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Mexiko |

Tijuana - Der Sportplatz, auf dem Träume enden

 

Überfüllte Unterkünfte, gescheiterte Grenzübertritte und keine Aussichten auf die Verwirklichung ihres Traumes: Eine Reportage vom Leben mittelamerikanischer Migranten im Lager in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana.

Überfüllte Unterkünfte, gescheiterte Grenzübertritte und der verlorene Traum: Tijuana in Mexiko. (Foto: Reuters/E. Garrido)     

Den Gestank riecht man schon am Eingang des Sportkomplexes Unidad Deportiva Benito Juárez. Die Straße neben den mobilen Toiletten ist nicht passierbar. Aus den Mülltonnen quellen Essensreste und Kleidung. Es ist unmöglich, den Sportplatz zu überqueren, ohne auf ein Zelt oder eine der Decken zu treten, mit denen einige einen Unterschlupf improvisiert haben. In einem der Durchgänge des Sportplatzes wirbelt der Wind ständig Staub auf und lässt die husten, die schon seit Beginn der Reise unter Atemwegsproblemen leiden.

"In den Toiletten gibt es viel Gestank und Dreck. Die Männer schlafen auf der Strasse. Die Kinder werden oft krank. Es ist sehr schmutzig hier. Wir bringen viele Opfer hier”, klagt Jorgelina Ruíz aus der honduranischen Stadt San Pedro Sula, die mit ihren drei und fünf Jahre alten Kindern auf dem Bordstein vor dem Stadion sitzt. Das Lager war für die Aufnahme von 3000 Migranten hergerichtet worden. Jetzt sind schon mehr als 6000 von ihnen hier. Die Überfüllung ist unerträglich. Lebensmittel und Hilfe reichen nicht seit dem Andrang der letzten Tage. "Für ein bisschen Essen muss man zwei Stunden lang anstehen. All das und diese Menschenmassen lassen einen verzweifeln”, erzählt Wilmer Mejía, während er in einer endlosen Schlange auf einen Teller mit Reis und Bohnen wartet.

Optimisten und Verzweifelte

Seit dem vergangenen Sonntag ist die Stimmung im Lager in Melancholie umgeschlagen. Niemand rennt mehr los, um als erster seinen Anteil an den verteilten Hilfsgütern abzubekommen. Niemand versetzt mehr die Menschen mit Neuigkeiten in Unruhe, es gibt keine neuen Gerüchte mehr über die besten Möglichkeiten, in den Norden zu gelangen. "Die Härte der nordamerikanischen Einsatzkräfte hat ausgereicht. Die Migranten sind sehr ruhig geworden. Sie haben gemerkt, dass die Wirklichkeit anders ist als das, was ihnen erzählt wurde: Sie müssten nur bis zur Grenze kommen und dann wäre es einfach, in die USA zu kommen”, meint Victor Coronel, der Verantwortliche für die Betreuung der Migranten bei der städtischen Polizei. Er verbringt die meiste Zeit im Lager.

Die Unruhe nach der Eskalation und die harte Antwort der USA teilt die Karawane in Optimisten und Verzweifelte. "Ich habe noch Kraft. Manchmal sage ich mir, ich ziehe mich zurück. Aber nein, ich bin stark und habe die Vision, dass alles gut wird. Diese ganze Mühe darf nicht umsonst sein. Für meine Kinder muss ich vorwärtskommen”, versichert Nuria Orellana und streckt die Faust nach oben. Wenige Zelte weiter sitzt María Elena Reyes auf dem Boden und trinkt ein Glas Milch mit ihrer Freundin. Beide haben eingesehen, dass sie diese Reise umsonst unternommen haben: "Wir sind traurig und enttäuscht, weil wir uns unseren Traum nicht erfüllen konnten.”

Das Umdenken beginnt

In Tijuana zu bleiben, erscheint unter diesen Bedingungen unerträglich. Es gibt auch Migranten, die gar nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren können - sie sind vor der organisierten Kriminalität geflohen. "Hier liegst du auf dem Boden wie ein Tier, aber zumindest mit der Hoffnung auf Leben. Wenn du in dein Land zurückgehst, bringen sie dich dort um”, erzählt uns resigniert Javier Pineda aus El Salvador. Seit Montag hat sich die Strasse neben dem Stadion mit Zelten von internationalen und nationalen Hilfsorganisationen gefüllt. Nach den Auseinandersetzungen vom Wochenende entstand die Notwendigkeit, denjenigen, die ihre Pläne geändert hatten, eine Antwort zu geben - für die Rückkehr in ihr Land oder den Verbleib in Mexiko. Funktionäre der Grupo Beta, der staatliche mexikanische Migrationsbehörde, berichten der Deutsche Welle, dass sich die Zahl von freiwilligen Rückkehrern verdreifacht hat.

"Die Amerikaner werden nicht nachgeben, sie werden die Türen nicht aufmachen und nichts dergleichen. Was sollen wir hier machen? Nichts. Wir gehen besser in unserem Land arbeiten. Es gibt wenig Arbeit, aber zumindest sind wir besser dran als hier”, bestätigt Jorge Alvarado, ein 43-jähriger Honduraner. "Wir wissen, dass Mexiko ein gefährliches Land ist. Aber ich bin aus meinem Land ausgereist und habe dort nichts mehr. Warum soll ich zurückkehren?”, sagt Besy Martínez, während sie ihre beiden drei und vier Jahre alten Töchter an den Händen hält. Noch sind es wenige, die sich von ihrem amerikanischen Traum verabschieden. Die Mehrheit wartet ungeduldig in der Unterkunft auf neue Informationen, wie es weiter geht. Aber nicht einmal die Begleiter, die die Karawane durch ganz Mexiko geführt haben, haben noch einen Plan. Nur der Glaube beruhigt die wachsende Ungewissheit unter den Migranten. "Ich habe Hoffnung und vertraue auf Gott, dass ich Asyl erhalten werde - weil Gott an meiner Seite ist”, betont Kenia Gutiérrez beim Frühstück mit ihren drei Neffen und ihrer Tante in einem Zelt, das für höchstens drei Personen gedacht ist.

Mindestens zwei Monate kann sich der Beginn des Asylverfahrens hinziehen - zu viel Zeit, um unter freiem Himmel auszuharren. "Wenn keiner etwas unternimmt und die mexikanische Regierung sich nicht sofort darum kümmert, kann die Situation aus dem Ruder laufen”, hatte vor fünf Tagen der Leiter des Sozialdienstes von Tijuana, Manuel Figueroa, gewarnt, der jetzt mit der Verwaltung der Unterkunft beauftragt ist.

Mit einer Handvoll Tränengasgranaten haben die USA die aussergewöhnliche Anziehungskraft der Karawane zunichte gemacht, die in anderthalb Monaten eine Strecke von über 4500 km bewältigt hat. Nur zweitausend Meter trennen den Sportkomplex Benito Juárez vom Grenzübergang El Chaparral. Vom Lager aus kann man die USA schon sehen. Man sieht die amerikanische Flagge im Wind wehen, bis die eiskalte Nacht hereinbricht. Die Migranten beeilen sich, ihre Decken vor dem Einbruch der Dunkelheit zu finden. Einige bleiben wach und gehen Streife. Ein amerikanischer Alptraum.

Autor: Aitor Sáez, Deutsche Welle

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