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Interview: „Die Europäer haben keine Ahnung, was sie da konsumieren“

20 Jahre haben die Europäische Union und der Gemeinsame Südamerikanische Markt (Mercosur) verhandelt. Nun steht das Freihandelsabkommen, das einen Markt mit 760 Millionen Konsumenten schafft, auf dem heute schon Waren im Wert von 87 Milliarden Euro ausgetauscht werden.

Lateinamerika Brasilien Glyphosat

Larissa Mies Bombardi, Geografin, hat den Einsatz von Agrargiften in Brasilien in einem Atlas dokumentiert. Foto: Sandra Weiss

Stolperstein war bis zu zum Schluss der EU-Agrarprotektionismus. Vor allem Brasilien erhofft sich nun einen neuen Markt für Soja, Orangen und Rindfleisch. Doch für die europäischen Konsumenten ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht, sagt Larissa Mies Bombardi von der Universität von Sao Paolo. In ihrem Büro geht es hoch her: Während ein tropischer Platzregen auf das Dach prasselt, packt ein TV-Team die Kameras ein. Die brasilianische Geografin ist gefragt, denn sie hat vor kurzem einen 290 Seiten langen, ausführlich dokumentierten Atlas über den Einsatz von Agrargiften in dem südamerikanischen Land herausgegeben. Die Zahlen sind erschreckend – und ebenfalls die Aussicht, dass EU-Konsumenten per Freihandelsvertrag mit Südamerika nun bald das in Form von Essen zurück bekommen, was EU-Chemiekonzerne in Form von Agrargiften zuvor exportierten.
 
Blickpunkt Lateinamerika: Wie steht es um den Pestizideinsatz in Brasilien?

Larissa Mies Bombardi: Brasilien und die USA sind die größten Anwender von Pestiziden weltweit. Brasilien konsumiert etwa eine Million Tonnen jährlich. Über 500 Pestizide sind hier genehmigt, davon 150, die in der EU verboten sind. Glyphosat ist das mit Abstand am meisten verkaufte Pestizid, aber die europäische Diskussion über die Gefahren des Glyphosats hat hier in Brasilien noch nicht einmal begonnen.
 
Wie hat sich der Pestizidverbrauch über die Jahre hinweg entwickelt?

In den letzten Jahren hat sich der Pestizidverbrauch um 150 Prozent gesteigert, in gleichem Maße auch die Zahl der akuten Vergiftungen durch Pestizide. 
 
Hängt das mit der Ausweitung der Anbaufläche zusammen oder mit den zunehmenden Resistenzen?

Vor allem mit der Ausweitung. Die Anbauflächen dringen von der Zentralsavanne immer weiter in den Amazonas vor. Die Anbaufläche für Soja zum Beispiel hat sich von 18 Millionen Hektar im Jahr 2002 auf 33 Millionen Hektar 2015 fast verdoppelt. Es gibt eine Studie des INCA, des Nationalen Instituts für Krebsforschung, wonach jeder Brasilianer im Schnitt pro Jahr 5 Liter Pestizide konsumiert durch die Rückstände in den Lebensmitteln. Diese Rechnung stammt nicht von mir. Aber ich habe dokumentiert, dass im Süden, wo die großen landwirtschaftlichen Flächen sind, zwischen 12 und 16 Kilogramm Pestizide pro Hektar versprüht werden. In Europa sind es ein, in Belgien bis zu zwei Kilo.
 
Woher kommt dieser enorme Unterschied?

Das offizielle Argument lautet, dass es in den Tropen mehr Schädlinge gibt. Aber es liegt auch am Modell der industriellen Landwirtschaft, die auf Gentechnik basiert, deren Saatgut Glyphosat-resistent ist. 70 Prozent der Pestizide werden für genetisch veränderte Soja, Mais und Zucker aufgewendet. Das sind riesige Monokulturen. Alleine die Fläche, auf der Soja angebaut wird, ist vier mal so groß wie Portugal. Außerdem sind die Behörden sehr großzügig, was Grenzwerte betrifft.
 
Haben Sie ein Beispiel?

Bei Soja sind in der EU Glyphosatrückstände von 0,05 Milligramm pro Kilo erlaubt. In Brasilien 10 Milligramm pro Kilo, also 200 mal mehr. Im Trinkwasser erlaubt Brasilien einen 5.000 mal höheren Glyphosatrückstand als Europa.
 
Gibt es in Brasilien kein Vorsorgeprinzip?

Nein. Wenn beispielsweise ein Pestizid einmal registriert ist, verfällt die Lizenz nie und ist auch nicht periodischen Neubewertungen unterworfen, so wie in der EU.
 
Die Sojabauern sagen, dass Glyphosat nicht sehr toxisch sei und viel besser als alles anderen Mittel.

Darüber kann man diskutieren. Glyphosat gilt als wenig toxisch, aber diese Einordnung bezieht sich auf akute Toxizität. Langzeitschäden werden nicht berücksichtigt. Die Weltgesundheitsorganisation hat Studien angestellt, wonach es möglicherweise krebserregend ist.
 
Und für die Umwelt? Zersetzen sich die Pestizide nicht in Berührung mit Wasser?

Nein, sie verschwinden nicht, sie werden im Boden und im Grundwasser eingelagert und töten dort die vorhandenen Mikroorganismen ab.

Welche Folge hat das?

Der Boden wird unfruchtbar, das haben wir in Studien an der Universität herausgefunden. Die Bodenfruchtbarkeit hat nicht nur mit Mineralien zu tun, sondern auch mit biologischen Mikroorganismen, die durch Insektizide und Fungizide getötet werden.
 
In 20 Jahren werden die Sojaäcker also zur Wüste?

Ja, mittelfristig deuten die Studien darauf hin.
 
Und was hat das mit Europa zu tun?

Es gibt einen Vergiftungs-Kreislauf. Der Großteil der Pestizide kommt aus den USA und der EU. Chemiekonzerne wie Monsanto, Bayer oder Syngenta exportieren in Drittländer auch Pestizide, die in Europa verboten sind. Der Großteil dieser Chemikalien und des Schadens wird natürlich hier in Brasilien angerichtet, aber ein Teil kommt über Exporte in Form von Nahrungsmitteln wieder zurück nach Europa.

Interview: Sandra Weiss

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