Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Peru |

500 Jahre indigener Widerstand - kein Ende in Sicht

Die beiden spanischen Augustiner Miguel Ángel Cadenas und Manolo Berjón arbeiten in der Amazonas-Pfarrei Santa Rita de Castilla am Fluss Marañón im Departement Loreto. Sie sind für rund hundert Dorfgemeinschaften zuständig, die insgesamt etwa 20.000 Menschen umfassen. Die meisten von ihnen gehören dem indigenen Volk der Kukama an. Die Kukama werden in ihrer Lebensweise durch das argentinische Erdölunternehmen Pluspetrol 2010 bedroht, das im Jahr 2010 eine Umweltkatastrophe in der Region verursachte.

Sie beide sind Priester einer indigenen Gemeinde. Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Als Kirche bereiten wir seit vielen Jahren Gemeindeleiter darauf vor, dass sie die Schwierigkeiten, denen indigene Gebiete ausgesetzt sind, einschätzen und anschließend angehen können. Wir begleiten indigene Verbände, die uns als ihre Berater betrachten, vor allem wenn es etwas mit der Regierung oder den Unternehmen zu besprechen gibt.

Was bedeutet es, mit den Gemeinschaften am Río Marañón zu leben?

Zunächst einmal versuchen wir nachzuvollziehen, was die Menschen bewegt. Da sie Spanisch sprechen, denkt man erst mal, dass man sie versteht. Aber sie sprechen auch ihre indigene Sprache und sie haben eine Kosmovision, die völlig anders als die unsere ist. Man muss sich viel Zeit nehmen, um diese zu studieren, und den Menschen zuzuhören, damit man begreift, was hinter dieser Welt steckt.

Wie würden Sie diese „indigene Kosmovision“ in wenigen Worten erklären?

Die Kosmovision ist die Art und Weise, wie eine indigene Kultur sich das Universum und ihr Funktionieren erklärt. Für das Volk der Kukama beispielsweise gibt es nicht nur die Welt, in der wir leben. Es gibt eine Welt unter dem Wasser und es gibt die Welt des Himmels, und eine weitere jenseits des Himmels. Das Universum der Kukama besteht aus fünf Ebenen. Und die Bewohner dieser verschiedenen Welt stehen durch die Vermittlung von Schamanen miteinander in Kontakt.

Das Verständnis dieser verschiedenen Welten ist von grundlegender Bedeutung. Zum Beispiel ist die westliche Sorge um die Umwelt eine gute Sache - allerdings eine säkularisierte Sorge, denn sie kennt keine Geister. Die Indigenen sorgen sich um die Umwelt, weil sie von Geistern der anderen Welten bewohnt ist. Jedes Ungleichgewicht hat direkte Folgen: Überschwemmungen, Brände etc.. Um es kurz zu machen: Wer die indigene Vision des Lebens und der Welt nicht versteht, der kann nicht im Amazonasgebiet leben.

Unter welchen Bedingungen leben die Uferbewohner?

Die Indigenen leben von der Landwirtschaft und vom Fischfang sowie von Früchten, die der Wald liefert. Aber da die natürlichen Ressourcen zur Neige gehen, steigt die Armut. Unseren Statistiken zufolge leiden mindestens 30 Prozent der Kinder an Unterernährung. Und der Anstieg der Selbstmorde unter den jungen Indigenen ist dramatisch.

Hat die Zerstörung des amazonischen Lebensraumes mit dem Eindringen der Erdölunternehmen begonnen?

Die Unternehmen kamen vor 40 Jahren in das Gebiet. Verschärft haben die Probleme sich vor allem im Laufe des vergangenen Jahrzehnts, während der Regierungen der Präsidenten Alejandro Toledo (2001 - 2006) und Alan García (2006 - 2011), die stets an der Seite der Erdölunternehmen standen.

Im Juni vergangenen Jahres verursachte das argentinische Unternehmen Pluspetrol eine schwere ölpest am Río Marañón.

Zunächst einmal muss man unterstreichen, dass das größte Problem nicht allein das auslaufende öl ist, sondern die industrielle Nutzung des Flusswassers im Amazonasgebiet. Diese industrielle Nutzung und die heißen und giftigen Produktionsabwässer verschmutzen die Flüsse im erheblichen Maß und gefährden die Menschen, die täglich Flusswasser verwenden, um sich und ihre Sachen zu waschen. Die Fischgründe werden zerstört wie auch – der Kosmovision der Indigenen zufolge – die Geister, die in den Flüssen leben.

Als erstes müsste das Wassergesetz (aus dem Jahr 2006) geändert werden, das für die indigenen Völker absolut verheerend ist. Leider scheren sich die Politiker auf lokaler und auf nationaler Ebene nicht um das, was mit den Flüssen des Amazonas geschieht, sie sind zu sehr an ihrem persönlichen Profit interessiert.

Das argentinische Unternehmen sagt, es habe alles wieder in Ordnung gebracht.

Pluspetrol ist sehr einflussreich. Der Ex-Minister für Energie und Bergbau, Pedro Sánchez, sagte in einem Interview, dass der Vorfall am Fluss Marañón im Vergleich zu der von BP verursachten Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko sehr klein sei. Es ist bezeichnend, dass dem Minister mehr daran lag, das Unternehmen zu verteidigen als die peruanischen Bürger.

Das Gesundheitsministerium verkündete, das Auslaufen des öls verursache keine schlimmen gesundheitlichen Folgen, eine Behauptung, die vom Unternehmensarzt bestätigt wurde. Die Bevölkerung wurde daher nicht über mögliche Gesundheitsschäden informiert. Wir sind die einzigen, die die Folgen der Katastrophe und das Leiden der Menschen vor Ort dokumentiert und fotografiert haben.

Tatsache ist, dass es viele Unternehmen gibt und alle eine gemeinsame, sehr einfache Sichtweise vertreten: Es gibt hier keine lokale Bevölkerung und, falls es sie doch gibt, dann kann man ihr immer noch kleine Geschenke machen, um die Dinge zu klären. Als Pluspetrol 720.000 US-Dollar Entschädigung für die ölverschmutzung anbot, haben wir abgelehnt.

Die Kinder von Santa Rita de Castilla haben beeindruckende Bilder über die Flussverschmutzung gemalt. Wie kam es zu der Idee?

Das Unternehmen und die vorherigen Regierungen haben alles daran gesetzt, dass die Menschen vergessen, was geschah. Wir aber denken, dass man es nicht vergessen darf. Es ist wichtig, dass sich die Menschen erinnern, was auf ihrem eigenen Territorium geschehen ist. Wir dachten, dass es sinnvoll ist, die Kinder malen zu lassen, was sie im Fluss sehen. Damit haben wir die Katastrophe in das Gedächtnis des Volkes eingezeichnet und sie so weit wie möglich öffentlich gemacht.

Abgesehen von den durch die ölkatastrophe verursachten Schäden: Welche sind die größten gesundheitlichen Probleme der Völker am Fluss Marañón?

Hautprobleme, Parasiten, Malaria und Unterernährung. Aber das größte Problem ist das Gesundheitsministerium, das nie verstanden hat, wo wir stehen, da es eine Vision der westlichen Welt hat und nichts von der Kosmovision der Indigenen versteht. In den vergangenen 15 Jahren hat das Ministerium einige Gesundheitsstationen aufgebaut, doch vieles funktioniert dort nicht.

Und wie sieht es im Bereich der Bildung aus? Verbessern sich die Dinge?

Das ist gut in Peru: In jeder Ortschaft, so klein sie auch ist, gibt es eine Schule und einen Lehrer. Eine andere Frage ist, ob der Lehrer versteht, wo und mit wem er arbeitet und ob das Bildungsministerium das notwendige Material bereitstellt. Das ist oft nicht der Fall. Der Lehrer bringt seine westlichen Bildungsmaßstäbe mit, der Wald spielt in den Büchern keine Rolle oder wenn, nur als Folklore.

Armut, Unverständnis und eine ungewisse Zukunft: Sie zeichnen ein deprimierendes Bild.

Sicherlich, aber wir können mit einer Hoffnung schließen - sogar mit einer doppelten Hoffnung. Erstens sind wir Christen, und Gott begleitet uns. Und zweitens: Wenn die indigenen Völker über 500 Jahre Widerstand geleistet haben, dann werden sie auch nicht so bald sterben. Seit dem 17. Jahrhundert heißt es, das Volk der Kukama stirbt aus. Aber es ist immer noch hier. Um Widerstand zu leisten.

Interview: Paolo Moiola in Noticias Aliadas, deutsche Bearbeitung: Verena Hanf und Bernd Stößel

Hinweis: Miguel Ángel Cadenas und Manolo Berjón sind seit Jahren Projektpartner des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat in Essen. Adveniat unterstützt insbesondere die Bildungsarbeit mit kirchlichen Basisgemeinschaften und die Ausbildung von Gemeindeleitern in Santa Rita de Castilla.


Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz