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Siemens-Chef: "Lava Jato-Skandal ist eine Chance für Brasilien"

Seit Monaten gehen Brasilianer auf die Straßen, um gegen die Korruption von Politikern und Unternehmen zu demonstrieren. Nicht das einzige Problem, das Brasilien plagt. Foto: Francisco Proner Ramos /Mídia NINJA, CC BY-SA 2.0.
Seit Monaten gehen Brasilianer auf die Straßen, um gegen die Korruption von Politikern und Unternehmen zu demonstrieren. Nicht das einzige Problem, das Brasilien plagt. Foto: Francisco Proner Ramos /Mídia NINJA, CC BY-SA 2.0.

Herr Stark, Brasilien befindet sich in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise. Das Vertrauen der Gesellschaft in die Politik ist nach zahlreichen Korruptionsaffären so gut wie nicht mehr vorhanden. Mit der sogenannten Operation Lava Jato (Deutsch: Operation Waschstraße) wird derzeit der größte Korruptionsskandal in der Geschichte des Landes aufgedeckt. Wie schätzen Sie die derzeitige Situation in Brasilien ein?

Paulo Stark: Ich bin von Natur aus ein Optimist. Ich sehe in jeder Krise eine Chance. Ich glaube diese Krise, die auch viel mit dem Lava-Jato-Korruptionsskandal zu tun hat, bringt dem Land eine einzigartige Gelegenheit. Es ist eine Chance für die hier ansässigen Unternehmen, die Beamten im öffentlichen Dienst und die Politiker, diese Geschichte hinter sich zu lassen und ein neues Kapitel aufzuschlagen.

Nicht aber, um das alles zu vergessen. Man muss die Geschichte aufschreiben, damit man sich von nun an weiter entwickeln kann.

Genau so war es auch bei Siemens von dem Moment an, an dem die 360.000 Zulieferer, Abnehmer und Mitarbeiter des Unternehmens von dem Skandal erfuhren. Es war die Chance für einen tiefen kulturellen Wandel im Unternehmen. Wir dürfen nicht zulassen, dass man das Kapitel zuschlägt, alles vergisst und einfach so weiter macht wie zuvor.

Welcher Manager, der noch bei gesundem Menschenverstand ist, würde es wagen, diese Praktiken jetzt wieder aufzunehmen angesichts dessen, was derzeit passiert? So viele Menschen sitzen bereits im Gefängnis, so viele renommierte Personen müssen nun die Rechnung für das zahlen, was sie getan haben.

Diese "alten Praktiken", von denen Sie sprechen. Damit meinen Sie die Zahlung von Schmiergeldern, damit meinen Sie Korruption?

Ja, Korruption, Schmiergeldzahlungen, Schwarze Kassen, Kartellbildung, alles. Wer will denn heute noch seinen persönlichen Ruf und den seiner Familie mit derartigen Dingen riskieren?

Deswegen denke ich, dass sich derzeit ein Fenster mit neuen Möglichkeiten geöffnet hat. In fünf, sechs, sieben Jahren jedoch hat man einen Teil dieser ganzen Geschichte wieder vergessen. Und die neuen Generationen können wieder auf die Idee kommen, auf diese unsäglichen Praktiken zurückzugreifen.

Genau an diesem Punkt muss ein Compliance-System ansetzen (Anmerkung der Redaktion: Maßnahmen und Prozesse, um Regelkonformität sicherzustellen). Aber die Gesellschaft muss auch kulturell reagieren, sozialer Druck muss aufkommen, damit niemand mehr zu diesen Geschäftspraktiken zurückkehrt.

Auch Siemens hat seinen Korruptionsskandal mit Hilfe von konzerninterner Compliance aufgearbeitet. Was hat sich im Unternehmen konkret verändert?

Wir haben hier in Brasilien in den Jahren 2007 bis 2008 unsere globale Compliance-Systematik implementiert. Seitdem haben wir bedeutende Ergebnisse bei Mitarbeitern und Zulieferern im Bezug auf die Frage, wie man korrekte Geschäfte macht.

Da muss man auch mit Fortbildung ansetzen. Leider können wir nicht davon ausgehen, dass alle Personen, die zu uns ins Unternehmen kommen, die gleichen Vorstellungen und die gleiche Werte wie wir haben.

Unser Compliance-System beruht auf drei Säulen, eine dieser Säulen ist die Vorbeugung. Die anderen beiden sind die Feststellung und das Reagieren auf bestimmte Situationen. Aber auf lange Sicht ist die Vorbeugung die wichtigste dieser drei Säulen. Zu handeln und vorzubeugen und dabei ein Bewusstsein zu schaffen, sorgt dafür, dass unser Unternehmen heute für Menschen attraktiv ist, die ähnliche Wertvorstellungen haben.

Im Jahr 2013 hat Siemens offiziell sein Geständnis abgelegt, beim Bau der U-Bahn in Sao Paulo Korruption betrieben zu haben. Welche konkreten Reformen gab es seitdem im Unternehmen?

Das Geständnis mit dem damit einhergehenden Strafnachlass haben wir bei der brasilianischen Korruptionsbehörde Cade 2013 eingereicht. Es war das Resultat unseres Compliance-Systems. Es war nicht der Grund, eines einzuführen.
Dass wir soweit gekommen waren, die ausreichenden Beweise und Informationen zu sammeln, um uns der Kartellbehörde zu stellen, zeigt, wie etabliert unsere Compliance damals bereits war.

Aber dieser Prozess scheint mehrere Jahre gedauert zu haben. In zahlreichen Medienberichten, auch hier in Deutschland, wurde die Effizienz des Compliance-Systems von Siemens in Frage gestellt. Schließlich hatte das Unternehmen bereits 2008 von den Machenschaften erfahren. Das Schuldeingeständnis und den Strafnachlass gab es aber erst fünf Jahre später.

Ein Unternehmen hat nicht die gleichen Befugnisse wie die Polizei - selbst mit Compliance-Abteilung und internen Ermittlungen. Ein Unternehmen kann niemanden dazu zwingen, mitzuwirken. Es kann lediglich auf eine Bewusstseinsbildung bei den Leuten zählen, damit diese mitarbeiten.

Wir haben sehr hart gearbeitet. Und es hat viele Auseinandersetzungen gebraucht bis wir 2013 konkrete Ergebnisse hatten und sagen konnten: Hier haben wir eine Chronik der Taten und Resultate, auf Basis derer wir ein Abkommen mit den Behörden schließen können.

Das Vertrauen in die politische Klasse Brasiliens ist im Keller. Auch aufgrund der engen Verflechtungen von Politik und Privatunternehmen. Wenn Sie die Erfahrungen von Siemens auf die großen brasilianischen Unternehmen, gegen die derzeit ermittelt wird, übertragen: Wie können diese Unternehmen Ihren Ruf Ihrer Meinung nach wieder herstellen?

Die erste wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die Unternehmensführung die neue Kultur vorlebt. Das ist das Wichtigste. Als Siemens im Jahr 2006 durch seine globale Krise ging, wurde als erstes das Top-Management ausgetauscht. Über 2000 Mitarbeiter wurden weltweit entlassen und ersetzt. Das ist einer der Vorteile von Unternehmen wie Siemens, die anonyme Gesellschaften oder Aktiengesellschaften sind. Es gibt einen Aufsichtsrat und dieser kann die Führungskräfte entlassen und neue benennen.

Bei Familienunternehmen ist das schon viel schwieriger. Man kann nicht einfach seine Familie absetzen. Deswegen ist das eine ganz andere Herausforderung, vor der viele der in den Lava-Jato-Skandal verwickelten Unternehmen stehen.
Die Führungsspitze des Unternehmens muss verstehen, dass das Unternehmen, das Unternehmen ist und die Familie, die Familie. Und das Unternehmen hat das Ziel, Geschäfte zu machen, Arbeitsplätze zu schaffen und dem Land zu nutzen. Und von da aus kann man die Entwicklung eines Compliance-Systems anstoßen.

Es bringt nichts, ein Compliance-System zu implementieren, ohne das fundamentale Denken des Unternehmens zu ändern. Ich denke, dass man es so machen muss, wie es Siemens und andere Unternehmen auch getan haben. Die Führungsspitze austauschen, ein Compliance-System etablieren und eine unabhängige Kontrolle durch externe Kontrolleure einführen.

Quelle: Deutsche Welle, das Interview führte Malu Delgado, Foto:Francisco Proner Ramos /Mídia NINJA,CC BY-SA 2.0.

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