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Kindergewerkschafter in Peru: "Wir wollen arbeiten!"

Einen Job neben der Schule zu haben ist für peruanische Kinder aus armen Verhältnissen Alltag, doch ihre Arbeitskraft wird oft ausgenutzt. Am Internationalen Tag gegen Kinderarbeit berichtet unsere Autorin Christina Weise am Beispiel einer Kindergewerkschaft in Peru, wie Kinder selbstbewusst für ihr Recht auf Arbeit und Bildung eintreten. 

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Viviana und Fernando, Mitglieder der Kindergewerkschaft MANTHOC in Peru, gehen morgens arbeiten und nachmittags zur Schule. Foto: Christina Weise

Normalerweise steht Viviana jeden Morgen um fünf Uhr auf, macht das Frühstück und fährt dann mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder Fernando mit dem Bus zum Markt, wo sie Hähnchen und Gemüse verkaufen. Vivianas Aufgabe ist es, das geschlachtete Hähnchen zu waschen und zu zerteilen. „Einmal hab ich mir in den Finger geschnitten. Das war ganz am Anfang. Das Messer ist so groß. Aber jetzt passe ich besser auf“, erzählt sie. Ihr Bruder ist sechs Jahre alt und räumt das Gemüse in den Stand ein, nimmt neue Waren an und trägt die Einkäufe der Kunden zu ihren Autos oder Karren. Wenn die Mutter wegmuss, übernimmt Viviana den Stand und verkauft ganz selbstständig. Normalerweise. Aber seit dem 16. März herrscht in Peru eine strenge Ausgangssperre – und Viviana kann länger schlafen. Das freut sie aber gar nicht.

Denn Vivianas Mutter musste die Bonbondose öffnen. Dort hinein legten Viviana und Fernando immer einen Teil des Geldes, das sie verdienten, den anderen gaben sie ihrer Mutter für Essen und Schulmaterial. „Mama hat gesagt, in vier Jahren schauen wir in der Dose nach, wieviel es ist, und vielleicht können wir dann ein größeres Haus kaufen“, sagt Viviana. „Das wäre so toll!“ Aber nun musste die Mutter die Ersparnisse bereits anbrechen, um Essen zu kaufen. Die Bonuszahlungen der Regierung für Lebensmittel sind so gut wie aufgebraucht, Lebensmittelkörbe kamen nie bei ihnen an. Viviana, Fernando und ihre Mutter wohnen in einem Armenviertel von Lima in einem kleinen Haus mit nur einem Zimmer, die Toilette ist in einer Hütte nebenan. 

In dem Viertel ist trotz Ausgangssperre viel los auf den staubigen Straßen. Über 70 Prozent der peruanischen Bevölkerung arbeitet im sogenannten informellen Sektor. Diese Menschen leben von dem, was sie am Tag verdienen – und zurzeit ist das bei vielen nichts. Denn auch wenn sie arbeiten gehen, haben Straßenverkäuferinnen, Schuhputzer, Taxifahrer und Marktfrauen viel weniger bis keine Kunden am Tag. Auch Vivianas Mutter geht manchmal zum Markt, ihren Kindern hat sie das aber verboten – zu groß ist ihre Angst vor einer Ansteckung. Nach Brasilien ist Peru der zweite Corona-Hotspot Südamerikas mit rund 197.000 Infizierten und mehr als 5.000 Toten. Durch die Ausgangssperre hat sich die Ausbreitung von Covid-19 zwar verlangsamt, aber die Zahlen steigen weiterhin.

Unsere Arbeit, unser Recht

Für Viviana ist es normal zu arbeiten. Dass Kinderarbeit eigentlich verboten ist, findet sie ungerecht. „Wie sollen wir denn sonst überleben?“, fragt sie. In Peru ist Arbeit erst ab 14 Jahren offiziell erlaubt, doch viele Familien brauchen die Einkünfte ihrer Kinder, um zu überleben. 2016 arbeiteten rund ein Viertel aller peruanischen Kinder. „Kinderarbeit zu verbieten, führt nur dazu, dass arbeitende Kinder wie Kriminelle gesehen werden. Wir kämpfen dafür, dass Kinder arbeiten können, und zwar unter würdigen Bedingungen“, sagt Cecilia Ramirez. Sie ist Sozialarbeiterin und hat als Kind selbst gearbeitet. Wie Viviana und Fernando heute, war sie früher Mitglied der „Bewegung arbeitender Kinder“ (MANTHOC) in Peru, die wie eine Gewerkschaft organisiert ist und sich für die Rechte arbeitender Kinder einsetzt. „Mir haben sie damals die Augen geöffnet. Plötzlich erfuhr ich, dass meine Arbeit etwas wert ist“, erinnert sie sich. 

In Lateinamerika entstanden erste Zusammenschlüsse von arbeitenden Kindern bereits Ende der 1970er Jahre, um sich für ihre Rechte einzusetzen und bessere Arbeitsbedingungen zu erwirken. In Peru war MANTHOC die erste Kinderbewegung mit eigenen Organisationsstrukturen, die 1978 im Zuge einer Streikbewegung entstand, als viele Kinder arbeiten mussten, um den Lohnausfall ihrer Väter auszugleichen. Die Mitglieder sind ausschließlich arbeitende Kinder und Jugendliche. Ein paar wenige Erwachsene beraten sie ehrenamtlich, wie Cecilia Ramirez. Die Kinder und Jugendlichen von MANTHOC fordern Produktionswerkstätten für arbeitende Kinder und Jugendliche, in denen sie in Würde arbeiten und lernen können. Und sie kämpfen dafür, dass Kinder nicht verfolgt werden, weil sie arbeiten. Die Regierung versuche, auch aufgrund internationalen Drucks, Kinderarbeit einzudämmen. Viele Lehrer hätten kein Verständnis für arbeitende Kinder, sagt Cecilia Ramirez. „Kinderarbeit in Peru hat sich verändert, weil sie bekämpft wird. Sie ist in die Unsichtbarkeit verschwunden – was nicht heißt, dass es sie nicht mehr gibt. Viele Kinder arbeiten in Fabriken, in Nähereien und werden extrem ausgenutzt, aber keiner sieht es.“ Während und nach der Corona-Krise werde sich die Zahl der arbeitenden Kinder erhöhen, befürchten Mitarbeiter von MANTHOC – und mit ihr die Ausbeutung.

Keine Schule, kein Internet, kein Alltag

Nach der Arbeit auf dem Markt fahren Viviana und Fernando normalerweise allein mit dem Bus bis zu dem Haus von MANTHOC. Die Fahrt dauert vierzig Minuten und führt sie quer durch die große Stadt. Um ein Uhr nachmittags beginnt die Schule für sie, die direkt um die Ecke liegt. Davor machen sie Hausaufgaben, bekommen Hilfe dabei, spielen und essen etwas Warmes. Dafür zahlen alle Mitglieder einen kleinen Beitrag in die Gemeinschaftskasse. Erst abends kommt ihre Mutter sie abholen, denn dann ist es zu gefährlich, allein Bus zu fahren. 

Jeden Samstag findet normalerweise im MANTHOC-Haus eine Mitgliederversammlung statt, bei der Aktionen geplant und über aktuelle Geschehnisse in Peru und der Welt diskutiert wird. Die Kinder lernen, wie gute Arbeitsbedingungen aussehen. „Wir dürfen nicht ausgenutzt werden, unsere Gesundheit darf nicht leiden, wir müssen neben der Arbeit Zeit haben zum Spielen und Lernen“, weiß Viviana, die dafür schon zwei Mal auf den Straßen von Lima demonstriert hat. Sie hat auch schon Politiker getroffen, wie den Bürgermeister, dem sie erzählte, wie wichtig es für sie sei, zu arbeiten. Zurzeit sind Schule und MANTHOC-Haus aber geschlossen und die Treffen finden online statt – ohne Viviana und Fernando, denn sie haben keinen Internetanschluss. Diese Situation wird noch länger andauern, denn Perus Präsident Martin Vizcarra hat den Ausnahmezustand und die Ausgangssperre bis zum 30. Juni verlängert. 

Autorin: Christina Weise

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