Einfärben Safranblütenblätter oder lichtunempfindliche Eisenoxid-Mineralien. Aus den Eiern von Schildläusen, die auf Kakteen leben, wurde das bekannte Cochenille-Nocheztli-Rot hergestellt, aber auch aus Campeche-Rothölzern und rotem Ocker. Grüne Farbtöne wurden sehr häufig durch Mischung von Blau mit Gelb erzeugt, wobei die Grundfarben Mayablau oder Indigo, das mit einem gelben Pflanzenfarbstoff gemischt wird, später als Mayagrün bekannt wurde.

Ausbeutung und Widerstand, Landbesitz, Kampf der indigenen Elite um ihre soziale und politische Stellung, Christianisierung, die gezeigten Bilderhandschriften gehen, wie so vieles in Berlin und Bildung, auf das Wirken von Alexander von Humboldt zurück. Heute ist die Sammlung "Manuscripta americana" auf zwei Standorte aufgeteilt. Neben dem Ausstellungsort in der Staatsbibliothek zu Berlin sind weitere Schriften in der Biblioteka Jagiellońska in Kraków zu sehen oder per virtuellem Rundgang gleich vor Ort. Wer sich neben den Azteken und Kolonialgeschichte auch für naturwissenschaftliche Forschungsmethoden bei der Entschlüsselung jahrhundertealter Bilderschriften interessiert sollte diese Ausstellung schnellstens besuchen.

SCRIPTA AMERICANA – Den Azteken auf der Spur
Eine Sonderausstellung im Stabi Kulturwerk
07. Dezember 2022 – 26. Februar 2023

Autor: Benjamin Beutler

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