Wertstoffsammler setzen ihre Gesundheit aufs Spiel
Einer Studie zufolge ist die Arbeit der zumeist gesellschaftlich marginalisierten Menschen mit großen Risiken verbunden.
Die Sammler, die den Müll trennen, leisten einen wichtigen Beitrag zum Recycling. Sie setzen sich aber einem hohen gesundheitlichen Risiko aus. Brasilianische Forscher haben die Arbeitsbedingungen auf den Müllhalden und die Unfallgefahren untersucht. Auf der Grundlage von Interviews, Blutproben und anderer gesundheitlicher Untersuchungen wurden Maßnahmen entwickelt, um die Situation der Wertstoffsammler zu verbessern - in Brasilien, aber auch in anderen Ländern Lateinamerikas.
Untersucht wurden mehr als 1.000 Frauen und Männer, die auf der größten Müllhalde Lateinamerikas arbeiteten: der Lixão da Estrutural in der Hauptstadt Brasília. Diese wurde Anfang 2018 geschlossen. Sie hatte die Größe von 280 Fußballfeldern. Im Laufe von 67 Jahren, die sie bestand, wurden hier 40 Millionen Tonnen Müll aufgesammelt. Am häufigsten stießen die Wissenschaftler auf muskuläre Probleme, die bei 78,7 Prozent der Untersuchten als Folge der körperlich anstrengenden Arbeit auftraten. Darüber hinaus leiden die Wertstoffsammler häufig an durch Moskitos übertragene Infektionen, Durchfall, Bluthochdruck, Bronchitis, Wurmbefall und Diabetes. Zwar treten Bluthochdruck und Diabetes auch in der Gesamtbevölkerung Brasiliens häufig auf, doch waren sie bei den Müllsammlern auf deutlich höherem Niveau. Die Forscher führen dies auf den Mangel an Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen sowie die unzureichende sanitäre Versorgung zurück. Alle Teilnehmer an der Studie erhielten umgehend eine medizinische Versorgung.
Alleinerziehende schwarze Mütter bilden die Mehrheit
Unfälle beim Durchsuchen des Mülls passierten beim Kontakt mit Gegenständen, die Schnittwunden verursachen, wie Glasflaschen, Dosen und Nadeln. Hieran ändern auch Handschuhe und Stiefel nichts, die die Wertstoffsammler zu ihrem Schutz tragen. Mehr als zwei Drittel der Befragten berichteten von Unfällen, die ihnen bei der Arbeit zustießen. Die Studie ist in der Fachzeitschrift "BMC Public Health" erschienen. Vanessa Cruvinel, Hauptautorin und Professorin für Epidemiologie an der Universidade de Brasília, spricht von einem klaren Bild. Die Mehrheit der Wertstoffsammler bildeten schwarze Frauen ohne Schulbildung, häufig Alleinerziehende, die aus Zeitgründen keine Ärzte aufsuchten. Untersucht werden sollen deshalb die Kinder der Wertstoffsammlerinnnen. Schon beim Stillen, so der Verdacht, könnten giftige Stoffe übertragen worden sein. Cruvinel will Aufmerksamkeit schaffen für Menschen, die in Brasiliens Gesellschaft unsichtbar sind. Das Wertstoffsammeln rufe chronische Krankheiten hervor, die die Menschen dann für den Rest ihres Lebens begleiteten.
Müllentsorgung in ganz Lateinamerika ein Problem
Nach der Schließung der Müllhalde Lixão Extrutural arbeiten viele Sammler in Kooperativen weiter. Vom Staat erhalten sie Geld für den Kauf von Schutzausrüstung. Die Mülltrennung ist im öffentlichen Interesse. In Brasilien gibt es immer noch über 3.000 Müllhalden, auf denen schätzungsweise etwa 400.000 Menschen informell arbeiten. 2010 hatte Brasiliens Regierung eigentlich beschlossen, bis 2014 alle Müllhalden unter freiem Himmel abzuschaffen. Zudem wurde anerkannt, dass die Wertstoffsammler eine öffentliche Dienstleistung erbringen. Zwar wird jedes Jahr mehr Müll recycelt, zugleich sorgt mehr Konsum aber auch für mehr Abfall. Die Müllentsorgung ist in ganz Lateinamerika eine Herausforderung. 13 der 50 größten Müllhalden der Welt befinden sich in dieser Region. Bekannt sind El Milagro in Peru, La Chureca in Nicaragua und El Trébol in Guatemala. Einem kürzlich erschienenen Bericht der Vereinten Nationen zufolge, landen 145 Millionen Tonnen Müll - fast ein Drittel der in Lateinamerika und der Karibik anfallenden Menge - unsachgemäß auf Müllhalden. Nur zehn Prozent hiervon werden recycelt. Etwa 90 Prozent dieser Arbeit leisten die Wertstoffsammler.