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Kolumbien: Ein Land im Ausstand

Die Zustimmungswerte der kolumbianischen Regierung von Iván Duque sind auf 29 Prozent gesunken. Landesweit zeugen Graffiti vom Widerstand gegen die Regierung und in Bogotá laufen die Vorbereitungen für einen weiteren nationalen Streik auf Hochtouren. Doch über den Vorbereitungen schweben zwei große Fragezeichen. 

sozialer Protest, Graffiti, Ivan Duque

Fuera Duque - "Raus mit Duque": Für den 25. März ist wieder ein Generalstreik und Protesttag in Kolumbien geplant. Doch das Corona-Virus ändert auch hier das öffentliche Leben. Foto: Knut Henkel

Juan Caballero Gómez lenkt sein Taxi geschickt durch den Verkehr in der Altstadt von Bogotá. Parolen gegen den seit August 2018 regierenden Präsidenten Iván Duque prägen die Straßen rund um die Plaza de Bolívar mit dem Parlament und dem geschichtsträchtigen Justizpalast. Vor der auf die Wand gesprühte Parole „Fuera Duque“, Raus mit Duque, steht ein Polizist und beobachtet die Passanten, die sich zum zentralen Platz der kolumbianischen Hauptstadt bewegen. „Von dieser Regierung erwartet niemand mehr etwas. Alle Hoffnungen auf das Friedensabkommen sind beerdigt, und deshalb bin ich auch auf die Straße gegangen“, sagt der Taxifahrer, der auf die 60 zugeht. Ob er allerdings am 25. März erneut demonstrieren wird, hat er noch nicht entschieden. „Ich unterstützte die Proteste, aber friedlich“, spielt er auf die Scharmützel zwischen der kolumbianischen Sondereinsatztruppe ESMAD und einem kleinen Teil der Demonstranten an.

Generalstreik für den 25. März geplant

Die waren in den großen Medien des Landes immer wieder Thema, die Hintergründe der Proteste weniger. Genau die sind es aber, die Kolumbien polarisieren. Auf der einen Seite steht das erzkonservative Lager, das den Präsidenten und den hinter ihm stehenden Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez stützt; auf der anderen Seite die Bevölkerung, die am Friedensprozess festhalten will. Dazu zählen auch immer mehr Menschen aus der oberen Mittelschicht und der Oberschicht. „Meine Mutter wohnt in einem Stadtteil der Oberschicht. Selbst dort sind Familien, von denen ich es nie erwartet hätte, mit Kellen und Töpfen auf die Straße gegangen“, so Carlos Ojeda. Cacerolazo, heißt das rhythmische Schlagen mit Kochlöffeln, Kellen und Co. auf Töpfe oder Pfannen. In Lateinamerika eine der typischen Protestformen, die sich von Argentinien über den ganzen Subkontinent verbreitet haben und im Kontext der sozialen Proteste der letzten Monate immer häufiger zu sehen sind. Für Ojeda, Direktor einer Hilfsorganisation für bedrohte Justizmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, ist die Regierung Duque eine traumatische Erfahrung für große Teile der Bevölkerung: „Der Widerstand gegen die Regierung geht durch fast alle Gesellschaftsschichten, die eigenen Wähler von Iván Duque streiken gegen ihn und seine Regierung“. 
 
„Das Morden geht weiter“
 
Doch der Präsident, "Ziehsohn" von Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez und „seinem“ Centro Democrático, ignoriert den Widerstand, der von einer Fülle sozialer Organisationen, Studentenverbänden, Menschenrechtsorganisationen und auch dem größten Gewerkschaftsdachverband Kolumbiens, der CUT, angeführt wird. Dessen Vorsitzende Diógenes Orjuela macht keinen Hehl daraus, dass die Gespräche mit der Regierung ein Reinfall waren. „Der Streik vom 21. November, an dem Hunderttausende teilnahmen, war jedoch ein Beleg für den Stimmungswandel im Land; und daran wollen wir mit dem Streik vom 25. März anknüpfen“, sagt der 62-jährige Pädagoge. Er stammt aus der größten Einzelgewerkschaft des Landes, der Bildungsgewerkschaft FECODE. Die ist landesweit die am besten vernetzte Gewerkschaftsorganisation und steht im Fokus des erzkonservativen Lagers, die gerade eine Kampagne gegen die Lehrer führt, die „unsere Kinder indoktriniert“. Derartige Angriffe haben in Kolumbien oft Folgen. 14 ermordete Lehrer hat es laut FECODE allein im Jahr 2019 gegeben. „Das Morden muss aufhören, das ist eine unserer beiden Kernforderungen. Stopp der Attentate auf lokale Umwelt-, Landrechts- und Menschenrechtsaktivistinnen“, forder Orjuela. Die sind unter der aktuellen Regierung weiter angestiegen, und die Schutzmaßnahmen der Regierung greifen nicht oder zu kurz. Zudem gebe es keinerlei Strategie gegen die sich ausbreitenden paramilitärischen Banden, die beinahe in allen Regionen des Landes aktiv sind, kritisiert Orjuela.

Für den Friedensprozess und gegen einen Sparhaushalt

Dasselbe sagt Menschrechtsanwalt Alirio Uribe Muñoz. Dieser richtet den Blick bereits auf die Präsidentschaftswahlen 2022, denn für ihn ist jetzt schon klar, dass Kolumbien von der Regierung Duque nicht mehr als vier verlorene Jahre zu erwarten hat. „Vier verlorene Jahre für die Befriedung des Landes, für die Menschenrechte und das Friedensabkommen, aber auch für die Ökonomie“, kritisiert der international renommierte Jurist, der am Friedensabkommen zwischen Farc und kolumbianischer Regierung mitgearbeitet hat. Dessen Durchführung wird von der Regierung Duque mit allerlei Strategien blockiert. Aber nicht nur dagegen richten sich die Proteste, sondern auch gegen die neoliberale Rentenreform, die die Regierung initiiert hat, sowie gegen einen Sparhaushalt, der beispielsweise die Bildungsausgaben um rund acht Prozent herunterfährt. Das hat für viel Kritik, darunter auch von Pop-Ikone Shakira gesorgt, und dazu geführt, dass die Studenten wöchentlich auf die Straße gehen, weil sie befürchten, dass die Regierung im letzten Jahr getätigte Zusagen über die Entschuldung der öffentlichen Universitäten nicht einhält. Dabei ist es immer wieder zu Scharmützeln mit der Sondereinsatztruppe ESMAD gekommen. Taxifahrer Juan Caballero Gómez haben die gewalttätigen Ausschreitungen davon abgehalten, auf die Straße zu gehen. Doch mittlerweile gibt es noch einen Grund für den graumelierten, drahtigen Mann: der Coronavirus. „Ich habe weder Lust bei einer Demonstration zwischen die Fronten zu geraten, noch mich zu infizieren. Ich bin mir nicht sicher, ob ich am 25. März dabei sein werde“, meint der Taxifahrer und stoppt an der gewünschten Adresse.  

Autor: Knut Henkel

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