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Venezuela: „Das Virus trifft auf ein schon krankes Land“

Wie die Corona-Epidemie Präsident Nicolás Maduro in die Hände spielt, während die Ärzte Alarm schlagen, weil das Land auf einen massiven Ausbruch der Lungenkrankheit nicht vorbereitet ist.

Venezuela Krankenhaus Protest Mangel Gesundheitsversorgung Notlage

Ärzte und Pfleger demonstrieren vor einem staatlichen Krankenhaus in Venezuela gegen die prekären Arbeitsbedingungen und den Mangel an Medikamenten. Foto: Adveniat/Florian Kopp

Das Video dauert kaum länger als zwei Minuten. Aber es belegt das ganze Drama des venezolanischen Gesundheitssystems: Mauro Zambrano, Chef der Krankenhausgewerkschaft in Caracas, erzählt, woran es in den 15 Hospitälern der Hauptstadt fehlt, eine Woche nachdem der erste Corona-Infizierte in Venezuela diagnostiziert wurde: „Wir müssen unsere Mundschutze selber basteln, Handschuhe fehlen, sieben Hospitäler haben kein Chlor, zwölf kein Desinfektionsmittel, elf haben keine Seife, immerhin haben elf von 15 Wasser, sagt Zambrano in dem Video vom Samstag, 21. März 2020. 
 
Wenn man diese Bestandsaufnahme sieht, dann kommt einem ein Gedanke: Ein massiver Ausbruch der Lungenkrankheit Covid-19 könnte für die Mehrzahl der Patienten in dem südamerikanischen Krisenstaat einem Todesurteil gleichkommen.

Mangel an Wasser, Seife, Handschuhe, Desinfektionsmittel
 
„Wir stehen mit unserem Gesundheitssystem schlechter da als Haiti“, warnt José Félix Oletta, ehemaliger Gesundheitsminister Venezuelas. Die Regierung habe 46 Krankenhäuser für die Behandlung von Corona-Infizierten ausgewiesen, davon befinden sich vier in der Hauptstadt Caracas. „Aber es gibt gerade einmal 206 Intensivbetten in diesen 46 Krankenhäusern und nur 102 Beatmungsgeräte. Das seien weniger als zehn Prozent der benötigten Ausrüstung für ein nur mittleres Katastrophenszenario, unterstreicht Oletta. Zudem seien Strom, Wasser, Medikamente und Schutzausrüstungen Mangelware, ergänzt der Mediziner und Gründer der „Alianza Venezolana por la Salud“, einer Art Beobachtungsstelle für Gesundheit und Epidemien. 
 
Vergangenes Jahr erstellte die John-Hopkins-Universität gemeinsam mit der Economist Intelligence Unit ein Ranking von 195 Staaten, das die Reaktionsfähigkeit im Falle einer Pandemie analysierte. Darin belegt Venezuela Platz 176. Haiti, ärmstes Land der westlichen Hemisphäre, liegt auf Platz 138. 

Landesweite Quarantäne für 30 Tage 

Am 13. März registrierte Venezuela die ersten beiden Corona-Fälle. Zwei Tage später bereits verhängte Präsident Nicolás Maduro eine weitgehende Quarantäne über Caracas und sieben Bundesstaaten, die er dann einen Tag später auf das ganze Land ausweitete. Der Einschluss gilt zunächst für 30 Tage. Ohne Mundschutz darf jetzt niemand mehr auf die Straße, und die Metro von Caracas befördert nur Arbeiter im Gesundheits- und Nahrungsmittelsektor.
 
Der linksnationalistische Präsident realisierte wesentlich schneller den Ernst der Lage als viele seiner Kollegen in Lateinamerika, beispielsweise die brasilianischen und mexikanischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro und Andrés Manuel López Obrador. In Mexiko werden erst ab diesem Montag die ersten Einrichtungen wie Kirchen, Kinos und Kneipen geschlossen.  

IWF lehnte Hilfskredit ab
 
Maduro handelte so schnell, um den seit Jahren darniederliegenden Gesundheitssektor einigermaßen auf die Anforderungen der Epidemie vorzubereiten. Dem Autokraten war klar, dass Corona für das Gesundheitssystem, seine Bevölkerung und damit möglicherweise auch für ihn katastrophale Folge haben könnte. „Wenn wir die Ausbreitung der Pandemie nicht rasch stoppen, dann kann sie uns zu Fall bringen“, warnte er und beantragte wenige Tage später beim Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Corona-Notkredit von fünf Milliarden Dollar, um die Auswirkungen der Pandemie zu mildern. „Ehrenhafte Organisation“ begann Maduro sein Schreiben an die Institution, die er viele Jahre als „Handlanger des Imperialismus“ gegeißelt hatte. 
 
Doch nur wenige Stunden später kam der negative Bescheid aus Washington. Einige Mitglieder des IWF erkennten Maduro nicht als legitimen Staatschef an, sondern seinen Kontrahenten und Parlamentspräsidenten Juan Guaidó, hieß es. Spätestens an diesem Punkt wirkte sich das politische Tauziehen um die Macht auch massiv auf die Entwicklung der Epidemie in Venezuela aus. 

Landesweit nur ein Labor für die Auswertung von Test-Kits

Bis zum Dienstagabend meldete die Regierung 91 Fälle. Das sind wenige im Vergleich zu anderen Staaten Lateinamerikas. José Félix Oletta hält diese Zahl für unrealistisch. „Die Regierung informiert nicht auf epidemiologischer Grundlage und sagt nichts über Verdachtsfälle oder ausgeschlossene Erkrankte.“ Zudem gebe es nicht genügend Test-Kits im Land und nur ein einziges Analyse-Zentrum. Und das ist in Caracas. „Manchmal sind die Proben aber lange ungekühlt unterwegs. Und wenn sie in der Hauptstadt ankommen, sind sie nicht mehr zu gebrauchen“, sagt Oletta. 
 
„Das Virus trifft auf ein schon krankes Land“, sagt Luis Vicente León. Die Wirtschaft sowie die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln und Medikamenten seien „hyperfragil“, betont der wichtigste Meinungsforscher Venezuelas im Gespräch. Seit Jahren schon ist der Krisenstaat ein internationaler Sozialfall. Zudem wird das Land seit mehr als einem Jahr von einem politischen Tauziehen um die Macht zwischen Opposition und Regierung gelähmt.
 
Dieser Konflikt ruhe aber jetzt, sagt León, Chef des Umfrageinstituts Dataanálisis. Jetzt gehe es nur noch darum, die Krankheit zu besiegen. Und da sitze die Regierung am längeren Hebel. „Maduro kontrolliert die Krankenhäuser, die Verteilung der Medizin, und er oder Mitglieder der Regierung geben täglich die neuen Infizierten-Zahlen bekannt.“ Der Präsident habe schnell und richtig auf die Krise reagiert, erkennt León an. „Er hat gemacht, was man von einem Staatschef erwartet“. Und die Bevölkerung werde ihm jedenfalls diese Krise nicht anlasten.

Forderung: Opposition und Regierung sollen in der Krise zusammenarbeiten

Bei dieser Dynamik aber komme die Opposition kaum hinterher und habe es schwer, sich Gehör zu verschaffen, sagt León. Guaidó verteilt immer mal wieder Hygiene-Kits an die Krankenhäuser, meldet andere Infizierten-Zahlen als die Regierung und versucht mit einem Expertenteam aus Ärzten und Virologen zu glänzen. Die Opposition stellte vor wenigen Tagen die Website „coronavirusvenezuela.info“ online, die aber umgehend von der Regierung blockiert wurde. Am Sonntag jedoch war sie wieder erreichbar. 
 
Opposition und Regierung sollten sich zum Wohle der Bevölkerung zusammentun, um zum Beispiel die Nothilfe vom IWF freizuschalten, fordert der Meinungsforscher León. „Es ist jetzt der Augenblick, zum Wohle der Kranken, zum Wohle des Volkes zu arbeiten“. Dass die tief zerstrittenen Kontrahenten Maduro und Guaidó sich über Corona annähern, ist aber nicht zu erwarten. Also muss die Hilfe vorerst mit Bordmitteln gestemmt werden. Immerhin hat die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (PAHO) Hilfsteams nach Caracas entsendet. 

Luftbrücke aus China
 
Und Vize-Präsidentin Delcy Rodríguez hat für diese Woche eine Luftbrücke aus China angekündigt. Über diese sollen dann laufend vor allem Test-Kids, aber auch andere dringend benötigte Hilfsmittel ins Land kommen. José Félix Oletta von der Epidemie-Beobachtungsstelle hat Bedenken und sagt: „Hauptsache die Chinesen bringen nicht noch mehr Corona-Infizierte in unser Land“.

Autor: Klaus Ehringfeld

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