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"Nicaragua ist eine New-Age-Monarchie geworden"

Gioconda Belli (Copyright: <a href="https://www.flickr.com/photos/mejiaperalta/" target="_blank" title="Opens external link in new window" external="1">Jorge Mejía peralta</a>, <a href="https://www.flickr.com/photos/mejiaperalta/15598872740/in/photolist-pLqipJ-5pkhDp-dY5xgr-dY5ykZ-dWdJuW-dYbhB5-buj5Wn-dW86iX-8MktkR-5pAkZq-q1Ecfy-8MoPFo-8MoUSU-5pkfzK-8MkJXr-7DgTVK-q3KBHt-by3L3P-5ppvrQ-58AoKg-7DkFvC-q3zXUX-pLnkT5-dY5yTg-8MkXQZ-4NZcCj-q1E4t1-4JUdcR-q1Ee1h-8MoCYo-q3A4gi-bk8Tuy-5pkeLv-5pkjDa-8Moubo-5pkhdX-5pAmFu-5pkbHB-5pkdv2-DEKMFY-dWdKhu-8MoPbh-8MoGQC-8MkEwi-8MkFMn-8Mp3ub-8MkV82-8MoUeU-5pptZu-5pAoYN" target="_blank" title="Opens external link in new window" external="1">IMG_8546</a>, <a href="https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/" target="_blank" title="Opens external link in new window" external="1">CC BY 2.0</a>
Gioconda Belli (Copyright: Jorge Mejía peralta, IMG_8546, CC BY 2.0

Die Nicaraguanerin Gioconda Belli (69) ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Lateinamerikas. Zahlreiche ihrer Werke sind Klassiker, darunter der ins Deutsche übersetzte Roman "Bewohnte Frau".

In den 1970ern kämpfte die aus einer bürgerlichen Familie stammende Studentin in den Reihen der linken sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) gegen die Diktatur Somozas. In den 1990er Jahren distanzierte sie sich vom Sandinismus unter Daniel Ortega, gegen dessen autoritäre Herrschaft jetzt Zehntausende protestieren. Wir fragten die Vorsitzende des nicaraguanischen PEN-Zentrums, wie sie die Krise erlebt und weshalb sich in Nicaragua die Geschichte zu wiederholen scheint.

 

Sandra Weiss, Blickpunkt Lateinamerika: Frau Belli, sie selbst standen Ende der 70er Jahre auf den Barrikaden gegen die Diktatur von Anstasio Somoza. Wie erleben Sie jetzt die Proteste?

 

Belli: Sie drücken all das aus, was wir Nicaraguaner die Jahre über unter Daniel Ortega gefühlt haben. Unsere Freiheiten wurden Schritt für Schritt beschnitten, wir waren in einem Belagerungszustand und haben nun begonnen, unsere Freiheit und unsere Bürgerrechte zurückzuerobern. Ich war bei den Märschen dabei, und diese Entschlossenheit und Kraft einer Bevölkerung zu spüren war erfrischend. Alle Klassen und Berufsgruppen haben sich zusammengefunden in einem bunten, fröhlichen Widerstand, mit wahnsinnig kreativen Slogans und Protestsongs. Das war eine schöne Erfahrung, aber auch eine schmerzliche, denn die Repression ließ nicht auf sich warten. Heute haben wir mitten in Managua einen Kreisverkehr, den unzählige Kreuze als Erinnerung an die Opfer zieren.

 

Sie sind Vorsitzende des nicaraguanischen PEN-Zentrums. Wie ist die Lage für Journalisten und Künstler?

 

Sehr schwierig, denn jeder, der seine Meinung sagt, muss damit rechnen, als Terrorist oder Putschist abgestempelt zu werden. Und das ist dann der Vorwand, zur Zielscheibe der regierungstreuen, sandinistischen Schlägertruppen zu werden. Journalisten wurden angegriffen, ihre Kameras zertrümmert oder gestohlen. Aber in diese Bresche ist der Bürgerjournalismus gesprungen. Glücklicherweise hat heute fast jeder ein Handy und kann die Übergriffe filmen. Deshalb haben wir haufenweise Beweise für die Verbrechen, die wir anprangern. Traurig macht mich, dass unser bekanntester Sänger, Carlos Mejía Gody, nach Costa Rica ins Exil gehen musste, weil er Morddrohungen erhalten hatte. Dieses Damoklesschwert des Exils schwebt über uns allen. Ich musste schon einmal unter Somoza das Land verlassen und habe keine Lust, das erneut zu erleben. Ich werde so lange wie möglich aushalten. Aber wenn du verfolgst wirst, hat dein Leben Priorität.

 

Apropos Künstler im Exil. Sie wurden soeben mit dem Hermann-Kesten-Preis des deutschen PEN-Zentrums ausgezeichnet. Welche Bedeutung hat dieser Preis?

 

Für mich war es eine große Freude. Zum einen ist er eine Anerkennung für die Arbeit, die PEN in Nicaragua seit 2013 geleistet hat. Wir haben Journalisten unterstützt und unzählige kulturelle Aktivitäten im ganzen Land organisiert. Solche Preise sind immer ein Ansporn für alle, die für kulturelle Vielfalt, die Meinungsfreiheit, für die Menschenrechte und die Gleichberechtigung kämpfen. Das ist gerade in einem autoritär regierten, konservativen Land wie Nicaragua wichtig.

 

Wie kam es zu Ihrer Distanzierung von der sandinistischen Revolution, in deren Reihen Sie einst kämpften?

 

Die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) steht nicht mehr für das, was sie einst war und wofür ich gekämpft und gearbeitet habe. Unter Daniel Ortega und seiner Frau, Vizepräsidentin Rosario Murillo, ist daraus eine Art New-Age-Sandinismus geworden, völlig entstellt, korrumpiert, autoritär und mit einem Persönlichkeitskult. Das Ehepaar kontrolliert alles, die Partei ist nur noch ein Transmissionsriemen. Nicaragua ist zu einer Monarchie geworden mit Untertanen, die dem Königshaus zu Diensten sein müssen.

 

Dennoch gibt es weltweit Linke, die Ortega verteidigen und von einem US-Komplott sprechen…

 

Diese Gruppen sind schlecht informiert oder sie haben jegliche ethische und moralische Basis verloren. Vielleicht sind sie mit ideologischer Blindheit geschlagen, die es ihnen erlaubt, darüber hinwegzusehen, wenn eine Regierung mehr als 300 Menschen umbringt, foltert und Demonstranten festnehmen lässt. Oder es sind Leute, die solche abgedroschenen Floskeln vom US-Putsch glauben, von einem vom Imperium finanzierten und angeheizten Volksaufstand. Das ist die klassische Krücke, auf die sich selbstherrliche linke Caudillos stützen. Das ist wirklich traurig und das große Scheitern der Linken. Mir persönlich ist es egal, dass sie Ortega weiter unterstützen, das ist ihr Problem. Ich halte das für eine Schande, aber jeder ist für sich selbst verantwortlich.

 

Manche sagen, die Geschichte wiederhole sich und Ortega erlebe gerade seine letzten Tage wie es einst Diktator Anastasio Somoza passierte. Sie haben die Zeiten damals erlebt und kennen Daniel Ortega persönlich gut. Wie kann man so eine seltsame Metamorphose erklären?

Ja, diese Parallelen sind erschreckend. Das Schema der Repression, der Persönlichkeitskult, die Schaffung einer Kamarilla, Sicherheitskräfte, die ihr eigenes Volk unterdrücken auf den Befehl eines gnadenlosen Herrschers hin, all das wiederholt sich. Ich denke, es gibt Persönlichkeitsstrukturen, die für die Verführungen der Macht anfällig sind, und Ortega ist diesen Verlockungen erlegen. Er ist länger an der Macht als Somoza es war. Und er klammert sich mit aller Kraft an diese Macht. Jeder normale Mensch würde sich schämen, den Tod so vieler Menschen verantworten zu müssen. Aber Ortega rechtfertigt, was nicht zu rechtfertigen ist.

Interview von Sandra Weiss

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