Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Brasilien |

Mit Gottes Segen

Eine Gruppe von Feministinnen macht Wahlkampf für Dilma Rousseff. Foto: Eva-Maria Senftleben.
Eine Gruppe von Feministinnen macht Wahlkampf für Dilma Rousseff. Foto: Eva-Maria Senftleben.

Der Gebetssaal der Igreja Universal do Reino de Deus nahe der Copacabana liegt in einem Bürogebäude: Niedrige Decken, Betonpfeiler und der Krach des Feierabendverkehrs, der durch die Fensterfront brummt, brechen die sakrale Atmosphäre.

Es ist Freitagabend, rund 50 Gläubige haben sich zum Gottesdienst versammelt. Der Pfarrer brüllt gegen den Lärm in ein Funkmikrofon: "Lege deinem Nachbarn die Hand auf die Stirn! Und jetzt rufe mit mir: Weiche, böser Geist! Weiche, schlechter Einfluss! Weiche! Weiche! Weiche!"

Immer mehr Brasilianer bekennen sich zu evangelischen Freikirchen der Pfingstbewegung, wie der Igreja Universal do Reino de Deus. Eine Entwicklung, die sich auch auf die Politik auswirkt. Laut dem brasilianischen Amt für Statistik gehörten 2010 bereits 22 Prozent der Wahlberechtigten einer evangelischen Freikirche an. Tendenz steigend.

"Die katholische Kirche hat Lula unterstützt"

"Die Religion hatte schon immer viel Gewicht in der brasilianischen Politik", sagt die Soziologin Maria das Dores Campos Machado. Sie erforscht die Verbindung von Politik und Religion. Die Gottesdienste seien für viele Brasilianer der einzige Ort, an dem sie Politik diskutieren. "Es gibt viele Brasilianer mit dürftiger Schulbildung, die ihre Wahlentscheidung auf Grundlage der Informationen bilden, die sie in den Kirchen bekommen - von den Priestern oder Pfarrern." In der Vergangenheit habe die katholische Kirche eine grundlegende Rolle gespielt in der brasilianischen Demokratie. "Sie hat die Arbeiterklasse mobilisiert und Teilen der politischen Linken zum Aufstieg geholfen und den ehemaligen Präsidenten Lula da Silva im Wahlkampf unterstüzt."

Das war 2002. Aktuell kämpft seine Nachfolgerin Dilma Roussef, ebenfalls von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PT, um ihre Wiederwahl. Als aussichtsreichste Gegenkandidatin galt lange Marina Silva. Nach ihrem Ausscheiden aus der Präsidentschaftswahl unterstützt sie nun offiziell Dilmas Gegenkandidaten Aécio. Die evangelischen Wähler werden es ihr gleichtun, vermutet die brasilianische Presse.

Streitpunkt Homo-Ehe

Politisiert als Aktivistin für den Umweltschutz am Amazonas ging Marina Silva zunächst für die PT in die Politik und war unter Lula Umweltministerin. In diesem Jahr trat sie für die Sozialistische Partei PSB an und machte durch konservative Ansichten von sich reden. Einen Wahlvorschlag zur Gleichberechtigung der Ehe von homosexuellen Paaren ließ sie nach ihrer Nominierung auf ein Minimum eindampfen: die eingetragene Lebenspartnerschaft. Für die nationalen Presse war klar: Dieser Schritt hat mit Silvas Glauben zu tun. Sie gehört der Assembleia de Deus an, einer Freikirche der Pfingstbewegung.

Homo-Ehe, Abreibungsgesetz und Forschung an Embrionen - an diesen Themen reiben sich religiöse Brasilianer am meisten, beobachtet die Soziologin Maria das Dores. "Sie mobilisieren vor allem evangelikale Wählergruppen", sagt sie. "Die Haltung zur Gleichstellung der Homo-Ehe war im Wahlkampf ein Hauptkriterium zur Unterscheidung von evangelischen und anderen Kandidaten."

Leicht fällt diese Unterscheidung, wenn Pfarrer kandidieren. Von den drei aussichtsreichsten Kandidaten für den Gouverneursposten im Bundesstaat Rio de Janeiro waren zwei evangelische Pfarrer. Einer von ihnen, Marcelo Crivella, hat es in die Stichwahl geschafft.

"Gläubige erkennen, was gut und was schlecht ist"

"Crivella wird vor allem von der ärmeren Bevölkerung unterstützt", sagt die Soziologin Maria das Dores. Wohlhabende Wähler begegnen den Politiker-Pfarrern dagegen mit Vorurteilen, fährt sie fort. Laut Maria das Dores betreiben die Pfarrer "Wahlkampf in der Kanzel". Für ihre Kampagnen bedeute das eine Gratwanderung: "Innerhalb der Gemeinden stellt sich Crivella als Kirchenmann dar, nach außen versucht er, seine Kandidatur von der Kirche zu lösen." Auf seiner Homepage klingt das so: "In seinen öffentlichen Ämtern, in zehn Jahren als Senator und zweien als Minister hat Crivella niemals Politik und Religion vermischt. Er macht Politik zum Wohl aller!"

Im Gottesdienst an der Copacabana fällt an diesem Freitagabend kein Wort über Politik. Der Pfarrer will im Anschluss dennoch nur ungern über die Verknüpfung von Kirche und Wahlkampf sprechen. Auch seinen Namen möchte er nicht genannt wissen. "Wir sprechen hier keine Wahlempfehlungen aus", sagt er, "aber sehen Sie, Gläubige beschäftigen sich mit der Gesellschaft. Und sie haben Werte. Und so erkennen Gläubige vielleicht, was gut und was schlecht ist."

Dass Pfarrer für den Gouverneursposten kandidieren, findet der Gottesdienstbesucher Flávio Arcanjo nicht außergewöhnlich. "Wichtiger als der Glaube des Kandidaten sind seine Wertvorstellungen", sagt er. Wen er wählen wolle, wisse er noch nicht: "Crivella ist etwas Neues. In Rio ist Vieles besser geworden, es ist eine neue Stadt. Ich wohne in einer Favela, die befriedet wurde. Die Anstrengung hat sich gelohnt, aber nur Kampf und nur Konfrontation reichen auf Dauer nicht. Wir brauchen Investitionen und ich sehe im Moment nicht, dass ein Politiker investiert. Also suche ich nach etwas Neuem - und vielleicht finde ich das in Crivella!"

Brasilien hat in den vergangenen Jahren einen Aufschwung erlebt und ist nicht zuletzt durch die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Sommerspiele 2016 in die globale Aufmerksamkeit gerückt. Doch zuletzt stagniert das Wirtschaftswachstum; Kriminalität, Bildung, öffentliche Gesundheitsversorgung, Korruption bleiben Herausforderungen. Brasilien ist ein Schwellenland im Umbruch.

Die evangelikalen Kirchen werden in Zukunft nicht die einzige Gruppe sein, die um politischen Einfluss buhlt. Der wirtschaftliche Aufstieg einiger Brasilianer und mehr Bildungsgerechtigkeit werden die Interessengruppen vervielfachen, vermutet Maria das Dores. Und sie werden dafür sorgen, dass Gläubige kritischer mit Werten und Doktrinen umgehen. "Die Brasilianische Gesellschaft wird pluraler", ist sich Maria das Dores sicher. "Im Moment fallen die konservativen Strömungen innerhalb der Kirchen auf. In Zukunft werden diese Gruppen weniger Einfluss haben. Wir erleben auch eine Stärkung der Feministen und Vertreter von LGBT-Rechten." Egal wie diese Wahl ausgehe, "eine Theokratie wird Brasilien mit Sicherheit nicht."

Autorin: Eva-Maria Senftleben, Rio de Janeiro

Diese Produktion wurde von dem journalistischen Trainingsprogramm Beyond Your World ermöglicht.

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz