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Brasilien |

Irgendwo zwischen Wallfahrt und Polit-Protest

Lula bei einer Veranstaltung vor seiner Haft. (Foto: Deputado Rosemberg/Flickr)
Lula bei einer Veranstaltung vor seiner Haft. (Foto: Deputado Rosemberg/Flickr)

"Lula ist der Ritter der Hoffnung, der Abgesandte Gottes auf Erden. Lula kam, um Brasilien zu retten." Zu Tränen gerührt streckt der Mann ein Bild mit Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva (2003-2010) in Brasilias Himmel. "Er ist unschuldig, es gab kein Verbrechen, es gibt keine Beweise, und deshalb: Gebt uns unseren Präsidenten zurück!" Dann küsst er das Bild.

 

Daneben wird ein Mann auf einer Matte getragen. Seit 17 Tagen befindet er sich im Hungerstreik, er sei zu schwach zum Laufen. Doch er mache weiter, bis Lula doch noch bei den Wahlen antreten dürfe, flüstert er. Er ginge sogar bis zum Äußersten. In dem Fall möge man seine Asche im Camp der Mahnwache "Freier Lula" vor dessen Gefängnis verstreuen. Der Protestzug in der Hauptstadt glich phasenweise einer tiefreligiösen Prozession. Laut Veranstaltern waren es 40.000, laut Polizei 10.000 Teilnehmer, die am Mittwoch vor das Oberste Wahlgericht marschierten. Dort lief am Abend die Frist ab, um sich als Kandidat für die Wahlen im Oktober einzuschreiben. Mit Trommeln und Trillerpfeifen machten die Lula-Freunde mächtig Druck vor dem abgesperrten Gebäude, in dem um 17.03 Uhr Ortszeit Lulas Antrag registriert wurde.

 

Er selbst war nicht anwesend. Seit April sitzt der 72-Jährige wegen des Vorwurfs der Geldwäsche und Korruption in Haft; seine Berufung wurde im Januar abgelehnt. Mit der Verurteilung in zweiter Instanz darf Lula nicht mehr als Kandidat an Wahlen teilnehmen - so sagt es zumindest ein Gesetz, dass er selbst 2010 erlassen hatte. Er sei Opfer einer "juristischen Jagd", verlas sein Vize Fernando Haddad am Abend aus einer schriftlichen Botschaft Lulas. Man habe ihn unter Vorwänden verurteilt, damit er nicht wieder Präsident werde. Laut Umfragen würde er tatsächlich wiedergewählt - wenn er denn antreten dürfte. "Ich werde bis zum Ende kämpfen", versprach Lula, der Ende 2010 mit über 80 Prozent Zustimmung abgetreten war.

Schneller Prozess

Doch danach kamen Korruptionsfälle ans Licht, in die seine Arbeiterpartei (PT) genauso verstrickt war wie alle anderen Parteien. Während sich Ermittlungen und Prozesse gegen die meisten Politiker hinziehen, ging es bei Lula sehr schnell. Dabei ist die Beweislage gegen ihn eher dürftig. Brasiliens Justiz hat früher auch in viel schlimmeren Fällen meist alle Augen zugedrückt. Sie stand vor einem Dilemma. Hätte man Lulas Prozess etwa extra langsam führen sollen, um ein Urteil vor den Wahlen zu verhindern? Und was würde aus seinen Millionen Stimmen, wenn Lula kurz nach der Wahl verurteilt würde? Den Prozess noch vor den Wahlen durchzupeitschen, um für Klarheit an der Urne zu sorgen, ist sinnvoll - auch um zu zeigen, dass die Mächtigen nicht mehr vor Strafverfolgung sicher sind.

 

Lulas PT selbst war 2003 angetreten, um Korruption und Mauscheleien zu beenden. Dafür wurden Gesetze verschärft und die Justiz gestärkt. Findet man nun doch noch ein juristisches Schlupfloch, um Lula antreten zu lassen, so macht sich die Justiz lächerlich. Andererseits: blockiert man Lulas Kandidatur, fühlt sich halb Brasilien um den Wunschkandidaten betrogen. Bis Mitte September muss das Oberste Wahlgericht erklären, ob die Kandidatur zulässig ist. Notfalls soll Vize Haddad (55) zum Präsidentschaftskandidaten aufrücken - eine unter Lulas Anhängern umstrittene Strategie. "Entweder Lula oder nichts" lautete das Motto der Demo in Brasilia. Lieber keinen Kandidaten, als klein beizugeben. Andere Linksparteien haben aus Angst vor dieser Kamikaze-Strategie lieber eigene Kandidaten aufgestellt, statt an Lulas Seite zu stehen - und vermutlich mit ihm unterzugehen.

 

Lula sprenge mit seinem riskanten Ego-Trip die PT und die komplette Linke, glaubt der Politikwissenschaftler Benicio Schmidt. "Hätte man von Anfang an auf (Vize) Haddad gesetzt und die linken Parteien geeint, hätte man im ersten Wahlgang gewonnen. Denn die Rechte hat keinen einzigen starken Kandidaten." So sei nun die Stimmung innerhalb der PT mies; viele seien sauer auf Lula. Doch für den geht es um sein Lebenswerk. Er wolle vom Volk an der Urne beurteilt werden und nicht von gekauften Richtern vor Gericht, hat er mehrfach betont. "Es gibt die moralische Verpflichtung, Lula aufzustellen", meint eine seiner Anhängerinnen in Brasilia, allein schon wegen seiner Verdienste. Für viele Brasilianer wie sie ist Lula längst kein Normalsterblicher mehr.

Autor: Thomas Milz (KNA)

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