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Haiti |

Kein unbeschriebenes Blatt

Michel Martelly ist der neue haitianische Präsident. Es kam wie erhofft, jedenfalls von jenen zwei Dritteln der haitianischen Wählerschaft, die für ihn gestimmt hatten – so jedenfalls das Ergebnis, das der „Conseil Électoral Provisoire“ (CEP), der Provisorische Wahlrat, am Montag, dem 4. April, um 17 Uhr Ortszeit verkündete.

Die Wähler hatten gut zwei Wochen zuvor, am 20. März, viele Stunden vor den Wahllokalen angestanden und hatten – auf dem Lande – lange Fußwege dorthin auf sich genommen. Sie waren Drohungen aller Art und von vielen Seiten ausgesetzt gewesen. Sie hatten seit dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl am 28. November 2010 eine schier unendliche Abfolge von „Seltsamkeiten“ erleben müssen: in der Art, wie der Wahlrat seine Aufgabe anging, bei der Zulassung oder Nichtzulassung von Kandidaten, bei der Stimmabgabe, bei der Auszählung, bei der Übermittlung und bei der Bekanntgabe der Ergebnisse. – Und sie hatten gewählt, trotz alledem. Denn sie sahen in der Wahl eines neuen Präsidenten einen Funken Hoffnung, dass eine neue Regierung ihr Land in eine bessere Zukunft führen, ja: ihr eigenes Geschick zu Besseren wenden könnte.

Michel Martelly ist der neue haitianische Präsident. Es kam wie befürchtet, jedenfalls von vielen, die sich näher mit seiner Persönlichkeit und Geschichte befasst hatten.

Kein ganz unbeschriebenes Blatt

Michel Martelly, 1961 in Port-au-Prince geboren, machte Karriere als Musiker. Dass er der in Haiti populärsten Musikrichtung, dem Kompa, mit seiner rüden, vermeintlich „männlichen“ (tatsächlich: frauenfeindlichen) Wortwahl und zuweilen obszönen Gesten auf der Bühne eine eigene Richtung gab, tat seinem Ansehen unter den Altersgenossen keinen Abbruch, im Gegenteil. Sein Stil gefiel in den Jahren der Militärdiktatur von 1991 bis 1994 Oberstleutnant Michel François, Polizeichef und Führer der Tonton Macoutes, den Schergen des Terrors gegen die Opposition. Michel François war gerngesehener Gast im von Michel Martelly betriebenen Nachtclub „Le Garage“. Martellys Spitzname „Sweet Micky“ ist zugleich der Spitzname von Michel François, mehr noch: Ihm soll dieser Name nach einem Konzert im El Rancho Hotel in Pétionville von seinem Namensvetter als „Ritterschlag“ verliehen worden sein: Du gehörst zu uns. So die Recherchen des US-amerikanischen Journalisten Jeb Sprague.

Der Montfortanerpater P. Jean-Marie Vincent SMM, der am 28. August 1994 vor der Kirche Saint-Louis in Port-au-Prince ermordet wurde, wusste um noch engere Verbindungen zwischen dem Sänger und den Handlangern der Diktatur: Er hatte dem Dokumentarfilmer Kevin Pina in einem Interview berichtet, Michel François habe Todeskommandos bei deren nächtlichen „Aufträgen“ begleitet.

Alte Verbindungen heruntergespielt

Im Wahlkampf hat Michel Martelly die alten Verbindungen heruntergespielt. Er setzte sich immer wieder von allem „Alten“ ab und gab sich als der „Mann der neuen Zeit“, als Kandidat „der Jugend und der Ausgeschlossenen“. Die Frage, wie er denn sein Land führen wolle, da er doch über keinerlei politische Erfahrung verfüge, beantwortete er damit, dass genau das sein Trumpf sei, seine Persönlichkeit: „Es kommt mehr auf den Mann an als auf den Plan.“

Professionell und keineswegs improvisiert war jedoch sein Wahlkampf, dessen Erscheinungsbild eine teure spanische Agentur entworfen hatte, die auf „marketing político“ spezialisierte Agentur Grupo Ostos & Sola. Deren Mitinhaber, Antonio Sola, war persönlich nach Haiti gekommen, um mit Michel Martelly das neue Erscheinungsbild einzuüben.

Nun steht Michel Martelly, wieder einmal, fortan als Staatsmann, auf der Bühne. Noch nicht abzusehen ist, wer die Männer hinter der Bühne sind. Klar ist nur, dass es sie gibt. Die Kampagne von Ostos & Sola war teuer genug: Wer kann das bezahlen? Auf Nebenbühnen – ebenfalls (noch) im Hintergrund – lauern zwei aus dem Exil heimgekehrte Präsidenten-Vorgänger: Jean-Claude Duvalier - Baby Doc - und Jean-Bertrand Aristide. Haiti droht, zum Zwischenlager oder gar Endlager für gebrauchte Diktatoren zu werden. Aristide kündigte an, er wolle als „einfacher Bürger“ seinen „Schwestern und Brüdern“ dienen. Die Chance, genau das zu tun, hatte er als Präsident gehabt – und es eben nicht getan.

Martelly und Aristide sind verfeindet, seit Martelly in den Jahren 2002 und 2003 beim Karneval in seinen Liedern die Korruption des Aristide-Regimes und, mit nicht zitierfähigen Verwünschungen, Aristide persönlich aufs Korn nahm. Jetzt aber hat Aristide angeboten, dem künftigen Präsidenten als „Berater“ zur Seite zu stehen – eine durchaus ernste Drohung. Doch wer weiß. „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“, heißt es auch in Haiti.

Autor: Michael Huhn

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