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Mexiko: Verhaftung von Arbeitsrechtsanwältin schlägt Wellen

Susana Prieto kämpft in Mexiko für die Reichte von Arbeitern, vor einer Woche wurde die Anwältin verhaftet. Ihr Fall wirft Fragen auf. Cesario Tarin, Anwalt des "Instituts für die Stadt und Menschenrechte" (ICIDHAC) in Mexiko erklärt im Interview die Hintergründe.   

Mexiko, Arbeitsrecht, Corona, Covid-19, Maquila, Susana Prieto

Susana Prieto (rechts) ist in Mexiko eine bekannte Arbeitsrechtsanwältin - hier bei der Vorbereitung eines Prozesses im Arbeitsgericht in Ciudad Juárez. Foto: Adveniat/Jürgen Escher

Herr Tarin, wer ist Susana Prieto?

Cesario Tarin: Susana Prieto ist eine bedeutende Aktivistin, die Fabrikarbeiter vor Gericht gegen Weltmarktunternehmen vertritt. Dabei hat sie einen sehr populären Stil und postet Live-Videos auf Facebook, um über Arbeitsrechte im Allgemeinen, aktuelle Streiks und ihre Erfolgsmöglichkeiten aufzuklären. Letztere haben seit dem Ausbruch von SarsCov2 in Mexiko eine enorme Intensität erreicht. Immerhin geht es um Leben und Tod. Trotz eines Regierungsdekrets von Ende März, alle nicht-lebenswichtigen Betriebe zu schließen, haben unzählige Maquilas die Produktion gar nicht, kaum oder nur zeitweise heruntergefahren. Die Montagefabriken sind zu Inkubationszentren für SarsCov2 geworden.

Susana Prieto ist in der Industriemetropole Ciudad Juárez ansässig. Festgenommen wurde sie jedoch in Matamoros...

Dort berät Susana Prieto seit 2019 eine erstarkende Arbeiterbewegung. In der von ihr selbst per Live-Video aufgenommenen Festnahme wird deutlich, dass es keinen Haftbefehl gibt, dass dieser nachträglich von einer weiteren Polizistin gebracht wird. Susana Prieto wird weder gesagt, was ihr vorgeworfen wird noch wird sie über ihre Rechte unterrichtet. Sie wird in einem Polizeiwagen zu einer Untersuchungsrichterin gebracht, dabei hätte sie nach mexikanischem Recht zunächst dem Staatsanwalt vorgeführt werden müssen. Dann wird sie in Untersuchungshaft in die Bundeshauptstadt von Tamaulipas, nach Ciudad Victoria gebracht. Fünfundvierzig Tage soll sie dort eingesperrt bleiben, obwohl die Delikte, die ihr vorgeworfen werden, überhaupt nicht das Gewicht haben, das eine solche Maßnahme rechtfertigen würde. Es ist davon auszugehen, dass die Untersuchungsrichterin unter großem politischen Druck agierte.

Kam diese offensichtlich widerrechtliche Festnahme für Susana Prieto überraschend?

Keinesfalls. Denn die Arbeitsrechtsanwältin wurde seit vielen Jahren konstant wegen ihrer Arbeit bedroht. Immer wieder hat sie Morddrohungen und Übergriffe gegen sie in ihren Live-Videos öffentlich gemacht.

Was wird ihr konkret vorgeworfen und sind diese Vorwürfe stichhaltig?

Vorgeworfen wird ihr, zu Aufruhr angestiftet zu haben. Diese Begrifflichkeit gibt es aber eigentlich nur im Kontext einer Haftanstalt. Es hatten sich aber keine Häftlinge, sondern Arbeiter zu einem Protest vor dem Ausschuss für Schlichtung und Schiedsgerichtbarkeit versammelt. Dort geht es stets um Arbeitsrecht und in den allermeisten Fällen um ungerechtfertigte Kündigungen. Und der öffentliche Protest ist in Mexiko ein Verfassungsrecht. Dann gibt es noch Diffamierungsvorwürfe seitens von Privatpersonen, in diesem Falle von Maquilabesitzern. Doch in diesen Fällen lagen schon Schlichtungsangebote vor. Der Dialog wurde einfach abgebrochen, um eine Festnahme vermeintlich zu rechtfertigen. Tatsächlich gibt es also nur Anklagen, bei denen es um Vergehen gegen den Staat geht. Da die einzige Rechtfertigung für Untersuchungshaft aber die Gefährdung eines Betroffenen ist, gibt es in Wirklichkeit keinen Grund, sie länger festzuhalten. 

Wer steht hinter dieser Festnahme?

Es ist davon auszugehen, dass unterschiedliche Akteure hinter der Festnahme von Susana Prieto stehen und Druck ausüben. In der Vergangenheit äußerten Politiker ihr Anliegen auf Bundesebene, dass sich Susana Prieto aus Tamaulipas zurückziehen solle. 

Sie und ihr Anwaltsteam vom "Institut für die Stadt und Menschenrechte" haben in kürzester Zeit eine Eilaktion ins Leben gerufen. Wie ist die Resonanz?

Direkt nachdem Susana Prieto ihre eigene Festnahme per Live-Video auf Facebook mitgeschnitten hatte, haben wir eine Eilaktion gestartet, die sich an den mexikanischen Präsidenten, den Gouverneur von Tamaulipas und den Vizeminister für Menschenrechte, Bevölkerung und Migranten richtet. Sie prangert die Verhaftung Susana Prietos als Akt der Einschüchterung an und macht öffentlich, dass sie widerrechtlich ist. Die Eilaktion haben schon in den ersten Tagen fast 200 Menschen unterschrieben, darunter Akademiker, Menschenrechtsverteidiger, Abgeordnete und Künstler, wie der berühmte mexikanische Schauspieler Joaquín Cosio. 

Warum ist eine solche Eilaktion so wichtig?

Damit Susana Prieto auf nationaler wie internationaler Ebene Bekanntheit erlangt, um Gerechtigkeit zu fordern und sie zu schützen - im schlimmsten Fall gegen Folter und Verschwindenlassen. Beides ist leider keine Seltenheit im mexikanischen Polizeigewahrsam, wie internationale Gerichtsfälle gezeigt haben. Bisher hat der öffentliche Druck schon bewirkt, dass sich sowohl der zuständige Staatsanwalt wie der Gouverneur von Tamaulipas und sogar der mexikanische Präsident zu ihrem Fall äußern mussten. 

Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) gibt sich ja gerne als Verteidiger der Arbeiterklasse...

Er hat am Montag verkündet, Susana Prietos Fall prüfen zu lassen, und sprach frei heraus, dass niemandem unrechtmäßig Straftaten angehangen werden dürften. Doch bislang ist ihre Freilassung nicht erfolgt. AMLO dürfte Susana Prieto persönlich während des ersten “Nationalen Forums für Friedensstiftung und Wiederversöhnung” kennengelernt haben, der noch vor seiner Amtseinführung im August 2018 in Ciudad Juárez stattfand. 

Warum ist die Festnahme der Arbeitsrechtsanwältin gerade in Coronazeiten so brisant?

Gerade während der aktuellen Coronakrise ist es in allen Bereichen zu einer beträchtlichen Zahl unrechtmäßiger Entlassungen gekommen. Ein Viertel der Stadtbevölkerung, rund 300.000 Personen, ist in Schichtarbeit in den Maquilas angestellt. In der Coronakrise war Susana Prieto bei allen Versammlungen vor den Montagefabriken stets präsent. Ihre Festnahme setzt eine nicht so einfach zu ersetzende Schachfigur außer Gefecht. In den letzten Jahren war sie maßgeblich am Kampf gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen beteiligt. Im Ausnahmezustand der Pandemie geht es jedoch tatsächlich um die Prävention von Todesfällen. 

Warum ist eine Fabrikarbeiterin in hohem Maße gefährdet, am Coronavirus zu sterben? 

Die Weltmarktunternehmen mit ihren arbeitsintensiven Prozessen sind die Orte, an denen vornehmlich Ansteckungen erfolgen. Eine Fabrikarbeiterin hat darüber hinaus keinen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsvorsorge. Während einige der öffentlichen Krankenhäuser zu COVID-19-Stationen umfunktioniert wurden, in denen nur eine Minderheit gesundet, haben Privatkliniken die Kosten ihrer ärztlichen Versorgung einfach verdreifacht. Der Gang ins Krankenhaus ist diese Tage mit Angst behaftet und viele Menschen versuchen, auf Arztpraxen und preiswerte Untersuchungen in Apotheken auszuweichen. Die verarmte, in den Maquilas arbeitende Bevölkerung hat tatsächlich nur die Möglichkeit, die öffentliche Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen. 

Warum kann das öffentliche Gesundheitssystem in Ciudad Juárez keine Erfolge gegen die Ausbreitung von COVID-19 erzielen? 

Das Gesundheitssystem liegt am Boden, nicht zuletzt aufgrund von Korruption. In diesem Zusammenhang ist besonders der untergetauchte Ex-Gouverneur von Chihuahua zu benennen, César Duarte. In Ciudad Juárez, wie in 300 anderen Städten, steht eine öffentliche Spezialklinik im Rohbau.  Hätten wir heute diese Klinik, sähe die Situation in Ciudad Juárez anders aus, wo die COVID-Sterberate immer noch bei 20 Prozent liegt. 

Im Rahmen der Adveniat-Jahresaktion 2017 "Faire Arbeit" haben wir Susana Prieto in Ciudad Juárez getroffen und interviewt. Das Interview ist in der Ausgabe 4/2017 nachzulesen. 

Interview: Kathrin Zeiske

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