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Brasilien |

Jedes zweite Kind muss arbeiten

 

Brasiliens Präsident Bolsonaro rühmt sich seines Einsatzes auf der elterlichen Farm. Kinderarbeit scheint für ihn kein Problem. Die Wirklichkeit von Millionen ausgebeuteten Minderjährigen sieht allerdings anders aus.

Kinderarbeit in Panama (Symbolfoto: Adveniat/Escher)

"Arbeit hindert niemanden daran, im Leben voranzukommen", sagte Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro kürzlich in einer Live-Übertragung auf Facebook. Er selbst, erzählt der Präsident, habe im zarten Alter von neun oder zehn Jahren auf der Fazenda seiner Eltern mit angepackt. Geschadet habe ihm das nicht im Geringsten. Kinderarbeit, warum nicht? Auch andere brasilianische Politiker denken ähnlich wie Bolsonaro. Die rechts-konservative Abgeordnete Bia Kicis schrieb auf Twitter: "Mit zwölf habe ich Süßigkeiten gemacht und in der Schule verkauft. Ich musste das nicht tun, war aber stolz, meine Tennisstunden selbst zu bezahlen. Ich fühlte mich kreativ und produktiv."

Dass sie es nicht nötig hatte und dass es um die Bezahlung eines Tennislehrers ging, sind nur zwei Punkte, in denen sich die Kindheit von Bia Kicis von vielen anderen Kindern in Brasilien unterscheidet, sagt der Anwalt Ariel Castro Alves, der in verschiedenen nationalen Menschen- und Kinderrechtsgremien sitzt: "Einige Politiker glorifizieren die Kinderarbeit, wenn sie erzählen, wie sie gemeinsam mit ihren Eltern auf dem Markt oder im Familienbetrieb gearbeitet haben. Aber das hat sie mit Sicherheit nicht daran gehindert, in die Schule zu gehen und zu spielen."

Von wegen mithelfen

Er berichtet von einem Mädchen, das von der Mutter und ihrem Stiefvater dazu gezwungen wurde, zu kochen, zu putzen und auf die jüngeren Geschwister aufzupassen. Essen und ein Bett zum Schlafen hätten sie ihr nur manchmal gegönnt. In die Schule durfte sie nicht gehen, damit niemand die Spuren der körperlichen Misshandlung zuhause bemerkte. Als die häusliche Gewalt dennoch aufflog und die Erziehungsberechtigten zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, war das Mädchen gerade einmal neun Jahre alt, sagt Castro Alves. "Der Fall verdeutlicht, wie wenig die romantischen Erinnerungen mancher Politiker an die Arbeit in ihrer eigenen Kindheit, mit dem zu tun hat, was andere Kinder erleben."

Laut einer Studie des Brasilianischen Statistikinstituts IBGE arbeiteten im Jahr 2015 landesweit rund 2,7 Millionen Kinder in Brasilien. Diese Zahl umfasst Minderjährige zwischen dem vollendeten fünften und siebzehnten Lebensjahr, die im engeren Sinne gegen Lohn arbeiten gingen. Unter einem weiter gefassten Begriff, der auch Kinder einbezieht, die regelmäßig im Haushalt mitarbeiten mussten, kommt die Studie zu einem anderen Ergebnis. Danach liegt die Kinderarbeitsquote über 50 Prozent.

Mit Eltern Zuckerrohr ernten

Neuere Erhebungen unterscheiden weitere Kategorien, kommen aber zu ähnlichen Ergebnissen: Mehrere Millionen Kinder in Brasilien arbeiten. Dabei verbietet nicht nur die UN-Kinderrechtskonvention, die außer den USA sämtliche UN-Mitgliedsstaaten ratifiziert haben. Auch die brasilianische Verfassung garantiert Minderjährigen Schutz vor Vernachlässigung, Ausbeutung, Gewalt und Unterdrückung. Laut Gesetz darf man in Brasilien erst mit 16 Jahren arbeiten, bis zur Volljährigkeit mit 18 Jahren sind gefährliche und nächtliche Erwerbstätigkeiten ausgenommen.

Dennoch würden viele Kinder unter prekären Umständen bei der Zuckerrohrernte, in der Holzwirtschaft oder der Köhlerei beschäftigt, sagt Castro Alves: "Dort sind sie der Gefahr schwerer Arbeitsunfälle ausgesetzt, die mitunter tödlich enden."

Teufelskreis der Armut

Nach den Zahlen des IBGE waren 59 Prozent der 2,7 Millionen Betroffenen in Brasilien im Jahr 2015 Jungen. Eine andere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bei den – wesentlich häufigeren – Fällen häuslicher Arbeit 94 Prozent Mädchen sind. Nicht jede Beschäftigung ist illegal, eine Berufsausbildung dürfen schon 14-Jährige beginnen. Doch: "Besonders häufig und deshalb besorgniserregend sind Arbeiten, die ohnehin im Verborgenen stattfinden: zu Hause, aber auch im Drogenhandel oder in der sexuellen Ausbeutung", sagt Felipe Tau vom Projekt "Rede Peteca – Chega de Trabalho Infantil" (Dt.: Netzwerk Indiaca: Schluss mit Kinderarbeit).

Egal ob legal oder illegal, sagt Tau, je niedriger Einkommen und Bildungsniveau einer Familie, desto wahrscheinlicher sei Kinderarbeit. Und damit enstehe ein Teufelskreis. Tau: "Auch wenn sie kurzfristig signifikant zum Familieneinkommen beitragen, bedeutet die Arbeit eine ernste Bedrohung für die emotionale, physische und intellektuelle Entwicklung des Kindes." Mittel- und langfristig bestehe für viele Kinder kaum eine Chance, den prekären Lohn- und Arbeitsverhältnissen, in denen sie aufgewachsen seien, zu entkommen. Im Gegenteil, sagt der Anwalt Castro Alves: "Ich kenne viele Fälle, in denen Mädchen anfangen, auf der Straße Bonbons zu verkaufen und als Minderjährige in die Prostitution abgleiten." Jungen hingegen würden früher oder später anfangen, mit Drogen zu handeln.

"Die oberste Autorität dieses Landes scheint das nicht zu wissen oder nicht wahrhaben zu wollen", sagt Castro Alves in Richtung des Präsidenten Jair Bolsonaro: "Wenn er Kinderarbeit verteidigt, verteidigt er auch ihre kriminelle Ausbeutung."

Autorin: Karina Gomes da Silva, Deutsche Welle

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