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Studentenmassaker rüttelt Mexikos Gesellschaft wach

Grab in Pueblo Viejo im Bundesstaat Guerrero. Foto: Reuters
Grab in Pueblo Viejo im Bundesstaat Guerrero. Foto: Reuters

„Lebend haben ihr sie mitgenommen, lebend wollen wir sie wieder!“ Das haben nicht nur Studierende bei den Protesten in Mexiko gefordert. Wut und Verzweiflung, Trauer und Ratlosigkeit sind beim ganzen mexikanischen Volk zu spüren. Zehntausende gingen diese Woche auf die Straßen. Aktivisten besprühten Wände, errichteten vereinzelt Straßenblockaden. Auch in vielen anderen Städten der Welt demonstrieren Studenten und Bürger, um auf die mutmaßlichen Massaker an Studenten im Bundesstaat Guerrero aufmerksam zu machen. In Massengräbern waren zuvor zahlreiche Leichen entdeckt worden. Mit Bestürzung hat die katholische Kirche in Mexiko auf die jüngsten Ereignisse reagiert. Die Bischöfe der Kirchenprovinz Acapulco forderte in einer Erklärung von der mexikanischen Regierung, die schmerzhaften Ereignisse der Stadt Iguala vollständig aufzuklären. Außerdem solle der Staat alle ihm möglichen Ressourcen zur Verfügung stellen, um die 43 entführten Studenten so schnell wie möglich aufzufinden und das Leid der betroffenen Familien zu lindern.

„Ihre Schüsse sollten uns tödlich treffen“

Vor zwei Wochen kam es 185 Kilometer südlich von Mexiko-Stadt zu blutigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa. Als junge Leute in Iguala für eine Protestaktion mehrere Busse kaperten, eröffneten Polizei und Beamte in Zivil ohne Vorwarnung das Feuer. „Ihre Schüsse sollten uns tödlich treffen“, berichtete der Student Raúl Isisdro Burgos dem Magazin Proceso. „Sie jagten uns wie Verbrecher.“ Sechs Menschen starben, 25 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Von 43 Studenten fehlt bislang jede Spur. „Viele Kommilitonen blieben verletzt zurück, einige führten die Beamten in ihren Streifenwagen ab“, sagte der 18-jährige Student.

Noch immer ist nicht sicher, ob die Studenten wirklich getötet wurden. Aussagen von Tatverdächtigen führten die Ermittler schließlich zu mehreren Massengräbern in der Region. Aufwendige DNA-Analysen sollen nun mit Hilfe ausländischer Forensiker die Identität der Leichen klären. Doch das wird dauern. Bisher sitzen 26 Polizisten, vier Mitglieder des organisierten Verbrechens und vier weitere Personen in Untersuchungshaft. Die beiden Haupttatverdächtigen, der Bürgermeister von Iguala, José Luis Abarca, und der Direktor für Öffentliche Sicherheit, Felipe Flores Velásquez, sind untergetaucht. Vieles deutet darauf hin, dass eine tödliche Zusammenarbeit zwischen brutalen Drogenkartellen, käuflichen Polizisten und korrupten Politikern der Stadt Iguala für das Massaker verantwortlich ist.

Krise politischen Ausmaßes

Der Erzbischof von Acapulco, Carlos Garfias Merlos, drückte in einem Schreiben sein tiefes Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer und Kommilitonen von Ayotzinapa aus. Besorgt äußerte er sich auch über das wachsende Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den politischen Institutionen. „Die Tragödie von Iguala mit ihren Toten und Verschwundenen hat im Bundesstaat Guerrero zu einer Krise politischen Ausmaßes geführt. Sie hat Probleme der Bevölkerung sichtbar gemacht, die von den Verantwortlichen in Gesellschaft und Politik angegangen werden müssen“, so der Erzbischof.

Schon lange beklagen die Bischöfe im Bundesstaat Guerrero, dass die Mehrheit der Morde, Entführungen, Vergewaltigungen und Erpressungen strafrechtlich nicht geahndet wird. Beteiligt daran seien nicht nur brutale Verbrecherorganisationen, sondern oft auch die staatlichen Sicherheitskräfte. Denn zu niedrig sind meist ihre Löhne und zu lukrativ erscheint ihnen ein schmutziges Nebengeschäft. Besonders örtliche Polizisten in Mexiko gelten als käuflich. Das Drama um die vermissten Studenten in Guerrero veranschaulicht, wie eng Drogenkartelle und Staat auf allen Ebenen zusammenarbeiten. Die schleppenden Ermittlungen und bloßen Worte des mexikanischen Präsidenten zeigen auch, wie schwer sich die Regierung dabei tut, Licht in das Netz aus Kriminalität, Korruption und Amtsmissbrauch zu bringen. Betroffene Studenten sowie Angehörigen der Opfer warten bisher vergebens auf finanzielle Hilfe und psychologischen Beistand durch den mexikanischen Staat.

Warum die Verbrecher jedoch in Zusammenarbeit mit den örtlichen Sicherheitskräften die Studenten ermordeten, ist nicht geklärt. Beteiligte des Lehrerkollegs behaupten, lediglich für eine Spendenaktion in Iguala unterwegs gewesen zu sein. Die öffentlichen Gelder, die sie vom Staat erhalten, reichten für Lehr- und Lernmittel nicht aus. Ein möglicher Hinweis auf das Tatmotiv stammt aus einem Bericht des mexikanischen Geheimdienstes Cisen, der an die Medien gelangte. Angeblich wollten die Studenten an genau dem öffentlichen Platz demonstrieren, wo die Frau des Bürgermeisters als Vorsitzende des Sozialamts eine Veranstaltung plante. Sie habe den Direktor für öffentliche Sicherheit beauftragt, die Demonstration mit allen Mitteln zu verhindern, so ein Bericht der Tageszeitung „El Universal“.

Wege zum Frieden suchen

Der Direktor von Amnesty International für Mexiko, Perseo Quiroz, zählt das Massaker in Iguala zu den grausamsten und gravierendsten Menschenrechtsverletzungen unter der Regierung des Präsidenten Enrique Peña Nieto. Nebenbei wächst die Angst, vor einem kollektiven Wutausbruch der Bevölkerung. Die Bischöfe der Kirchenprovinz Acapulco haben die Bevölkerung in einer Erklärung vom 2. Oktober zu friedlichen Protesten aufgefordert: „Wir wollen die Gesellschaft im Allgemeinen dazu aufrufen, Wege zu suchen, die in diesem Umfeld der Gewalt zum Frieden führen.“ (Sara Charlotte König)


Weitere Hintergrundinformationen finden Sie unter Blickpunkt Lateinamerika.

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