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Kolumbien: "Die Justizreform ist ein Angriff auf das Friedensabkommen"

Alirio Uribe Muñoz (58) ist Menschenrechtsanwalt und hat vier Jahre als Abgeordneter der linken Polo Democrático Alternativo im Kongress am Friedensprozess mitgearbeitet, bis er im August 2018 ausschied. Mittlerweile ist er wieder als Anwalt in der Menschenrechtskanzlei „Colectivo de Abogados José Alvear Restrepo“ aktiv. Seinen Beobachtungen zufolge versucht die Regierung, auf die juristischen Institutionen des Landes Einfluss zu nehmen, um den Friedensprozess zu torpedieren.

Kolumbien, Menschenrechte

Alirio Uribe Muñoz (58) ist Menschenrechtsanwalt und arbeitet in der Kanzlei „Colectivo de Abogados José Alvear Restrepo“. Foto: Knut Henkel

Am 3. August haben die Richter des obersten kolumbianischen Gerichts Hausarrest gegen Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez verhängt. Ein Signal der Unabhängigkeit der Justiz?
 
Ja, und darauf haben wir lange gewartet. Schon als Álvaro Uribe Vélez noch Gouverneur des Verwaltungsdistrikts Antioquía war, gab es Anzeigen, Aussagen und Klagen aufgrund seiner Verbindungen zu den Paramilitärs. Viele Menschen in seinem Umfeld - Generäle, Politiker, Verwandte - landeten im Gefängnis – nur Álvaro Uribe nicht. Das erinnert an die Geschichte von Al Capone, der schließlich wegen Steuervergehen verurteilt wurde. Nun droht Uribe, wegen Bestechung und Manipulation von Zeugenaussagen belangt zu werden, aber eben nicht wegen eines Kapitaldelikts. Positiv ist, dass ermittelt wird und dass Álvaro Uribe als erster Ex-Präsident vom Obersten Gericht des Landes unter Hausarrest gestellt wurde. Nun bereitet er seine Verteidigung vor: Ein erster Schritt war das Niederlegen seines Mandats als Senator. 

Was auf den ersten Blick ehrenwert anmutet, ist Strategie. Denn die Anklage könnte nun an die Generalstaatsanwaltschaft weitergereicht werden, und diese leitet mit Francisco Barbosa Delgado seit Januar diesen Jahres ein Jugendfreund von Präsident Iván Duque. Das könnte dazu führen, dass die Ermittlungen eingestellt werden, denn de facto ist die Generalstaatsanwaltschaft in der Hand der Regierung. Laut unserer Analyse ist die Strategie der Regierung Duque, mehr und mehr Kontrollorgane unter ihre Kontrolle zu bekommen – nicht nur innerhalb der Justiz.
 
Derzeit läuft vor allem in den sozialen Netzen eine Kampagne gegen die Justiz: Richter werden als Farc-Richter, als Guerilla-Richter, als Steigbügelhalter der Linken diffamiert. Wer steckt dahinter?
 
Die Partei Uribes und des Präsidenten Iván Duque, das Centro Democrático. Die erzkonservative Partei hat 51 Abgeordnete, exzellente Kontakte zu den Medien und versucht, parallel eine Verfassungs- und Justizreform vorantreiben. Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz sind nicht neu. Schon als Präsident (2002-2010) hat Uribe Richter und Oppositionelle durch den Geheimdienst DAS (Departamento Administrativo de Seguridad) ausspionieren lassen. Die Unabhängigkeit der Justiz war ihm schon damals ein Dorn im Auge – unter anderem, weil die Justiz damals die Verbindungen zwischen Politik und Paramilitärs aufdeckte, etliche Parlamentarier verurteilte und so die extreme Rechte und damit das Centro Democrático schwächte.
 
Die Situation in Kolumbien ist extrem polarisiert. Mehrere Senatoren darunter Iván Cepeda, der immer wieder auf das parapolitische Geflecht um Álvaro Uribe Vélez aufmerksam machte, haben Morddrohungen erhalten. Die Gewalt gegen Andersdenkende nimmt stetig zu, die Zahl der Morde und auch der Massaker steigt...
 
Die nackten Zahlen sind alarmierend. In diesem Jahr wurden bisher 40 Massaker und mehr als 180 Morde an Umwelt-, Landrechts- und Menschenrechtsaktivisten registriert. Die Situation hat sich weiter verschärft und immer größere Regionen des Landes sind de facto militarisiert. In diesem Ambiente schürt die Rechte die Konflikte. Ziel ihrer Kampagne ist es, den Ex-Präsidenten als Opfer der Justiz darzustellen und Druck auf die Justiz auszuüben – eine Strategie, die nicht neu ist. 
 
Sind die anvisierten Reformen im Justizsektor Teil der Strategie? Was wären die Konsequenzen der Verschlankung der Justiz auf einen statt der drei unabhängigen Gerichtshöfe? 
 
Dieser Vorschlag stammt aus dem Jahr 2015 von Uribe. Ziel ist es, die Verfassungsreform von 1991 im Justizsektor zurückzudrehen. Konkret heißt das, dass das Verfassungsgericht, aber auch die im Friedensabkommen mit der Farc fixierte und mittlerweile implementierte Sonderjustiz für den Frieden (JEP Jurisdicción Especial para la Paz) obsolet werden würde. Ziel der extremen Rechten ist es, die Sonderjustiz und das Verfassungsgericht abzuschaffen - beides Rechtsorgane, mit denen Uribe eine Rechnung offen hat. Die Verfassungsrichter waren es, die ihm 2010 eine dritte Amtszeit verwehrten; auch die JEP ermittelt gegen ihn und die paramilitärischen Strukturen .  
Für mich ist diese Justizreform ein konzentrierter Angriff auf das Friedensabkommen und die Justiz. Ich glaube jedoch, dass sie die Gremien nicht passieren wird. Die Regierung Duque hat kaum Legitimation, wenig internationalen Rückhalt und öffentliche Zustimmung. Zudem besitzt sie keine Mehrheit im Kongress. Traurige Realität ist allerdings, dass wir viel Zeit, viele Ressourcen und viele Menschenleben auf dem Weg zum Frieden verlieren.
 
Zur Strategie der Regierung von Iván Duque gehört es auch, wichtige Institutionen innerhalb und außerhalb der Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen – die Generalstaatsanwaltschaft ist dafür nur ein Beispiel, oder?
 
Ja, das ist ein weiteres Thema, das uns Sorgen macht. Die Generalstaatsanwalt besitzt heute keinerlei Autonomie gegenüber der Regierung. Francisco Barbosa Delgado folgt blind den Weisungen der Regierung. Nun will die Regierung sowohl die defensoría (Ombudsstelle für Menschenrechte) als auch die Staatsanwaltschaft unter ihre Kontrolle bringen – wichtige Kontrollorgane drohen ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Die Kandidatur der ehemaligen Justizministerin Margarita Cabello für die Leitung der Generalstaatsanwaltschaft ist Teil dieser Regierungsstrategie. Cabello qualifiziert nur das Parteibuch.

Interview: Knut Henkel

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